A Rising Phoenix - Kapitel 14

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Ja, wer hätte das gedacht. Ich erinnere mich an diese Worte, die Jonny mir nach dem Konzert zugeraunt hat, an dem Sternenhimmel seine Premiere gefeiert hat, als Tobi mir freudestrahlend die guten Nachrichten überbringt: Sternenhimmel ist in den iTunes Charts aufgenommen worden. Zwar relativ weit unten, aber bei einer relativ unbekannten Band wie der von Tobi bedeutet das gleichzeitig, dass Leute, die nicht in erster Linie ihre Fans sind oder zu ihren Konzerten kommen, den Song ebenfalls mögen und kaufen. Ich muss an den merkwürdigen Mann von dem Konzert denken. Vielleicht ist dieser Song tatsächlich der landesweite Durchbruch.
Die Band ist deshalb völlig am Durchdrehen. Vor allem Jo plustert sich auf, als sei er Manager der Jonas Brothers. Jeden Tag verschickt er einen neuen besseren Terminplan für die Konzerte der Band. Die Locations werden immer größer, die Menschen zahlreicher und damit auch die Fahrzeiten länger. Auf die Konzerte unter der Woche kann ich mittlerweile nicht mehr gehen, wenn ich am nächsten Tag in die Arbeit muss. Und auch am Wochenende musste ich schon mehr als einmal passen.
Dennoch freue ich mich riesig für Tobi. Er wirkt so glücklich. Er beteuert zwar jedes Mal, dass er es schrecklich findet, ohne mich auftreten zu müssen und zu wissen, dass ich weit entfernt alleine in meinem Bett liege und er nicht zu mir kann. Ich glaube ihm das auch und ich vermisse ihn mindestens genauso sehr. Jetzt habe ich ihn gerade ganz für mich bekommen und muss ihn schon wieder mit der Welt teilen. Aber ich sehe, dass sich für ihn gerade ein Traum erfüllt, für den er so lange gearbeitet und so viele Entbehrungen hingenommen hat. Und Sternenhimmel scheint tatsächlich so etwas wie die Initialzündung dafür gewesen zu sein. Und dass dieser Song mir gewidmet ist, macht mich irgendwie zu einem Teil seiner Reise.
Und obwohl sein Leben als Mac so wahnsinnig rasant verläuft, schafft er es immer noch, mein Tobi zu sein. Heute hat er sich zum Beispiel den ganzen Tag trotz heftiger Einwendungen von Jo freigeschaufelt, um meine Eltern kennen zu lernen. Ihm ist klar, dass es mir sehr viel bedeutet, und hat deshalb alles getan, um es möglich zu machen.
Und ich habe mich wirklich wahnsinnig darüber gefreut, als er mir die gute Nachricht überbracht hat. Meine Eltern haben schon bemerkt, dass etwas anders ist. Da ich mich nicht dazu äußern wollte, hat meine Mum Meg solange bearbeitet, bis diese mich angefleht hat, meinen Eltern reinen Wein einzuschenken. Und so habe ich ihnen irgendwann auch davon erzählt, dass ein Mann in mein Leben getreten ist. Ich habe ihnen sogar erzählt, dass er Musiker ist, aber nicht, dass er mittlerweile wirklich Erfolg damit hat. Mein Dad wäre so oder so nicht wirklich zufrieden mit Tobi's Berufswahl gewesen, einfach weil er sich für mich jemanden mit einem anständigen und bodenständigen Beruf gewünscht hätte. Dennoch haben sich beide wahnsinnig für mich gefreut und wollten ihn selbstverständlich kennen lernen.
Und so ist Tobi in die für ihn vermutlich nicht ganz angenehme Situation geraten, am heutigen Sonntag mit mir zum Mittagessen mit der ganzen Familie ins Haus meiner Eltern zu kommen. Rob und Cassie sowie ihre Kinder Emmy und Mike werden neben meinen Eltern Tobi neugierig begutachten und hinterher bewerten. Immerhin konnte ich erreichen, dass Meg auch anwesend sein wird. Tobi und Meg haben sich die letzten Wochen häufiger gesehen und die beiden verstehen sich blendend. Außerdem hoffe ich, dass Tobi dann neben mir auch noch Meg als Fürsprecherin hat, sollte mein Dad allzu kritische Fragen an ihn richten.
In jedem Fall war die heutige Nacht um ein vielfaches zu kurz. Gestern waren wir beide auf einem Konzert. Es war erneut knapp zwei Stunden Autofahrt von LA entfernt und als wir dann endlich irgendwann Zuhause waren, haben wir selbstverständlich nicht sofort geschlafen. Und so dösen wir beide den ganzen Vormittag über schon im Bett vor uns hin, ehe ich bei einem Blick auf die Uhr aufschrecke und völlig entsetzt bin, wie spät es schon ist. Wir beide machen uns hastig frisch, aber das beste Makeup kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir beide eine lange Nacht hatten. Ich zwinge sogar Tobi dazu, ein wenig Makeup gegen seine Augenringe aufzutragen. Als ich uns beide im Spiegel betrachte, geben wir ein ganz ordentliches Bild ab. Für den ersten Eindruck gäbe es vermutlich dennoch einen besseren Look. Aber so what.
Kaum ist mir dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, klingelt auch schon Meg pünktlich auf die Minute an der Tür. Mir ist wie immer schleierhaft, wie sie es trotz des unberechenbaren Verkehrs in LA immer wieder schafft, auf die Minute genau zur vereinbarten Zeit irgendwo zu erscheinen. Aber vor allem heute bin ich ihr zutiefst dankbar für diese Gabe wie auch für ihr Angebot, dass sie Tobi und mich abholt. So vermeiden wir beide zumindest einen unpünktlichen Auftritt.
Den unpünktlichen Auftritt legen dann wie eigentlich immer Rob und Cassie hin. Als die beiden mit ihren zwei Energiebündeln ankommen, wirken beide gestresst und genervt und sehen einigermaßen zerrupft aus, was Tobi und mich dann glücklicherweise in ein etwas besseres Licht rückt. Gleichzeitig bin ich aber auch noch aus einem anderen Grund froh, dass die beiden auftauchen: Sie lenken die Aufmerksamkeit von Tobi und mir. Bis die vierköpfige Familie aufgeschlagen ist, waren wir beide gemeinsam mit Meg und meinen Eltern in eine eher holprige Konversation vertieft. Man muss an dieser Stelle vermutlich erwähnen, dass ich meinen Eltern noch nie einen Freund vorgestellt habe, diese Situation ist für uns alle neu. Die Sache mit Rus damals war anders, einfach weil wir Teenager waren und er die ersten Male noch als normaler Freund und nicht mein Freund das Haus meiner Eltern betreten hat.
Aber sobald die Vier das Haus betreten haben, ist die Stimmung wie ausgewechselt. Nachdem sich alle vorgestellt haben, lässt Cassie die Kinder Kinder sein und verschwindet mit meiner Mum in der Küche, um ihr zu helfen, das Mittagessen fertig zu machen und sich nebenher noch Tricks abzugucken, wie man viele hungrige Mäuler gleichzeitig stopft. Rob und Dad vertiefen sich wie immer quasi ohne Vorwarnung in Fachzeitschriften über Football oder den Hausbau – Rob hat die Baufirma meines Dad's kürzlich übernommen – und Meg schnappt sich Mike und die beiden fangen an, Klötzchen zu stapeln und dann wieder umzuschubsen.
Emmy hingegen bleibt ein wenig verloren im Wohnzimmer stehen. Man könnte meinen, was für Unmenschen ihre Eltern und Großeltern sind, sie einfach so sich selbst zu überlassen. Aber die Kleine hat es mit ihren zwei Jahren schon faustdick hinter den Ohren und weiß ganz genau, wie sie es schafft, im Mittelpunkt zu stehen. Deshalb haben wir alle begonnen, ihr zu zeigen, dass dem nicht immer der Fall ist, und sie auch mal sich selbst zu überlassen. Solange man sie im Blick hat, so wie hier, wo ihr Dad immer wieder über seine Zeitschrift linst, um sein Töchterchen zu überwachen, ist das ein gutes Training.
Als ich bemerke, wie Emmy nahezu verstohlen niedlich immer wieder zu Tobi blickt, beschließe ich heute eine Ausnahme zu machen und rolle zu ihr hinüber und ziehe sie auf meinen Schoß. „Hallo Emmy", begrüße ich sie und bekomme ein genuscheltes Tante Lena zum Dank. Ich winke Tobi zu uns beiden herüber und stelle die beiden vor: „Emmy, das ist mein Freund Tobi. Tobi, das ist Emmy, unsere kleine Prinzessin."
„Sehr erfreut", sagt Tobi, geht vor uns beiden in die Hocke und streckt Emmy eine Hand entgegen, in die sie begeistert einschlägt und etwas antwortet, das vermutlich Prinzessin bedeuten soll. Ich bin überrascht, wie offen Emmy sich gegenüber Tobi zeigt. Sie steht zwar sehr gerne im Mittelpunkt und liebt es, die Drama Queen zu mimen, aber vor Fremden hat sie durchaus Respekt. Bei Tobi scheinen die Dinge jedoch anders zu liegen. Sie patscht weiterhin fröhlich auf seine Hand ein und strahlt ihn förmlich an.
„Oh oh, Elena, ich befürchte, du hast soeben hammerharte Konkurrenz bekommen", meint Tobi in meine Richtung, kann den Blick aber nicht von Emmy abwenden, die ihr Lockenköpfchen begeistert umherwirft, so viel Freude bereitet es ihr, mit Tobi's Hand zu spielen.
„Sieht so aus", schmunzle ich und versuche Emmy, die unruhig wird, auf meinem Schoß zu halten.
„Du kannst mir die Kleine ruhig geben", bietet Tobi an, der meine Mühe selbstverständlich bemerkt, den kleinen Wirbelwind zu bändigen. Ich nehme sein Angebot an und hebe Emmy zurück auf den Fußboden zwischen mir und Tobi. Emmy überwindet die kurze Distanz sofort und tappt die wenigen Schrittchen zu dem immer noch am Boden knienden Tobi und setzt sich auf dessen Oberschenkel. Sofort beginnt sie nach seinen Haaren zu greifen und zupft daran. Grinsend lässt Tobi die kleinen Kinderhände sein Haar zerrupfen und meint grinsend zu Emmy: „Wir zwei haben dieselbe Frisur, was?"
Emmy antwortet mit einem begeisterten „Haare!" und zupft weiter daran herum, als gäbe es nichts Interessanteres auf der Welt. Aber wie nicht anders zu erwarten, wird es ihr doch schnell fade und sie packt Tobi bei der Hand und zieht ihn in die Ecke des Wohnzimmers, von der sie weiß, dass ihre Granny dort die Malsachen aufbewahrt. Denn wenn die Kleine eines lieber macht als selbst die Prinzessin zu spielen, dann ist es Prinzessinnen zu malen. Und Tobi wurde von ihr dazu auserkoren, ihr allererster Lakai zu sein und in den Farben, die sie ihm hinhält, die Ausmalbilder brav zu befüllen.
Ich lasse die zwei machen und bin zufrieden damit, ihnen beim Malen zuzusehen. Ich bin immer noch erstaunt, wie schnell Emmy und Tobi einen Draht zueinander gefunden haben. Vor allem aber freue ich mich, eine weitere Seite an Tobi kennenzulernen. Ich kenne nun schon den coolen und verwegenen Mac, meinen liebevollen Tobi, den kleinen faszinierten Jungen in ihm und nun auch die Seite, die wahnsinnig gut mit Kindern kann. Vor allem mit eigentlich so misstrauischen wie Emmy.
„Ohne bisher wirklich mit deinem Tobias gesprochen zu haben, wage ich zu behaupten, dass du da einen guten Fang gemacht hast, Schwesterchen." Ich bin so vertieft in meine Gedanken und den Anblick von Tobi und Emmy beim Spielen, dass ich gar nicht mitbekommen habe, wie Rob hinter mich getreten ist und mir eine Hand auf die Schulter gelegt hat.
Ich blicke zu ihm hoch und erwidere lächelnd: „Ja, das habe ich."
Schweigend schauen wir den zweien gemeinsam beim einträchtigen Malen zu. Emmy ist hellauf begeistert, wie schön Tobi malen kann. Er zeichnet ihr sogar eine kleine Prinzessin mit Emmy's Locken und ihrer Stupsnase und erntet von ihr dafür einen schmatzenden Kuss auf die Wange. Gefolgt von der Anweisung, weitere Prinzessinnen zu malen, während sie die erste mit Feuereifer beginnt auszumalen.
„Dad hat nicht nur den Job in der Firma an mich abgegeben, ich glaube, er sieht sich auch nicht mehr in der Rolle des Familienoberhauptes, deshalb werde ich dir folgendes sagen", beginnt Rob erneut und ich blicke ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Was kommt denn bitte jetzt? „Ich meine es ernst: Wenn ich Tobias so sehe, weiß ich, was du an ihm findest. Er ist ein guter Mann. Aber er ist Musiker. Und im Gegensatz zu unseren Eltern weiß ich, dass er auf der Bühne unter dem Namen Mac unterwegs ist und verdammt gute Musik macht. Vielleicht wird aus ihm mehr als er jetzt ist. Deshalb ist mein einziger Wunsch, dass du auf dich aufpasst, ja? Lass ihn nicht dein Herz brechen. Wenn er tatsächlich irgendwann ein Promi ist, soll mein Gesicht nicht in irgendwelchen Klatschblättern auftauchen, weil ich deinem tollen Rockstar die Nase brechen musste, nachdem er meine kleine Schwester verarscht hat."
Ich bin gerührt von Rob's Sorge. Ich weiß, wie er es meint. Deshalb flippe ich auch wie zuvor bei Marc heute nicht aus, sondern versuche ihn nur zu beruhigen: „Ich weiß, du meinst es nur gut mit mir und machst dir deine eigenen Gedanken, aber du kennst Tobi nicht. Wie du schon gesagt hast, er ist ein guter Mann. Er liebt mich und ich liebe ihn. Wir beide wissen, was wir haben. Tobi ist niemand, der so etwas für einen Fan oder Groupie in Gefahr bringen würde. Er würde mich niemals wissentlich verletzen."
„Ich glaube dir, Elena", antwortet Rob. „Ich glaube dir, dass er ein guter Mann ist und man sieht, wie sehr er dich liebt, mit jedem Blick, den er dir zuwirft. Aber auch eine Liebe wie die eure ist nicht gegen das Leben gefeit, das ist das Einzige, was ich damit sagen will. Aber sollte euch das Leben tatsächlich dazwischen funken – was Gott verhüten möge – dann sollst du wissen, dass ich, dass wir alle, für dich da sind."
„Ich weiß." Ich lächle Rob dankbar an und greife nach seiner Hand auf meiner Schulter. Es ist nicht so, dass ich mir irgendwo tief in meinem Inneren nicht schon einmal dieselben Gedanken gemacht hätte wie Rob oder viele andere in meinem Umfeld. Es ist schön zu wissen, dass ich dann eine Familie habe, die mich auffängt. Aber so weit will ich eigentlich nicht denken, dafür genieße ich das Hier und Jetzt einfach viel zu sehr.
Mum reißt mich aus meinen Gedanken, als sie uns alle zu Tisch ruft. Emmy zerrt Tobi hinter sich her und verlangt – anders kann man es wirklich nicht beschreiben –, dass er neben ihr sitzt. Irgendwie scheint heute niemand in der Stimmung zu sein, einen Tobsuchtsanfall von ihr auszuhalten, also geben wir nach. Außerdem vermute ich, dass damit Tobi weiterhin auf seine Tauglichkeit als Mann an meiner Seite getestet werden soll. Was auch immer der Grund dafür ist, Tobi lässt großmütig alles mit sich machen und nimmt seine Aufgabe, Emmy beim Essen zu überwachen, mit Humor. Und Humor braucht er auch, Emmy hat heute einen mehr als lebhaften Tag. Meine Mum scheint ihren Gast und möglichen Familienzuwachs aber bereits genug zu mögen, dass sie sich an Emmy's andere Seite setzt und Tobi nicht ganz alleine mit meiner kleinen Nichte lässt.
Da die Sitzordnung heute anscheinend durch die Kinder bestimmt wird – Mike will unbedingt neben seinen Dad – lande ich am Ende zwischen Meg und meinem Dad. Cassie und meine Mum tragen unterdessen haufenweise Essen aus der Küche. Sie stellen vier verschiedene Salate, Lasagne, Rigatoni und Mini Pizzas für die Kinder auf den Tisch, und ich bin mir sicher, in der Küche wartet noch ein Dessert und später ein Kuchen auf uns. Und dann beginnt das große Schlemmen.
Tobi sitzt mir schräg gegenüber und ich sehe, wie er in dieser Atmosphäre nahezu aufblüht. Er lädt Emmy ihre Pizza auf den Teller, schneidet sie geduldig klein und erträgt mit eigentlich bemerkenswerter Gelassenheit für jemanden, der keine eigenen Kinder hat, dass Emmy's Gabel auf seinem Teller auf Nudeljagd geht. Und die ganze Zeit über strahlt er und schaufelt selbst Essen in Mengen in sich hinein, wie ich es nicht von ihm kenne. Er unterhält sich mit Rob und Dad über Football und bringt Cassie – die während ihrer Sturm und Drang Jahre ebenfalls in einer Band war – und meine Mum mit Anekdoten von seinen Konzerten zum Lachen. Es herrscht eine wirklich heitere Stimmung am Tisch.
Irgendwann greift Meg unter dem Tisch nach meiner Hand und raunt mir ins Ohr: „Das scheint doch hervorragend zu laufen. Ich denke, dein Mann hat die Aufnahme in deine Familie mit Bravour geschafft."
Ich blicke weiterhin zu Tobi hinüber, aber erwidere lächelnd an Meg gerichtet: „Sieht ganz so aus" und drücke fest ihre Hand. Ja, meine Familie scheint Tobi wirklich zu mögen. Und Tobi scheint meine Familie zu mögen. So angespannt und vorsichtig der erste Smalltalk gleich nach unserer Ankunft war, so herzlich und tief gehen die Gespräche jetzt.
Nach dem Mittagessen – ich hatte recht, es haben noch riesige Schüsseln mit Schokopudding und Sahne auf uns gewartet – gebe ich Tobi einen Wink, mir zu folgen, und steuere auf die Terrasse zu. Draußen nieselt es tatsächlich ein wenig, ist aber immer noch angenehm warm unter dem Vordach. Ich wechsle von meinem Rollstuhl auf das kleine Muschelbett, das meine Eltern in einer Ecke stehen haben und das die meiste Zeit im Sommer Emmy und Mike als Schlafplatz dient. Heute sollen die beiden drinnen bleiben. Ich will im Moment einfach ein wenig Zweisamkeit mit Tobi.
Tobi klettert zu mir und ich kuschle mich an ihn. Er drückt mir einen Kuss auf den Haarscheitel und fragt mich dann belustigt: „Na, kannst du mich nach zwei Stunden schon nicht mehr mit deiner Familie teilen?"
„Grmpf", murre ich melodramatisch. „Seit Emmy in dein Leben getreten ist, hast du nicht einen Blick mehr für mich übrig, sondern bist nur noch damit beschäftigt, jeden ihrer Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen. Hast du mir jemals die Pizza kleingeschnitten?"
Tobi lacht in mein Haar und setzt zur Verteidigung an: „Wenn ich in die völlig hilflosen Augen einer Frau sehe, kann ich einfach nicht anders als ihr Retter in der Not zu sein. Und du bist nunmal verdammt taff, du brauchst meine Hilfe ganz bestimmt nicht."
„Na dann hoffe ich, du langweilst dich in unserer Beziehung nicht, wenn du nicht Superman spielen kannst."
„Oh glaub mir Babe, dieser vorlaute Mund, mit dem du auch ganz hervorragend andere Dinge tun kannst, langweilt mich keines Wegs. Genauso wenig wie die restliche Frau, die zu diesen hübschen, vollen Lippen gehört", knurrt Tobi nahezu und knabbert an meinem Hals.
Kichernd versuche ich ihn von mir fortzuschieben. „Spinnst du, da sind Kinder im Haus, von meinen Eltern ganz zu schweigen", schimpfe ich ihn, obwohl mir mein Körper gerade ganz andere Dinge zuschreit.
Grummelnd gibt Tobi Ruhe und ich kichere über ihn, was er kommentarlos über sich ergehen lässt. Dann wird er wieder ernst und fragt mich: „Aber jetzt mal ehrlich, du hast mich nicht von den anderen weggeholt, weil ich etwas falsch mache und es bloß nicht merke, oder?"
„Nein, um Gottes Willen", versuche ich ihm sofort alle Zweifel zu nehmen. „Ich habe dich aus rein egoistischen Gründen hier raus geholt. Ich wollte dich einfach nur für mich haben. Es ist absolut spitze, wie es mit dir und meiner Familie läuft. Sie mögen dich alle wirklich – Emmy ganz besonders. Und ich bin wirklich froh darum. Ich habe mir natürlich schon ein wenig Sorgen gemacht, was passiert, wenn es nicht so gut klappt, aber das war absolut unbegründet. Ich hoffe, du magst meine Familie auch?"
„Ob ich sie mag? Ich habe mich selten zuvor so wohl gefühlt. Weißt du, ich war neun oder zehn, als mein Dad gestorben ist. Meine Mum ist niemals darüber hinweggekommen. Von diesem Moment an hatte ich keine Familie mehr. Versteh mich nicht falsch, ich liebe meine Mutter und sie liebt mich, aber irgendetwas ist in ihr mit dem Verlust meines Vaters zerbrochen. Von da an gab es keine fröhlichen Familienessen mehr. Meine Großeltern sind auch schon alle tot, weitere Verwandtschaft haben wir nicht. Was ich heute mit deiner Familie erleben darf ist ein großartiges Geschenk für mich. Vielleicht erlauben sie mir eines Tages, sie zu meiner Familie zu zählen."
Mir sind ganz leicht die Augen feucht geworden. Ich wusste, dass Tobi außer seiner Mutter niemanden hat und dass das Verhältnis mit ihr nicht das herzlichste ist. Aber dass ihm eine Familie so sehr fehlt, war mir nicht klar. Ich habe immer geglaubt, dass die Band sein Ersatz dafür sei. Dass vielleicht ich eines Tages mit ihm eine eigene Familie gründen würde. „Ich bin mir sicher, für meine Mum steht außer Frage, dass du jetzt schon ein Teil dieser Familie bist."
Tobi zieht mich fest an sich und wir schweigen beide. Wir hängen vermutlich beide gerade emotional zu tief in der Situation drinnen, als dass wir ohne verräterisches Wackeln in der Stimme sprechen könnten. Irgendwann durchbreche ich die Stille und will die Stimmung wieder ein wenig aufheitern, indem ich witzle: „Ist das jetzt der Moment, wo wir über Kinder und ein eigenes Häuschen im Grünen sprechen sollten?"
Tobi's Brust vibriert unter meinem Kopf vor Lachen. „Nun, ich stelle mir mindestens ein halbes Dutzend Kinder vor. Lauter kleine, putzige Emmys, die ich bis sie fünfundzwanzig Jahre alt sind nicht aus dem Haus gehen lasse, um sie vor unanständigen Typen wie mir zu beschützen. Und die andere Hälfte füllen wir dann mit kleinen Mikes auf, die ich durch den Garten jagen kann oder denen ich das Gitarrespielen beibringe."
„Dir ist bewusst, dass mein Dad – wenn auch widerwillig – mich doch vor fünfundzwanzig schon aus dem Haus gelassen hat? Andernfalls wäre ich dir vermutlich nicht über den Weg gelaufen."
„Und ich werde die Fehler deines Dad's bestimmt nicht wiederholen. Nicht wenn man sieht, was aus dir geworden ist, seit du mir den Kopf verdreht hast: Ein kleines Luder, das bis spät in die Nacht auf Konzerten mit mehr als zwielichtigen Typen abhängt."
Jetzt bebe ich vor Lachen. Tobi fängt zusätzlich an mich durchzukitzeln und ich muss mich wirklich zusammenreißen, um nicht viel zu laut zu kreischen und die Aufmerksamkeit meiner Familie auf uns zu ziehen. „Will auch!", unterbricht uns da Emmy's kleines Stimmchen und schon klettert sie zwischen und beide aufs Bett. Gemeinsam kitzeln Tobi und ich sie, bis sie kreischt vor Freude.
Nachdem uns allen dreien vor Lachen der Bauch schmerzt werden wir ruhiger. Ich schmiege mich wieder in Tobi's Arm und Emmy bleibt einfach mit dem Kopf auf meinem Bauch zwischen Tobi und mir liegen. Ich genieße dieses Gefühl von Wärme und Geborgenheit und ich scheine damit nicht die einzige zu sein. Emmy beginnt fast ohne Übergang langsamer zu atmen und schläft ein. Ob Tobi oder ich ihr als erster ins Traumland folgen, kann ich nicht mehr beurteilen.

Viel zu früh reißt uns eine kichernde Meg aus dem Schlaf: „Ihr seid eine wunderbar authentische Bärenfamilie: Ihr schnarcht selig vor euch hin."
„Pass bloß auf, sonst wird Papa-Bär grummelig", murrt Tobi und reckt sich. Auch ich bewege mich vorsichtig, weil ich immer noch Emmy zwischen uns beiden vermute.
„Keine Sorge, Emmy ist bereits vor gut einer halben Stunde aufgestanden und hat mit mir schon drei weitere Bilder gemalt, auch wenn ich mir die ganze Zeit über anhören musste, dass ich nicht so schöne Prinzessinnen wie Tobi malen kann. Als vorausschauende Rache habe ich schon Bilder von euch gemacht, als ihr noch alle drei schnarchend hier rumgelegen seid."
„Vielen Dank dafür", meine ich ironisch und will mich aufrichten, aber Tobi zieht mich sofort wieder zurück.
Meg lacht bloß über diese Aktion. „Ihr zwei solltet euch dringend überlegen, ob ihr vor dem nächsten Familientreffen vielleicht besser auf kein Konzert geht. Oder zumindest danach die Finger voneinander lasst."
„Die Sache mit den Konzerten ist bei meinem Terminkalender kaum mehr verhandelbar und die zweite Sache noch viel weniger. Als könnte irgendjemand neben diese Frau ins Bett steigen und die Finger von ihr lassen, ich bin doch kein Heiliger."
„Tobi!", weise ich den Mann neben mir halb entsetzt, halb lachend über diese Aussage zurecht. Meg findet diese Bemerkung unumwunden lustig und bricht in schallendes Gelächter aus.
„Meg, ich kann dich vermutlich irgendwann lieben wie eine Schwester, aber du nervst jetzt schon wie eine. Würdest du mir bitte noch fünf Minuten zum wach werden mit meiner Frau gönnen?", wünscht sich Tobi immer noch grummelnd von Meg. Diese hebt nur lachend die Hände und geht wieder nach drinnen. „Aber wenn ihr erst in fünf Minuten kommt, garantiere ich nicht, dass noch etwas von diesem leckeren Obstkuchen da ist, über den wir uns jetzt hermachen werden", merkt Meg noch an und lässt uns dann alleine.
„Als ob ich Obstkuchen brauchen würde. Meine allerliebste Versuchung liegt doch neben mir", murmelt Tobi an mein Ohr und leckt mir dann spielerisch über den Hals.
„Du Idiot, hör auf damit", lache ich und versuche, von ihm fort und zu meiner Familie zu kommen. Bei mir hat sich eine leise, unangenehme Stimme eingenistet, dass ich die ganze Zeit verschlafen habe, die ich eigentlich mit meiner Familie hätte verbringen können.
„Oh ja, ich bin ein Idiot", stimmt mir Tobi zu. „Aber ein völlig verliebter Idiot. Und die Bezeichnung Papa-Bär gefällt mir mit dir an meiner Seite viel zu sehr, als dass es für einen Mann in meinem Alter und vor allem mit meinem Lebenswandel und Beruf gut wäre." Tobi seufzt und richtet sich auf. „Aber jetzt sollte ich das ganze erst einmal üben und den lustigen Onkel mimen. Dann finden wir vielleicht heraus, ob ich auch das Potential zum Papa habe."
Damit steht Tobi auf und ich blicke ihn an. Ich muss zugeben, ich bin schon ein wenig entgeistert über das, was er soeben gesagt hat. Dass ein zukünftiger Rockstar wie er darüber spricht, eine Familie zu gründen. Bis heute habe ich noch nicht einmal gewusst, dass er mit Kindern so gut umgehen kann, geschweige denn, dass er sich ein halbes Dutzend eigener wünscht. Und jetzt erzählt er mir, dass es ihm gefällt, Papa-Bär genannt zu werden. Ich meine, es gibt nichts, was ich mir mit Tobi nicht vorstellen kann, aber an eine Familie mit ihm habe ich jetzt wirklich noch nicht gedacht. Ich will Kinder, definitiv. Aber noch nicht jetzt. Und ganz ehrlich, ich weiß auch nicht ob ich Kinder mit einem Mann will, der nie Zuhause ist.
Zum ersten Mal seit langer Zeit wird mir wieder bewusst, wie unterschiedlich wir beide sind. Oder wie unterschiedlich zumindest die Lebensentwürfe sind, die wir beide für unsere Zukunft zeichnen. Seit ich weiß, dass der Rollstuhl kein Hindernis ist, war mir nicht mehr bewusst, dass es dennoch andere Dinge gibt – das Leben zum Beispiel – das sich uns beiden als Paar ganz massiv in den Weg stellen kann.
Doch dann sehe ich in Tobi's Augen und dieser kurze Schreckmoment ist vorbei. Wenn ich ihn so ansehe, wie er vor mir steht und mich anlächelt kann ich nicht anders als daran zu glauben, dass alles gut werden wird. Und dass wir beide jedes Hindernis gemeinsam überwinden werden, was es auch sein mag. Hoffentlich.
„Kommst du?", fragt Tobi und streckt mir die Hand hin. Ich ergreife sie lächelnd und verdränge dieses mulmige Gefühl an einen weit entfernten Ort.

Zwischen 2 Welten - Elena und TobiNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ