Hoppelbart mit Stoppelbart

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Der Heilige Pfahl. Die absolute Mitte unseres quadratischen Waldes - der Punkt, in dem alle vier Clans zusammentreffen. Der Punkt, den man überall kennt. Ein Pfahl, von den Göttern - und den Anführern und deren Stellvertretern - gesegnet, so heilig wie nur irgendetwas. Um unnötige, ausschweifende, wortverschwendende Beschreibungen zu vermeiden, lässt er sich folgendermaßen beschreiben: Er ist dünn, braun, sehr holzig und steckt in der Erde. Ein Pfahl eben.

Außerdem war es der Ort, an dem die vier Gräben ineinander endeten. Der Koordinatenursprung, wenn der Wald das -System ist und die Gräben die Achsen. Der Ort, an dem alles beginnt und alles endet, der Ort, an dem man zum Schüler ernannt wird und an dem man Krieger wird. Der Ort, an dem Stellvertreter zu Anführern werden und Krieger zu Stellvertretern. Der Ort, an dem man zum Uralten ernannt wird.

Das Anfang und das Ende, das Alpha und Omega, A und O. Die Mitte, das Gleichgewicht.

Der Heilige Pfahl eben.

Viele Leute kamen schon, früher, und haben ihn gesucht - immer, wenn sie ihn gefunden hatten, wirkten sie enttäuscht. Damals war er golden angestrichen, aber du weißt ja, diese Billigfarbe blättert immer so schnell ab und wenn man sich einmal nicht mehr drum kümmert, war's das auch schon.

Ich sprang aus dem Graben auf unseren Quadranten und sah mich um. Der Wald sieht überall ziemlich gleich aus, kein Wunder, es ist ja auch ein realer Ort und keine erfundene Stelle, in der sich die Landschaft in einem Katzensprung verändert. Laubbäume, Nadelbäume, Farn, Moos, Gras und so weiter. Nichts besonderes.

Manchmal trafen wir uns hier, ein paar aus den anderen Clans und ich. Die Leute, mit denen ich ganz gut auskam. Eigentlich waren es ganz nette Leute - auch wenn es nicht allzu gern gesehen war, sich mit anderen zu treffen. Wir konnten keine Freunde sein, sagten sie, wir hatten andere Territorien, andere Bräuche, andere Sitten. Wir waren zu unterschiedlich, sagten sie, Faulpelz, pass bloß auf, sie beißen dir in die Kehle, sobald du ihnen den Rücken zudrehst.

Abgesehen davon, dass das eine physische Unmöglichkeit war - immerhin lag die Kehle ja vorn und war nicht von hinten erreichbar - hatten sie auch ein wenig recht. Ich wusste nie, was sie dachten - sie waren einfach nicht so wie wir. Vielleicht wollten sie mich heiraten, nur weil ich sie falsch angesehen hatte! Vielleicht dachten sie, ich wolle sie umbringen! Oder sie wollten es!

Ich schüttelte den Kopf und entdeckte eine kleine, kurzbeinige Katze auf der anderen Seite des Grabens: Hoppelbart. Das lustige war, dass er um sein Kinn herum tatsächlich kleine, schwarze, abstehende Härchen hatte - wie einen Stoppelbart. Hoppelbart mit Stoppelbart also.

"Was für ein Zufall! Das hätte ich ja nie erwartet!"

Hoppelbart kam auf mich zugesprungen und blieb an seiner Grenze stehen. Der DudenClan hatte seinen Quadranten neben unserem, dem Ersten. Sie hatten den Vierten und weil in der Mathematik und bei uns wird - weil wir ja alle mathematische Wesen sind - alles entgegen des Uhrzeigersinnes benannt und nicht von links nach rechts und oben nach unten. Daher lag der erste eben auch im Nordosten und ihrer, der vierte, südlicher davon. Eigentlich eine idiotische Regel, aber deshalb war ich ja auch im IdiotenClan.

"Wie geht es dir denn?"

Er lachte und sprang in den Graben, zum Heiligen Pfahl. Die Gräben dürfen alle Leute passieren - ich meine, sie dürfen sie betreten -, das war unser Ehrencodex. Eigentlich komisch, dass ausgerechnet wir einen hatten. Obwohl, wenn man das anderes betrachtet ... ihr habt ja auch einen.

Ich sah mich kurz um, dass wir auch wirklich allein waren, und kletterte dann ebenfalls in den Graben. Er war nicht tief, aber eben auch nicht breit und ich hatte keine Lust, mir die Pfote zu verstauchen, nur, weil ich auf einen schiefen Grund sprang - ich mochte unsere Clan-Krankenschwester nicht sonderlich.

"Wie läuft es bei euch?", fragte Hoppelbart in seinem unnatürlichen Sprachrhythmus und verpasste mir einen freundschaftlichen Knuff in die Seite. Ich überlegte kurz - sollte ich ihm von Katze erzählen? "Ich habe gehört", er machte eine Kunstpause, "Dass ihr eine neue Katze im Clan habt! Wie toll ist das denn!"

Das klärte die Frage, ob ich es ihm verraten sollte.

"Ich habe sie mitgebracht", sagte ich also.

Hoppelbart neigte verwundert den Kopf - von meiner Schwärmerei für Frechdachs wusste eigentlich jeder meiner Freunde. Sie auch, zu meinem Bedauern. Aber ich machte mir da sowieso nicht so große Hoffnungen.

"Deine Sache, Kumpel", sagte er schließlich und gähnte ausgiebig. "Naja, eigentlich muss ich ja weitermachen, du weißt ja, das Leben wartet nie."

Er verabschiedete sich hastig und kraxelte den Weg zurück in seinen Quadranten. Ich sah ihm nach. Er durfte jagen - während meine einzige Aufgabe war, den Staub einzusammeln.

Das Leben als Teilzeit-Staubsauger ist wirklich nicht einfach, trotzdem mochte ich meine Arbeit irgendwie. Nur meinen Pelz, den kann ich nicht ausstehen. Du hast keine Vorstellung, wie schwer sich Staub aus dem Fell kratzen lässt.

Ich drehte mich also um und ging wieder meiner Arbeit nach - durch den Wald zu streifen und ab und zu etwas zu fangen. Uralte oder Mäuse oder - ich hielt inne.

Jemand beobachtete mich.

Ich drehte mich um - zu langsam. Ich sah gerade noch, wie die gelben Augen im Dickicht aufblitzten, starr auf mich gerichtet. Dann waren sie im düsteren Schatten der Bäume - verschwunden.

DemoCats - VerstaubtWhere stories live. Discover now