Kapitel 4

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Immer mehr Menschen traten zu uns in den Kreis. Darunter Amanda und ein paar Freunde und zwei Bekannte von Peter. Ich stand noch immer und betrachtete mit Skepsis die Flasche in der Mitte. Meinen ersten Kuss hatte ich an dieses blödes Ding verschwendet. Jakob Mallark in der achten Klasse. Wie ich diesen Tag bereue.

„Kelly, ich hasse Wahrheit oder Pflicht, das weißt du doch", flüsterte ich, doch Kelly hatte nur Augen für Peter.

Ich hoffte bei Gott, er war es wert.

„Außerdem ..."

Ich brachte meinen Satz nicht zu Ende, stattdessen zeigte ich heimlich auf die Kürze meines Kleides. Bei meinem Glück hörte ich nun auch die Stimme von Noah hinter mir.

„Ich habe noch ein paar Freunde mitgebracht."

Er trat gerade neben mich und bis jetzt hatte ich inständig gehofft, er würde mich nicht bemerken.

„Ach Lily, du spielst auch mit? Schön zu wissen."

Ich wusste nicht warum, aber seine Worte hatten diesen zweideutigen Unterton. Ich stand einfach so da, während die anderen bereits saßen.

„Willst du dich nicht setzen?", fragte Noah mit diesem frechen Grinsen, als würde er annehmen, dass mein Kleid bei dem Versuch in zwei Stücke gespalten wird. Plötzlich spürte ich Kellys Hand, die mich auf meine Knie zog. So hatte sie zumindest ihren Schwur nicht gebrochen, doch mir war noch immer unwohl dabei, mitzuspielen. Nervös hantierte ich mit meinen Fingern, als eine mir vertraute Hand sich auf meiner Schulter ablegte.

„Ich werde auch mitspielen", murmelte Jonah.

Ich beobachtete, wie sich die gegenüberliegenden Mädchen gierig die Lippen leckten, während er sich neben mir niederließ. Ich wusste nicht, ob seine Anwesenheit die Sache für mich verbesserte. Ein Mädchen mir gegenüber drehte die Flasche und sie fiel auf eine ihrer Freundinnen.

„Pflicht."

„Setze dich auf den Schoß des Jungen, den du am attraktivsten findest?"

Diese Aufgabe wäre mein Verderben. Alle Augen lagen auf ihr, während sie aufstand und zu einem von Noahs Begleitern ging, der bereits große Augen machte. Sie ließ sich nieder und ein leichtes Lachen durchfuhr die Menge. Plötzlich spürte ich, wie Jonah mir ein Becher entgegenschob. Dankend nahm ich ihn kaum merklich entgegen und leerte es in einem Zug. Ohne Alkohol würde ich das Ganze nicht überstehen. Das Mädchen von eben drehte erneut und nun fiel der Hals der Flasche auf Kelly. Kelly, die gerade angstvoll ihre Augen weitete.

„Pflicht."

„Küsse den Typen, in den du verliebt bist."

Verdammt, sie würde es in die Welt hinausschreien, wenn sie Peter jetzt küsst. Doch die angetrunkene Kelly machte sich nichts aus Risiken und so zog sie Peters Kopf zu sich, um ihn leidenschaftlich zu küssen. Verlegen schaute ich weg. Sollte ich mich jetzt für sie freuen? Nach einer gefühlten Ewigkeit nahm sie die Flasche in die Hand und drehte sie. Diesmal landete sie auf Amanda.

„Wahrheit."

„Mit wem war dein erstes Mal und wie?"

Lässig zog sie die Schultern an.

„Mit Manuel, dem Austauschschüler in der neunten Klasse. Ganz simpel Missionar."

Jeder wusste bereits davon. Damals war das ein Riesen-Ding. Ich denke, Amanda gab sich lässiger, als sie eigentlich war. Damals hatte man sie lange Zeit dafür gemobbt und dann wurde sie hübsch. Soviel dazu, dass es schöne Menschen nicht leichter im Leben haben. Amanda drehte die Flsche und so landete sie auf Jonah.

„Pflicht", erwiderte er gelangweilt. Ich hatte nichts anderes erwartet. Jonah war eher verschlossen und auf solchen Partys erst recht.

„Küss mich", entgegnete Amanda.

Scharf zog ich die Luft ein. Ich war nicht naiv, Jonah war ein Herzensbrecher und natürlich tat er gelegentlich das, was man mit Mädchen in seinem Alter so tat, doch das zu sehen, würde mir ein Dolch versetzen. Ich spürte, wie mich Jonah im Augenwinkel beobachtete, während alle Blicke auf ihn gerichtet waren.

„Denkst du, so wird Joseph dir wieder Aufmerksamkeit schenken? Indem du seinen besten Freund küsst?"

Amanda zog die Lippen zu einer schmalen Spalte zusammen. Jetzt ging mir ein Licht auf. Deshalb die Frage vorhin. Sie wollte etwas von meinem Bruder, mein Bruder wollte jedoch nichts von ihr, weil sie mit ihm Schluss gemacht hatte.

„Gut, dann gib mir eben ein Kuss auf die Wange."

Erleichtert ließ ich all die angestaute Luft aus meinen Lungen. Jonah ging hinüber und hauchte ihr einen kurzen Kuss auf die Wange. Selbst dies ließ mein Körper Feuer fassen. Nun ergriff Jonah die Flasche und wie es das Schicksal wollte, landete sie auf Noah.

„Wahrheit."

Das war ja klar.

„Gut, dann sag uns, wen du in diesem Kreis am attraktivsten findest und warum?", antwortete Jonah gelangweilt, nicht wissend, dass diese Frage nicht klug enden wird. Ein schelmisches Lächeln schlich auf seine Lippen.

„Lily, und warum? Ich bitte dich. Hast du dir ihren Körper mal angeschaut."

Ich spürte, wie sich Jonah neben mir anspannte. Mir sollte normalerweise die Röte ins Gesicht schießen, doch es war nicht das erste Mal, dass ich es hörte. Als ich den Idioten bat sich von mir fernzuhalten, fragte ich nach dem Grund, warum er es nicht tat und ich bekam jedes Mal das als Antwort.

„Ach ja, entschuldige bitte. Natürlich kannst du das in deiner Position nicht."

Noah war ein Arsch durch und durch, doch es machte mich auf unbekannte Weise glücklich, als Jonah daraufhin die Fäuste ballte. Kaum merklich stupste ich ihn an. Ich konnte es nicht gebrauchen, dass die beiden sich streiten. Unsere Augen trafen sich kaum merklich und ich spürte, dass etwas anders war. Da war kein Deut von Scham oder Beunruhigung, weil wir uns auf diese Weise anstarrten. Ein Raunen riss mich aus unseren Blickkontakt und als ich auf den Boden starrte, wusste ich auch warum. Die Flasche war auf mir gelandet. Mein ganzer Körper spannte sich unwillkürlich an.

„Wahrheit oder Pflicht?"

Nehme ich Wahrheit, fragt er mit Sicherheit danach, mit wie vielen Jungs ich etwas hatte. Es wäre eine Blamage und mit Sicherheit würde es mir nachhängen. Pflicht wäre mindestens genauso schlimm.

„Pflicht", murmelte ich unsicher und gleich darauf umspielte Noahs Mund ein gefährliches Lächeln. Ich war eine Idiotin.

„Dann küss mich."

Jegliche Farbe wich aus meinem Gesicht, doch noch bevor ich etwas antworten konnte, sprang der Mann neben mir auf.

„Komm, wir gehen!"

Jonah hielt mir seine Hand entgegen, die ich ohne zu überlegen annahm. Wir wollten verschwinden, doch das ließ Noah offenbar nicht zu. Er griff nach Jonahs Schulter und hielt ihn somit vom Gehen ab. Mein Retter warf einen gefährlichen Blick über seine Schulter, doch auch Noah schien nun angefressen zu sein. Alle Blicke waren auf uns gerichtet.

„Was ist dein Problem?", keifte der Idiot.

„Du bist mein Problem, Noah. Lass Lily in Ruhe, sonst ..."

„Sonst was?"

Jonah, der beste Freund meines Bruders Where stories live. Discover now