9.1 Mit dem Morgen

12 4 3
                                    

Von lieblichem Vogelgezwitscher gelockt ging Jianyu auf den neuen Morgen zu. Die Beine aus dem Bett zu heben, zählte er dabei als ersten Schritt und es war bereits ein guter gewesen. Dass der Morgen von da ein merkwürdiges Gemisch aus Nostalgie und Ungewohntheit war, störte da weniger, als dass es bereicherte.

Schon lange war Jianyu nicht von einer Bediensteten eingekleidet worden. Das Mädchen war jung, sehr wahrscheinlich noch nicht volljährig, und half ihm nervös durch die Routinen. Dass sie neu hier neu war, ließ sich allein schon an der beinahe einfarbigen Dienstkleidung ablesen, die noch keinerlei Status verzeichnete. Dafür fehlten die Muster an den Ärmelenden und zu eng geschnitten waren sie auch – nur Personal, welches sie bereits bewiesen hatte, gestattete die höchstrangige Person der Provinz in ihrem Haus hängende Ärmel, rein aus praktischen Gründen. Aber egal wie zitternd jeder bedachte Handgriff an ihm war und wie hektisch die anderen Bewegungen waren, die nur Interaktion mit Objekten erforderten, erledigte sie ihre Aufgaben mit Hingabe. Yan-Yi bot derartigen Leuten gute Arbeitsplätze und Ermutigung, selbst wenn sie meist nur ihre hohen Erwartungen äußerte. Am liebsten hätte er es dem Mädchen direkt gesagt, um sie ein wenig zu beruhigen, doch nie ergab sich eine passende Lücke. Als es ihm gerade einfiel, erkundigte sie sich mit derselben Hast in ihren Worten, wie sie schon ihre flinken Finger innehatten, nach seinen Wünschen. Als er keine zu äußern hatte, verabschiedete sie sich geschwind und versucht formal, bevor sie sofort aus seinem Gemach stürmte. Jedenfalls ließ sie ihn voller Energie zurück, mit der er nach dem gepflegten Aufwachen, in den Rest des Tages starten konnte.

Es lief alles so angenehm ab. Tatsächlich nahm er sich nach den üblichen Morgenritualen noch die Zeit, sich erneut kurz vor den Spiegel zu setzen und, nur sehr dünn, sodass es den meisten nie bewusst auffallen würde, seine Augen mit Kajal unterstrich. Bald war die Zeit für das Frühstück kommen und auch darauf freute er sich. Nicht wie ein Kind auf ein Feuerwerk wartete; mit einer gelasseneren Form von Vorfreude. Heute durfte es still sein. Gestern Abend hatte er bereits genug über alles Mögliche nachgedacht.

Gestern... Tatsächlich, da war etwas gewesen, etwas anderes. Reise, gescheiterte Arbeit und zu guter Letzt noch ... was auch immer da vorgefallen war. Generell ein merkwürdiger Tag, dann dazu noch dieser Abschluss, auf den er gerne verzichtet hätte. Wenn er so daran zurückdachte, war es davor sogar annehmbar gewesen. Nein, sein Versuch am Malen war nicht zu entschuldigen. Interessanter- und überraschenderweise hatte es ihn aber kaum gekümmert, sobald er den Ort des Scheiterns verlassen hatte und endlich die Aufmerksamkeit der Stadthalterin von ihm gelöst war. Seine Verbrechen an der Kunst wurden nicht von Leuten erblickt, die es ihm jemals nachtragen würden. Und auch wenn Vyr es vielleicht auch nicht getan hätte, war Jianyu mehr als erleichtert darüber, dass dieser gestern nie zu Gesicht bekam, wofür sein Körper die Grundlage stellen sollte.

Mit Schmach auf den Schultern weiter seinem Leben nachzugehen und daraus noch alle Freude zu ziehen war ihm aber nicht vergönnt gewesen. Mehr als einen Augenblick hatte es nicht gebraucht, um es zu ruinieren. Der Fluch dieser Anfälle oder wie auch immer man es nennen mochte – Synkope war das Wort der Ärzte gewesen – suchte ihn schon seit Ewigkeiten heim. Bereits als es das erste Mal aufgetreten war und jeder glaubte, es handle sich um einen Einzelfall, hatte seine Mutter ihn noch mehr umsorgt als sonst.

Was auch immer gestern an Glück verlorenging, sein Körper stellte den Grund dafür dar. Daraufhin war doch nur wieder das altbekannte Spiel erfolgt.

„Geht es dir gut?"

„Gewiss, es ist alles in Ordnung."

„Das stimmt doch nicht!"

„Oh doch, das tut es. Jetzt lass mich meinem Tag weiter nachgehen."

Dasselbe Hin und Her wie jedes Mal, und je weiter sich diese Ereignisse stapelten, desto schwerer fiel es ihm in den eisigen Höhen ebenjenen Berges an seiner Sorglosigkeit festzuhalten. Und wenn er dann abrutschte...

Vom Himmel HerabWhere stories live. Discover now