2. Isn't it scary what a smile can hide? // I don't wait for karma

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(PoV: Obscurity)
(Eine Fragmentenstory)

Es war ein wundervoller Morgen. Noch war die Luft klamm und der Nebel hing tief, doch das verschluckte alle störenden Geräusche. Aber wie gesagt, es WAR wundervoll.
Mit einem leichten Lächeln nahm ich Anlauf und sprang auf das nächste Dach hinab, wo ich mich sofort hinhockte um von unten nicht aufzufallen. Ich hatte bereits vor ein paar Tagen bemerkt, dass immer öfter Polizisten hier Streife fuhren und sich auffällig lange an Orten aufhielten wo sie oder einer ihrer Kollegen „gearbeitet" hatten. Dennoch machte es mir Spaß meine Spielchen mit den Beamten zu treiben, sie immer näher an mich herankommen zu lassen und dann auf eine für sie unerklärliche Weise zu verschwinden, woraufhin sie nichts weiter wussten, als dass ich einen schwarzen Pullover trug. So waren selbst meine langen, weißen Haare unter der großen Kapuze verborgen und meine Beine steckten in einer dunklen Jeans, die von schwarzen Sneakers abgelöst wurde. Das einzige, was meinem Antlitz in einer Nacht wie dieser ein wenig Farbe verlieh, waren die roten Stulpen, die ich stets trug. Auch wenn ich immer weniger Zeit zum tanzen hatte, war es mir inzwischen einfach in Fleisch und Blut übergegangen meine Sprunggelenke und Schienbeine warm zu halten, also beließ ich es dabei. Für meinen Geschmack hatte sich in letzter Zeit sowieso zu viel geändert.
Das weiße Flachdach auf dem ich gelandet war, hatte einen geschotterten Untergrund, auf dem ich nun versuchte mich leise weiterzubewegen. Ich mochte diesen Nervenkitzel einfach, er brachte mein Adrenalin zum Glühen und schärfte meine Sinne. Allerdings war mir sehr wohl bewusst, dass es gerade um mehr ging, als um reines Verarschen von Leuten, die auch nur ihren Job taten. Ich war mir im Klaren darüber, was ich vor etwa einem Monat getan hatte und welche Auswirkungen das haben könnte. Doch jetzt zählte nur, dass sie mich nicht sahen. Ich wusste, dass dieses Viertel nicht unbedingt der beste Aufenthaltsort für mich war. Nur einige Häuser weiter endete das Schutzgebiet unserer Gruppe und somit der sichere Platz für mich. Danach würde nicht nur die Polizei aufmerksamer sein, sondern auch die Gefahr größer, dass ich mich dabei mit irgendwelchen Gangs anlegte.
Hinter meinem Rücken nahm ich von unten einige Stimmen war, während ich langsam weiter über das Dach pirschte und den Abstand zum nächsten Haus abschätzte, welches zu meinem Pech jedoch ein Satteldach besaß. Na, das konnte ja lustig werden...
Gerade als ich Anlauf nehmen wollte, sah ich die Gestalten unten in die Gasse zwischen den Häusern einbiegen. Erschrocken sprang ich zu früh ab, prellte mit dem Bauch gegen das Dach und rutschte herunter, bis nur noch meine Hände sich am Rand festklammerten. Von unten ertönten Schreie.
„Kommen Sie langsam herunter! Sie können sich fallen lassen, es ist nicht allzu tief!", die Männerstimme redete beruhigend auf mich ein und ich schnaubte nur. Ja klar, sicher würde ich das tun. Dafür war ich nicht die ganze Zeit abgehauen...

Lautlos hockte ich auf der Mauer, dicht an den Stein gepresst um die Einfahrt im Blick behalten zu können, ohne dass man mich allerdings sah. Mit misstrauisch gerunzelter Stirn sah ich hinab um den Wagen zu betrachten, der gerade einfuhr. Ich konnte nur hoffen, dass es nicht Avan war, der hier auf die Wache gebracht wurde. Natürlich wünschte ich ihm alles schlechte was es geben konnte, aber leider kannte er mich auch gut und hätte einiges gegen mich in der Hand... Doch die Person die aus dem Polizeiauto stieg, war nicht Avan. Das eigentlich blonde Haar war dunkelbraun und gelockt, außerdem war der Typ kräftiger gebaut. Mir lief ein kleiner Schauer über den Rücken, als die Polizisten ihn umdrehten und er seinen Blick nun mir zugewandt hin und her schweifen ließ. Nein, nicht Avan. Das hier war schlimmer... Das war mein angeblicher Bruder... Fuck. Er hatte nichts gegen mich, nur dass ich von dem wusste, weswegen er wohl gerade hier war. Er hatte vor wenigen Wochen begonnen Drogen an Lehrer zu verkaufen. Keine Ahnung, wieso er so dumm war aber schien ihm Spaß zu machen. Gerade wollte ich von der Mauer springen, als ich auch schon seinen tiefgrünen Blick auf mir spürte und ihn nur eine Sekunde später brüllen hörte.
„Du! Halt bloß die Klappe! Erzähl den Bullen auch nur ein Sterbenswörtchen und du bist tot!", schrie er so laut er konnte und jetzt sah ich den Blick der beiden Streifenpolizisten, sowie die von denen von der Kripo zu mir schweifen. Letztere rannten schon auf mich zu, sodass ich gerade noch geistesgegenwärtig meine Kapuze über mein Gesicht streifte und losrannte, das kleine Grinsen nicht von meinem Gesicht wischen könnend.

Schweigend stand ich am Geländer der Brücke und blickte hinab. Die Nacht verbarg den Boden vor meinem Blick, doch ich wusste genaustens was dort lag. Kurz sah ich mich um und entdeckte nur ein Stück weiter weg zwei Personen, erkannte diese aber nicht. Also kletterte ich vorsichtig über das Geländer und hielt mich an der anderen Seite schnell fest. Ich wollte nicht springen, auch wenn das jetzt vielleicht so aussah. Ich hing wirklich an meinem Leben. Aber ich liebte auch den Adrenalinrausch, aus welchem ich gerade leicht verärgert erwachte, weil sich mir schnelle Schritte näherten. Genauso eilig wie ich hergekommen war kletterte ich wieder zurück. Noch mehr Ärger wollte ich nicht, auch wenn das krampfhafte Lächeln in meiner Mimik wie eine Einladung zu einem Gespräch wirkte. Kein Wunder, mein Therapeut hatte es mir schon von jung an eingeimpft und jeder Schlag hatte es gefestigt.

Angestrengt presste ich mir den dunklen Schal vor die Schulter. Dieses Treffen war absolut schief gegangen. Dabei war mir klar gewesen, dass ich ihr nicht hätte trauen sollen... Und doch verfiel ich der Frau jedes Mal. Ich war mir in keinem Fall sicher was ich hier tat, ganz im Gegenteil. Es war wohl die denkbar schlechteste Idee jetzt zur Polizei zu gehen, besonders nachdem die KriPo-Komissare nun wussten wer ich war. Dennoch schob ich mit dem heilen, linken Arm die Tür auf und trat in den Eingangbereich. Ich hätte allerdings damit rechnen sollen, dass ich natürlich wieder vom Pech verfolgt würde, da die beiden Beamten, die mich erst vor zwei Tagen verfolgt hatten sich gerade unten vor dem Schalter am Beraten waren. Mit einem kaum hörbaren Seufzen versuchte ich mich möglichst abseits von ihnen hinzustellen und überlegte mir noch schnell meine genaue Wortwahl. Meinen Perso und mein Handy hatte ich absichtlich Zuhause gelassen, wenn sie erst meinen wirklichen Namen kennen würden, wäre alles vorbei. Aber ich war verantwortlich für meine Leute, also würde ich mich jetzt darum kümmern. Der Polizist am Empfang kannte mich zum Glück nicht und blickte mich nur freundlich an. In seinen Augen war ich wohl nur eine junge Frau mit seidigen, weiß gefärbten Haaren und einem angestrengten Lächeln. Dies führte er wohl nur auf mein Anliegen zurück, also nickte er.
„Wer sind Sie denn und was kann ich für Sie tun?", fragte er also sachlich. Ich atmete unauffällig durch und redete meinen Text runter.
„Ich heiße Valentina Schneider und ich vermisse meine Freundin. Sie wurde entführt.", ich gab mir viel Mühe meine Stimme weniger angespannt, sondern eher besorgt klingen zu lassen, während ich meinen Kopf möglichst von den Personen, die sich neben mir unterhielten wegdrehte. Ich hatte nie meine Kapuze abgenommen, also würden sie mich nicht aufgrund der auffälligen Haarfarbe erkennen können, aber sie kannten meine Stimme, meine Statur und ein Teil meines Gesichts. Würde es hier nicht um Ronja gehen, würde ich dieses Risiko wohl auch niemals eingehen, doch das hier war wichtig. Selbst wenn ich Ronja nicht so gerne mögen würde, wäre es meine Verantwortung mich um sie zu kümmern, sie gehörte zu uns. Ich merkte wie die Gespräche neben mir immer leiser wurden und die Gesichter sich zu mir wandten und ich konnte nicht verhindern, dass meine Hand sich angespannt um meine schwarze Handtasche krampfte.
„Können Sie also bitte eine Fahndung nach ihr machen?", drängte ich und setzte einen verzweifelten Hauch in meine Stimme. Natürlich erzählte ich ihm nicht, dass ich längst wusste wo sie war und die Polizisten nur brauchte um die Täter abzulenken, die ja eigentlich für die Polizei arbeiteten. Das würde uns genug Zeit geben um Ronja da rauszuholen. Bevor sich erneut die Sehnsucht nach der hübschen, blonden Frau in mir breit machen konnte, lenkte ich meine Aufmerksamkeit zurück auf die Person mir gegenüber. Ohne noch weiter zu erklären warf ich die Bilder von Ronja auf die Ablage und blickte wieder zu meinem Gegenüber. Dieser allerdings nickte nur kurz und deutete dann auf meine Schulter, auf die ich nach wie vor das Tuch drückte.
„Was ist da passiert?", fragte er. „Ist alles in Ordnung? Benötigen Sie eine Versorgung?"
Auch mein Blick schweifte nun zu meiner Schulter und ich merkte wie sich das Blut langsam in dem Tuch sammelte.
„Nein, das ist nichts.", sagte ich schnell. Die Schusswunde konnte ich jetzt nun echt nicht auch noch erklären. Kurz verspannte ich mich unruhig als die beiden Redenden nun vollends verstummten und näher kamen.
„Sie müssen einfach nach ihr suchen!", murmelte ich hektisch, mir blieb keine Zeit mehr. Niemals würde die Polizei sich etwas zu Schulden kommen lassen wenn sie diesen Hinweis hatten. Aber noch länger hier zu bleiben wäre zu gefährlich. Also drückte ich mich in einer Kurzschlussreaktion von dem Tresen weg, wirbelte in der selben Bewegung herum und hetzte zum Ausgang. Doch noch bevor ich auch nur zur Tür kam spürte ich wie mich eine Hand am rechten Oberarm packte und zurück riss. Ein zweiter Arm schlang sich um meine Taille und hielt mich schnell fest, sodass ich mich kaum noch bewegen konnte, doch das wäre mir gerade auch nicht in den Sinn gekommen. Als der Kriminalpolizist mich dann an dem rechten Arm zurückziehen wollte konnte ich es nicht verhindern und schrie vor Schmerz auf, während meine Beine leicht vor Erschöpfung weg sackten. Ich hatte anscheinend schon mehr Blut verloren als mir aufgefallen war. Der durchnässte Schal fiel aus meiner Hand und landete mit einem unangenehmen Platschen auf den Boden, wo einige Bluttropfen herausspritzen. Mehr spürte ich sein Entsetzen, als dass ich es sah, als ich kurz zu Boden rutschte und man nun gut die Schusswunde sehen konnte. Ich merkte, wie sich immer mehr Personen um mich herum versammelten und hörte von demjenigen, der mich festgehalten hatte auch ein leises „Obscurity". Sie wussten nun also wohl, wer ich war. Doch ich war nicht gewillt aufzugeben. Mit einem kaum hörbaren Keuchen riss ich den Kopf hoch und schlug ihn der Person hinter mir mit aller Wucht gegen die Nase, achtete nicht auf das Knacken, sondern kam irgendwie auf die Füße. Schon spürte ich von überall Hände, die mich festhielten, vorsichtig, aber stark genug. Als mir wieder die Beine versagten, ließen sie mich sanft zu Boden gleiten wo ich blinzelnd lag und nur noch meinen Blick auf den Polizisten am Empfang richtete.
„Sie müssen Ronja finden!", meine Stimme klang schwächer als gewünscht, doch es erfüllte seinen Zweck. Ich hatte die Aufmerksamkeit aller Beamten auf mir, auch wenn das jetzt wohl nicht das beste war. Ich wollte erneut drängen, doch meine Schulter war kaum noch zu spüren und ich konnte mich kaum noch kontrolliert bewegen. Das hier war gehörig schief gelaufen, doch das war wohl nicht genug. Denn gerade kamen drei Personen durch den Eingang und eine davon war Avan. Beinahe war ich erstaunt, als er versuchte auf mich loszugehen und von den KriPos festgehalten wurde, und ich konnte ein Zusammenzucken nicht verhindern.
„Du verräterische Schlampe!! Wenn ich dich je wieder draußen antreffe, Obscurity, dann wirst du dir wünschen jetzt gestorben zu sein, das schwöre ich dir!", voller Zorn brüllte er mir das entgegen und ich nutze die restlichen Kraftreserven um alle Kälte in meine Stimme zu legen, bevor ich ansetzte.
„Wenn du nicht schnell still bist, dann werde ich genug von deinen Taten zu erzählen haben, dass du innerhalb meiner Lebzeit nicht wieder nach draußen kommst.", beinahe beiläufig klang die Erwähnung, als hätte ich ihm erklärt, wie es gestern beim Einkaufen war, doch alle hier verstanden die Bedeutung und das war der Moment, in dem er anfing zu schreien. Unverständliche Laute, nur von Hass und vielleicht Verzweiflung geprägt kamen aus seinem Mund, doch ich konnte nicht mehr reagieren, auch meine Körperspannung verließ mich und ich fiel nach hinten auf den Boden.
Ich vernahm nur noch einen Einheitsbrei aus lauter Stimmen, die mich ansprachen, doch ich konnte keine zuordnen. So lag ich dort und das letzte was ich sah, waren zwei Rettungssanitäter, die sich über mich beugten und einen Polizisten mit einer blutigen Nase, der mich tatsächlich besorgt anblickte.

Strahlendes Weiß blendete meine Augen, als ich mühsam blinzelnd erwachte. So zerschlagen wie ich mich fühlte, musste ich lange geschlafen haben, auch wenn wahrscheinlich nicht aus einem natürlichen Grund. Mein Körper schaltete sich niemals ab, diese Fähigkeit hatte er einfach nicht. Es gab kein Not-Aus, keine Sicherheitswarnung. Eher würde ich sterben, als dass mein Körper zum unpassensten Zeitpunkt entschied, eine Pause zu brauchen.
Nachdem ich kurze Zeit still lag und nur lauschte um festzustellen, dass schließlich niemand hier war, schob ich meine Beine über die Kante des – wie ich erkannte – Krankenhausbettes und richtete mich vorsichtig aus. Ich spürte nur leichten, dumpfen Schmerz in meiner Schulter, wahrscheinlich betäubt von vielen Schmerzmitteln. Alles in meinen ausgelaugten Muskeln schrie danach, mich wieder hinzulegen und auszuruhen, aber das war eben nicht sicher, also kämpfte ich mich Schritt um Schritt nach vorne. Mein fast schon apathischer Zustand wurde jedoch schnell unterbrochen, als sich die Tür öffnete und laute Schritte von drei Leuten näherkamen. Noch bevor ich reagieren konnte fächerten sich die aufgebrachten Stimmen um mich herum auf und meine erschöpften Sinne nahmen wie im Hintergrund war, dass mich irgendjemand hochhob und wieder auf das Bett legte. Mein trüber Blick irrte von einem Gesicht zum anderen, ohne jedoch eine Person zu erkennen, sodass meine Lider schnell schwer wurden und wieder zufielen.
Das war zu viel für einen Tag.
Die Leute hier die versucht hatten mir zu helfen, würden niemals erfahren, warum ich hier war und das brachte mir den ersehnten Frieden.
Langsam verrauschten die Stimmen im Lärm der Umgebung und ich driftete wieder ins Nichts, noch immer begleitet von der leichten Angst, die das gewohnte Lächeln auf meine Lippen rief. Noch während es um mich herum dunkler wurde, nahmen meine vernebelten Sinne die immer langsamer werdenden Töne des Sensors wahr, bis nichts mehr von meinem Geist verblieben war.

Isn't it scary what a smile can hide?


From a Quote To a Story (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt