Jenseits der Schatten - Teil 1 | Kapitel 6 Amelie

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Ich war am Ende. 

Diese Nächte, die einfach nicht zu Enden schienen, hasste ich am meisten. Es gab eine Zeit, in der ich noch so etwas wie Glücksgefühl empfunden hatte, wenn wir eines dieser Ungeheuer fertig gemacht und somit Menschenleben gerettet hatten. Mittlerweile war es jedoch nur noch eine langatmige aneinander Reihung von einer Aufgabe nach der Anderen. Zu wissen, dass das ganze Leben so aussehen würde, war nicht gerade ein berauschender Gedanke; besonders da man sich immer fragte, ob man am Ende vielleicht auch in der Hölle landete. Da unten gab es sicher genug, die uns nur zu gerne wieder sehen wollten und endlos gequält zu werden, war auch keine schöne Vorstellung.

Dazu war man immer ein Außenseiter. Meine Eltern hatten andere Jäger gekannt, die versucht hatten, zwischen drin wieder ein normales Leben zu führen. Es war ein Ding der Unmöglichkeit. Man hörte nie auf Jäger zu sein und gleichzeitig zog man alles Böse irgendwie magisch an. Immer wieder endeten solche Experimente in Tragödien. 

Ich würde es einfach schlauer machen und alleine bleiben. 

Automatisch schaute ich nach oben und begegnete Noels Blick durch den Rückspiegel. Seine hellen Augen faszinierten mich immer noch. Das war eindeutig nicht gut. Genau so wenig wie, dass ich ihn näher kennen lernen wollte. Solche Dummheiten hatte ich vor ihm noch nie gedacht. Und all das nur weil er nett zu mir war? Ich brauchte wahrscheinlich einfach dringend einmal wieder eine Ablenkung.

„Probleme?", fragte Noel als der Wagen immer wieder ruckelte.

„Ich weiß nicht genau. Irgendwie spielt der Wagen verrückt.", meinte Zion ruhig.

„Vermutlich sind wir aber auch nur da und der Geist zeigt uns damit, dass er bereits auf uns wartet.", erklärte Noel und blickte wieder in den Rückspiegel, weswegen ich schnell weg schaute. „Was sagt dein GPS Nathan?" 

„Nur noch zwei Meilen. Im Notfall laufen wir.", brummte dieser neben mir.

Ein kleines Stück kamen wir noch, doch dann kam das Auto zum stehen, ohne noch einmal anzuspringen. 

„Hab ich schon erwähnt, dass ich diesen Geist nicht mag?", beschwerte ich mich, bevor ich ausstieg.

„Ich denke, das beruht auf Gegenseitigkeit. Nathan, wenn du bitte mit deinem Wundergerät vorgehen würdest, wir sind direkt hinter dir."; meinte Noel, als auch er ausgestiegen war. 

Nate schaute kurz zu mir, dann zu unserem neuesten Mitglied und ging brav los. Natürlich aber nicht ohne seinen Senf dazuzugeben. 

„Wer hat ihn eigentlich zum Anführer ernannt?", murmelte er mehr zu sich selber, als zu uns, jedoch laut genug, dass es alle hörten. 

Ich ignorierten ihn einfach und packte dafür das Steinsalz und Feuerzeug. An kämpfen war wirklich nicht zu denken, weswegen ich wohl den Spaß hatte, mich um die Knochen zu kümmern.

„Deshalb jage ich allein.", beschwerte sich nun auch Noel leise und ich verdrehte die Augen. 

Die beiden konnten einfach nicht aufhören. 

Nathan legte ein ziemliches Tempo vor, wodurch ich kaum mithalten konnte und auf ein weiteres diese Nacht verfluchte.

Irgendwie schaffte ich es Fuß vor Fuß zu setzen, als ich das Gefühl hatte, dass sie etwas veränderte. 

„Nathan, bleib stehen." , hörte ich Noel sagen und schaute zu ihm. 

Er blickte gerade zu mir und Zion. Auch Nathan schaute verwirrt zurück, wodurch er nicht mitbekam wie der Geist sich hinter ihm manifestierte. Die Axt schwungbereit, wäre ich niemals schnell genug bei ihm und eine Schusswaffe hatte ich auch nicht. 

„Nathan!", schrie ich deswegen so laut ich konnte, auch wenn es eher schon ein kreischen war.

Immerhin wirbelten alle durch mein Schreien herum, doch wie sollte auch nur einer von uns schnell genug reagieren?

Anscheinend hatte Noel bessere Reflexe als ich, da er in der nächsten Sekunde auch schon Nathan zur Seite riss, wodurch die Schussbahn für Zion frei war. 

Der Geist hatte sich noch nicht mal richtig aufgelöst, als ich auch schon zu den beiden rannte und Nate um den Hals fiel. 

„Gott, das war knapp.", murmelte ich erleichtert, während ich in fest an mich drückte.

Seine Arme schlossen sich ebenfalls fest um mich, doch ich konnte den Moment nicht wirklich genießen.

„Hebt euch das für später auf, er kommt wieder. Er muss hier irgendwo begraben sein, er ist viel zu stark.", zog Noel meine Aufmerksamkeit auf ihn. 

Schnell nickte ich ihm zu, ehe ich wieder aufstand und Nathan mit mir zog. 

Kurz blickte er ebenfalls Noel an und ich befürchtete schon einen dummen Spruch. Aber das Gegenteil war der Fall. 

„Danke."

„Keine Ursache. Lass es mich wenigstens heute nicht mehr bereuen, okay?", antwortete Noel, als sich sein Gesicht veränderte, als er etwas hinter uns sah. „Runter!"

Dieses mal reagierte Nathan blitzschnell und zog mich mit auf den Boden, wodurch ich wieder einmal auf meiner Hand landete. Zwar federte der Gips das meiste ab aber ein beißender Schmerz durchzog meinen ganzen Arm.

„Der mag euch beide wirklich nicht. Zion?", hörte ich Noel sagen.

„Hier."

„Wir müssen endlich diese verdammten Knochen verbrennen. Wo liegt dieses Grab?", wollte Noel wissen und ich kämpfte mich mit zusammengebissenen Zähnen wieder nach oben. Das war eindeutig nicht meine Nacht. 

„Da lang.", meinte Nathan und deutete in die Richtung, „Noch circa ein Kilometer. Na das wird ein Spaß."

Natürlich war es alles andere als ein Spaß, jedoch schien es die Jungs, besonders Noel, immerhin zu amüsieren, wenn sie den Geist immer wieder erschossen. Nur das wir nicht damit gerechnet hatten, soweit gehen zu müssen. 

Es war nicht mehr weit bis zum Ziel, als Noel feststellte, dass seine leer war.

„Ich bin leer. Hat jemand noch was?" 

„Einen Schuss.", erklärte Nathan. 

„Drei.", antwortete auch Zion. 

Vier Kugeln, danach nur noch Eisenstangen. Gegen einen axtschwingenden Geist, nicht unbedingt die beste Voraussetzung.

„Wer ist der bessere Schützte von euch? Der verteidigt uns. Wir anderen sollten graben und es hinter uns bringen.", wollte Noel wissen. 

Ohne darüber zu reden reichte Zion seine Waffe an Nathan weiter und ich grinste. 

Vielleicht hatte Nate oft eine große Klappe aber er war im Kampf unschlagbar, besonders mit Schusswaffen. Ich bevorzugte eher den Nahkampf und Zion beherrschte mittlerweile beides gut. 

Trotzdem kam mir ein Hacken. 

„Ich kann mit dem Arm nicht graben. Gebt mir eine Stange, dann kann ich ihn von der anderen Seite abwehren."

Noel reichte mir sofort seine Eisenstange und bekam dafür eine Schaufel. 

Wir beeilten uns die letzten Meter zum Grab zurück zu legen, wo ich das Steinsalz neben mir positionierte, ehe ich in Kampfhaltung ging. Mit nur einen Arm würde es sicher nicht leicht werden aber besser als gar nichts. Ich spürte regelrecht Nathans Anspannung über das Grab hinweg als Noel und Zion begannen.

Jedoch schafften wir es gut, den Geist abzuwehren, bis die beiden die Knochen frei gelegt hatten. Noel übernahm meine Eisenstange, während ich das Salz über die Überreste streute und sie anzündete. Mit einem markerschütternd Schrei verschwand der Geist. 

Ich lächelte erleichtert auf. Vielleicht konnte ich ja jetzt endlich schlafen gehen.

Jenseits der Schatten - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt