Kapitel 38

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Kelly ging ich schon seit Tagen aus dem Weg, auch wenn sie immer wieder versuchte, das Gespräch mit mir zu suchen. Ich wusste, sie hatte Noah gesteckt, dass die Polizei kommen wird. Ich wusste nicht wie oder warum, doch um ehrlich zu sein war mir das egal. Nicht, weil ich wütend war, sondern verletzt. Gerade lief ich unsicheren Schrittes durch die Schule und führte mir vor Augen, wie sehr ich sie vermisste. Jonah und Joseph sprachen wenigstens wieder miteinander, doch deren Verhältnis war so kühl, dass selbst meine abwesenden Eltern mitbekamen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Wann auch immer ich konnte, schlief ich die Woche bei Jonah im Waisenhaus, nur um für einen kurzen Moment dem Chaos zu entfliehen. Doch wenn ich ehrlich war, suchte mich auch dort die Frage heim, ob sich das Ganze lohnte. Ich beschwichtige mich immer zu einem ja. Ich liebte ihn, mehr, als ich jemals jemanden anderen geliebt hatte und dennoch stellte ich mir die Frage immer und immer wieder.

„Hallo, schöne Frau."

Ein Schmunzeln schlich sich über mein Gesicht, genau in dem Moment, wo Jonah seine Hände um meine Hüften schlang. Es war riskant, denn wir standen lediglich in einem kleinen verlassenen Gang, bereit dazu entdeckt zu werden. Doch dieser Moment zeigte mir ein Abbild davon, wie unsere Zukunft sein könnte. Weit weg von diesem Gang, im Getummel der anderen, unsere Liebe als etwas Selbstverständliches. Ich drehte mich freudestrahlend um, sah auf in sein verschmitztes Lächeln. Seine Augenbraue zuckte und ich wusste, dass er sogleich etwas Freches tun würde. Amüsiert hielt er einen Slip in die Höhe. Meinen Slip. Schnell entriss ich ihm dieses Exemplar. Mit seinem kehligen Lachen beugte er sich zu mir hinab.

„Ich glaube, den hast du heute Morgen bei mir vergessen."

Ich spürte, wie die Hitze meine Wangen durchflutete, doch das Einzige, was ich konnte, war aufzuseufzen, als der Baseballspieler das letzte Mal seine Hände über mich fahren ließ. Zu viele Erinnerungen blitzten dabei auf. Erinnerung wie er mir die Klamotten vom Leibe riss und mich Dinge spüren ließ, die ich selbst jetzt noch fühlte. An seinem mit Grübchen besetzten Lächeln sah ich, dass ihm ganz genau bewusst war, was er gerade in meinem Körper auslöste.

„Heute Abend bekommst du mehr davon", gab er amüsiert von sich.

Freudige Erregung kletterte bis zu meiner Brust hinauf. Ein letzter flüchtiger Kuss, bevor er verschwand. Kopfschüttelnd mischte ich mich ebenfalls in die Menge. Jeder ging unterschiedlich mit Situationen um. Jonah zum Beispiel tat so, als wäre alles in Ordnung. Ich beschwerte mich nicht darüber. Im Gegenteil er half mir meinen Gedanken zumindest teilweise zu entfliehen. Doch wenn ich ehrlich war, so war heute das Date von Kelly und Peter. Was, wenn er ihr etwas antut? Und dann war da noch Noah, der sich seit unserem Treffen Anfang der Woche kein Mal gezuckt hatte. Joseph meinte, er hätte womöglich aufgegeben, weil er erkannte, dass das Video für immer verloren war. Wenn Noah etwas nicht war, dann jemand, der aufgab. Jonah hingegen hoffte darauf, dass er vielleicht endlich genug hat, dass es ihm womöglich reichte. Ich wusste es besser. Denn ich sah dieses gefährliche Lächeln, wann auch immer sich unsere Augenpaare trafen. Ein Lächeln, das mich glauben ließ, dass bei Weitem noch nicht alles vorbei war, dass er etwas plante. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Ich sah in der Ferne Kelly. Als sie auch mich entdeckte, rannte sie mir förmlich entgegen. So ging es fast immer, seitdem ich die Blondine auf dem Spielplatz einfach stehen ließ. An dem Ort, an dem wir uns immer vertragen hatten, außer dieses eine Mal. Ein Indiz, dass es ernst war. Sie versuchte sich zu erklären, ich hörte sie nicht an.

„Lily ...", raunte sie atemlos.

Ich blieb nicht stehen, lief einfach weiter und sie folgte mir. Ich schwankte mit mir. War ich zu hart? Ich hatte meine Freundin nicht mal angehört. Aber sie hat mich, unsere Freundschaft, verraten. Es war, als würden zwei Stimmen in meinem Kopf regieren. Eine, die Kelly einfach nur in die Arme schließen wollte und eine, die ihr am liebsten ins Gesicht boxen würde.

„Bitte lass mich erklären."

Ich hielt nicht an. Offenbar war die eine Stimme lauter als die andere.

„Hör zu, Kelly, was auch immer du mir zu sagen hast, es ändert nichts an der Sache, dass du mich verletzt hast. Du bist meine beste Freundin und hast mich dennoch verraten."

Nun blieb die Blondine stehen, während ich immer weiter ging. Die Entfernung, von der ich dachte, sie würde niemals entstehen, wurde immer größer.

„Kommst du heute Abend? Hilfst du mir, mich fertig zu machen?"

Ich hörte ihre Verzweiflung und dennoch erwiderte ich nichts. Ich konnte nicht. Ihr Verrat saß einfach zu tief.

***

Ich lag in meinem Bett und starrte die Decke an. Jonah hatte Training und mein Bruder war mit seinem eigenen Leben beschäftigt. Der Streit mit Amanda hatte ihm hart zugesetzt, auch wenn er es nicht zugab. Vielleicht sollte ich zu Kelly gehen. Ihr beim Fertigmachen helfen, auch wenn ich es für einen Fehler hielt und ihr zuhören. Zuhören, warum sie es getan hatte. Dann kann ich immer noch die Freundschaft kündigen und auf immer Frust auf sie schieben. In dem Moment als ich mich aus meinem Zimmer bewegen wollte, vibrierte mein Handy. Als ich den Namen sah, gefror mir das Blut in den Adern.

»Komm zu dieser Adresse und du wirst bekommen, was du dir am sehnlichsten wünschst. Die Liste und das Versprechen, dass all das bald der Vergangenheit angehört.«

Ich war gerade dabei Joseph Bescheid zu geben, da erhielt ich erneut eine Nachricht von ihm.

»Allein.«

Jonah, der beste Freund meines Bruders Where stories live. Discover now