Kap. 90 Letzte Chance

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Nasuada pov

Als das Zelt wieder leer war, bemühte ich mich, das ganze positiv zu sehen. Ich war zwar Anführerin der Varden, aber meine Macht war eben auf diese beschränkt. Statt mich darüber zu ärgern, konzentrierte ich mich darauf, dass es anscheinend immernoch für sinnvoll erachtet worden war, mich anschließend auch über diese weiterreichenden Dinge zu informieren. Außerdem hätte ich wohl kaum inhaltliche Vorschläge beizusteuern. Ich war nicht dabei gewesen und so sehr ich mich auch mit Taktiken und dem Einschätzen von Verhalten und Situationen, sowie deren Konsequenzen auskannte, ich wusste, dass Annabeth mir dabei in jedem Punkt voraus war.

Nun gut, auch wenn das ziemlich ernüchternd und definitiv nicht positiv war, musste ich meinen Aufgaben nachkommen, sonst wäre auch dieser Punkt, den ich den meisten voraus hatte, nichtig. Ich ließ mir von einem Boten von dem Stand der Eroberung berichten. Es gab erfreuliche Nachrichten, nahezu allen Menschen dort ging es entweder zu schlecht, um Widerstand leisten zu können oder zu wollen, oder sie waren wohlhabende Stiefellecker, die hofften, durch gutes Betragen ihren unrechtmäßig erworbenen Besitz behalten zu können. Ich gedachte nicht, sie damit davonkommen zu lassen, aber für den Moment half es uns sehr. Tatsächlich gab es nur noch zwei Häuserblocks und einen kleinen Bereich in Graf Tábors Burg, in dem sich noch feindliche Soldaten oder Widerstandsgruppen verschanzt hatten, nichts davon schien jedoch gut vorbereitet zu sein oder in irgendeiner Form auf hohe Verluste unsererseits hinzudeuten.

Ich blickte auf meine im Schoß liegenden Hände und für einen Moment ließ ich mich von den wulstigen Narben, zu denen das Ergebnis der Probe der langen Messer frisch verheilt war, in den Bann ziehen. Es war merkwürdig, wenn ich sie ansah, verspürte ich immer zum Teil stolz auf die Willenskraft, die ich damals aufgebracht hatte, aber zur gleichen Zeit erinnerten sie mich immer an den Preis des Krieges.

Kaum ein Soldat würde ohne solche Zeichen zurückkehren und bei kaum einem von ihnen war ihnen diese Spuren freiwillig zugefügt worden. Trotzdem waren in diesem Land die über Jahrhunderte entstandenen Sitten dahingehend ausgerichtet, dass Narben bei Männern Stärke und Mut bedeuteten. Bei Frauen waren sie gigantische Makel in der Schönheit. Als Frau im gemeinen Volk würde es meinem Vater sehr schwer fallen, in diesem Zustand noch einen Mann für mich zu finden. Das Problem dabei war nur, mein Vater war ermordet worden und ich war nun vielleicht die höchste einzelne Autorität außerhalb des Imperiums. Um einen Ehemann konnte ich mir Gedanken machen, wenn der schwarze König von seinem Thron gestoßen war.

Ich konnte meine abschweifenden Gedanken über böse Könige und zukünftige Probleme für die Eheschließung leider nicht zu Ende ausführen, denn einer der Nachtfalken, der heute die Truppe anführte, stürzte in mein Zelt und rief: „Herrin, wir werden angegriffen, wir wissen weder, wo unser Drachenreiter und sein Drachen sind, noch wo sich die Fremden aufhalten, die vorhin Eintritt erbeten haben. Ihr müsst hier weg, bevor unsere Feinde hier eintreffen. Sie haben ihren Reiter dabei." Er stolperte über seine Zunge während er sprach und das alleine reichte schon, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Ich nickte und sagte: „Gebt mir einen Augenblick, ich muss schnell zwei Kleinigkeiten einpacken, ich stoße draußen zu euch."

Er stellte keine Rückfragen, sondern verbeugte sich und trat schnellen Schrittes hinaus. Ich trug noch meine Ausrüstung von der Schlacht, was hier wohl gut war. Ein Griff unter meinen Schreibtisch, und ich hielt das dort zur Sicherheit versteckte Messer in der Hand. Ich hatte noch mein Schwert umgeschnallt, aber das würde jeder erwarten und leider war ich bestenfalls durchschnittlich begabt im Schwertkampf. Anschließend suchte ich intensiv den Raum ab, bis ich ein kleines Schimmern in der Luft erkannte und wusste, dass dort mein kleiner Schutzengel wartete. „Bleib bei mir!", flüsterte ich fast bittend. Ich spürte Zustimmung meinen Geist durchfluten und trat davon gestärkt hinaus.

Die Macht ist mit mir, oder?Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz