Fenris

Kapitel 27

Feena hält es danach nicht mehr langeim Gemeinschaftsraum aus. Wann immer sie zu ihren neuen Kollegen...und ja, sogar Freunden schaut, muss sie mit den Tränen in ihrenAugen kämpfen. Und sie ist niemand der gerne vor anderen weint.Nein, ehrlich gesagt weint sie insgesamt nicht gerne.

Also steht sie ziemlich abrupt auf undgeht wortlos durch die dunklen Flure zu ihrem Zimmer zurück. Dortangekommen plumpst sie auf die Kante von ihrem Bett. Sie lehnt dieEllenbogen auf ihre Knie, legt das Gesicht in ihre Hände und drücktsich die Handballen so fest in die Augen, das bunte Flecken vor demschwarzen Hintergrund anfangen zu tanzen und sie so erfolgreich dieletzte Feuchtigkeit aus ihren Augen verbannt. Sie holt noch ein paarMal tief Luft, um sich zu beruhigen, dann fällt sie nach hinten aufihr Bett und starrt an die Decke.

Was soll sie denn jetzt machen?

Sie schüttelt über sich selbst denKopf.

Sie wollte nie in so etwas verwickeltwerden. Sie wollte nie irgendeine Art Heldin sein und jetzt ist sieschon seit Wochen hier und trainiert mit den bekanntesten Helden desPlaneten... und darüber hinaus. Dabei hat sie sich doch extra immerim Hintergrund gehalten. Hat jede Kamera und Soziale Medien und allesgemieden, damit sie bloß ein möglichst normales Leben führen kann.

Klar, sie hat lange mit dem Gedankengespielt hier einfach wieder abzuhauen. Abwarten, bis ein passenderMoment kommt, dann wäre sie weg gewesen. Aber wenn sie ehrlich ist,hat sie sehr schnell aufgehört darüber nachzudenken. Sie war hiernie richtig eine Gefangene, das weiß sie jetzt. Auch wenn sie es nieso wirklich nicht war. Wäre sie anfangs verschwunden, hätte manhundertprozentig nach ihr gesucht. Doch würden sie es jetzt auchnoch? Den Avengers müsste klar sein, dass sie keine Bedrohung ist –schon gar nicht für die Helden selbst. Aber sie hat erleben dürfen,wie besorgt diese Menschen um sie waren, als sie tatsächlichverschwunden ist. Würde sie jetzt aufgeben und einfach wegrennen...Die anderen würden sie zumindest versuchen zu kontaktieren. Siewürden vielleicht – wie Bucky es angedeutet hatte – zuerst dasDrama mit ihren Verwandten klären, aber danach würden sie nach ihrsuchen. Sie würden ihr erklären wollen, dass sie nicht mehr inGefahr schwebt... Aber damit würden genau diese Menschen sich inGefahr bringen...

Und in dem Moment springt ihr noch einanderer Teil von einem Gespräch mit Bucky wieder regelrechtentgegen.

„Das könnte ein Krieg werden, wiedie Avengers ihn schon vor einiger Zeit mit Loki selbst geführthaben. Aber das muss es nicht."

„Nicht?"

„Nicht, wenn Loki das klärenkann, bevor es zum Krieg kommt."

Loki.

Loki hat sie gekidnappt, weil er gegendie anderen vorgehen wollte. Er wollte Feena auf seiner Seite wissen,damit seine anderen Nachfahren Ragnarök nicht auslösen können.

Vielleicht ist er die Lösung.Vielleicht kann sie... vielleicht könnten sie und Loki das allesbeenden, bevor es angefangen hat. Und damit auch noch bevor dieanderen sich einmischen - also auch bevor sie sich in Gefahr begeben.

Mit einem Mal sitzt sie wieder geradeauf ihrem Bett. Das könnte eine Lösung sein. Loki ist mächtig. Erist ihr Großvater und auch der Großvater von Gandra und dem Rest.Er muss mächtiger und stärker sein als sie.

Und plötzlich formt sich einschwammiger Plan in ihrem Kopf und ihr Körper reagiert, bevor siesich auch nur so richtig im Klaren darüber ist, was passiert. Siehuscht auf leisen Sohlen durch ihr Zimmer, sucht nach ihrem altenRucksack, wirft ein paar Klamotten hinein, eine Flasche kaltesWasser. Dann zieht sie ihn auf den Rücken und zieht sich ihre Schuheaus. Mit flinken Fingern bindet sie die Schnürsenkel zusammen, umihre Schuhe dann so durch eine der Schlaufen an ihrem Rucksack zuziehen. Jetzt baumeln die Schuhe leise an ihrer Seite, während siegeräuschlos und nur in Socken durch das Gebäude huscht. Feenabekommt eine feine Gänsehaut, getoppt mit dem weichen Flaum vomersten Sprießen der Unterwolle vom Wolf und merkt erst jetzt, wieaufgeregt sie gerade ist. Sie bleibt kurz stehen und überlegt, wassie gerade eigentlich tut, was eigentlich ihr Plan ist.