Kapitel Fünf

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Jeden Sommer wurde Carter für vier lange Wochen ins Bibellager der örtlichen Kirche gesteckt. Dort verbrachte sie ihre Zeit am See, während sie religiöse Lieder sangen, beteten und Kanu fuhren. Es war ihnen sogar erlaubt im See zu schwimmen und wenn sie sich wirklich gut benahmen, durften sie beim abendlichen Lagerfeuer Marshmallows grillen. Wenn nicht gerade die vielen kleinen Kinder und Mücken wären, die einem tierisch auf die Nerven gingen, oder die Betreuer, die wirklich jeden ihrer Schritte zu beobachten schienen, konnte man tatsächlich Spaß haben.

Carter war kein großer Fan davon. Es lag nicht unbedingt daran, dass man einen festen Zeitplan hatte oder dass man in den Ferien ziemlich früh aufstehen musste, um nicht die morgendliche Predigt zu verpassen. Im letzten Sommer hatte sie mit ihren sechzehn Jahren zu den ältesten dort gehört und insgeheim hatte sie auch gehofft, dass dies auch ihr letztes Mal im Bibellager war.

Aber natürlich mussten ihre Eltern ihr einen Strich durch die Rechnung ziehen.

Es waren einige Tage vergangen seit dem Carter ihre Freundschaft mit Eddie Munson geschlossen hatte und kaum einen Tag später fiel ihr schon auf, dass sie anders behandelt, wurde: Weder Grant noch Logan grüßten sie frühmorgens, und Cheryl versuchte stets das Gespräch mit ihr zu vermeiden. Einzig allein Tiffany redete noch mit ihr, aber auch nur selten und wenn sie zu zweit waren. Schließlich war Carter jetzt wohl ein Freak und sollte wohl auch so behandelt werden.

Am Ende war einigen ihre Beliebtheit doch wichtiger als ihre Freundschaften.

Aber Carter störte das gar nicht; es gefiel ihr tatsächlich sogar, dass man sie nicht mehr so oft nach Hausaufgaben oder Lösungen für Tests fragte. Sie ist ein wenig unsichtbar geworden. Einige würden das wohl als etwas Schlechtes sehen, aber es hatte auch seine Vorteile. Immerhin ließ man sie jetzt in Ruhe und sie musste nicht mehr in der Nähe des Basketballteams abhängen.

Offensichtlich wurde Carter nicht vollkommen unsichtbar. Ihre Eltern nahmen sie zum Beispiel noch immer sehr gut wahr. Wie auch an diesem Samstag, der erste, an dem Carter nichts für die Schule machen musste. Sie saßen am Frühstückstisch und Mrs. Johnson hatte gerade die Post reingeholt. Ihr Vater las wieder mal die Zeitung, irgendwas über die Starcourt Mall, welche diesen Sommer eröffnet hatte. Carter hatte schon überlegt, ob sie mit ihren Freunden mal dorthin gehen sollte, aber bis jetzt war sie noch nicht dazu gekommen.

„Frank!", rief Mrs. Johnson plötzlich, als sie die Post durchging. „Ihre Antwort ist da!"

„Zeig mal her, Liebling", Mr Johnson legte seine Zeitung beiseite – obwohl er sie nicht zu Ende gelesen hatte – und streckte seine Hand nach dem Brief aus.

Carter sah verwirrt zwischen ihren Eltern hin und her. Worüber sprachen sie? Was für eine Antwort? Von wem war der Brief?

Ihre Neugier überschlug sich schon fast.

„Worum geht's?", fragte Carter also und tat so, als würde es sie eigentlich überhaupt nicht interessieren. Sie rührte gelangweilt in ihren Cornflakes herum, doch das Zittern ihres Beines sagte was anderes. Denn wie jedes normale Kind hatte sie als allererstes die Befürchtung, dass es in diesem Brief um sie gehen könnte. Sei es nun gut oder schlecht.

Wollten ihre Eltern sie vielleicht auf ein Internat schicken? Oder hatte irgendwer in der Schule etwas über sie gesagt? Hat ihre Mutter sie vielleicht als Kandidatin für den Debattierwettbewerb angemeldet, ohne sie vorher zu fragen?

Es schien alles möglich zu sein.

„Liebes, du hast ja immer erzählt, wie sehr dir das Bibellager gefallen hat", begann ihre Mum und Carter schluckte. Ja, vielleicht hatte sie bei ihren Eltern bezüglich des Ferienlagers etwas übertrieben. Aber sie wollte ihnen nun mal nicht sagen, dass sie gerade vier Wochen ihres Lebens verschwendet hatte – und das nicht zum ersten Mal.

FREAKS - eine Eddie Munson FanfictionWhere stories live. Discover now