Kapitel 6

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Plötzlich berührt mich etwas an der Schulter.

Vor Schreck springe ich auf, drehe mich um und trete ein paar Schritte zurück.

Auf der Bank sitzt eine ältere Frau, die mich freundlich ansieht.

Sie hat überall Falten, aber diese mindern keinesfalls ihre Schönheit. Sie strahlen vor Lebenserfahrung und Weisheit.

Die großen runden blauen Augen starren mich an, aber ich fühle mich nicht unwohl.

Ich sehe wie sich ihre dünnen rauen Lippen bewegen, doch ich bin so in Gedanken das ich nicht mitkriege was genau sie sagt.

Sie deutet mit ihrer Hand auf die Bank neben sich. Ich zögere kurz trete dann aber doch wieder vor und lasse mich langsam neben sie sinken.

Der Sand unter meinen Füßen ist super interessant, so wirkt es zumindest für andere, denn genau diesen schaue ich nervös an.

"Wie heißt du Mädchen" fragt dann die relativ klare kräftige Stimme. Ich schaue auf, denn so eine Stimme habe ich nicht erwartet.

Ich habe an eine raue, leise Stimme gedacht und nicht an eine die zwar vor Stärke und Strenge trotzt aber gleichzeitig so weich, angenehm, freundlich und liebenswert klingt.

"Maila" flüstere ich.

"Was ein wunderschöner, außergewöhnlicher Name für ein ebenso besonderes Mädchen" lächelt sie.

"Sagen sie sowas nicht. Ich bin nicht besonders oder außergewöhnlich und ganz bestimmt nicht wunderschön." Meine Stimme klingt spöttisch und verachtend, auch wenn ich eigentlich nicht so klingen möchte.

"Ich merke schon. Du brauchst Hilfe deine eigene Schönheit nicht länger in Frage zu stellen. Weißt du...du erinnerst mich ein Stück weit an meine eigene Tochter, Maila."

Verwirrt schaue ich sie an. Ihre großen Augen mustern mich. Aber nicht abstoßend so wie sonst.

Ihre Augen scheinen durch mich durch zu dringen und alles zu verstehen was in meinem Kopf vorgeht.

"Als sie ungefähr in deinem Alter war, war sie genauso. Nicht ahnend was für eine Schönheit in ihr steckt. Nicht wissend wie viel wert sie doch eigentlich ist. Ihre Freundinnen damals, oder besser gesagt die von denen sie dachte es wären welche verunsicherten sie noch mehr. Sie zeigten ihr wie sie sich unter Klamotten und Make-up verstecken kann. Ich habe sie nicht mehr wiedererkannt. Aus meiner Tochter wurde ein Abbild ihrer selbst. Das Funkeln in ihren Augen verschwand immer mehr und ich konnte nichts tun."

Sie macht eine kurze Pause.

"Sie hatte für sich selbst bereits entschieden wie sie sein wollte und was sie von sich selbst erwartet. Nur dass sie nicht länger sie selbst war. Ich war damals sehr grob zu ihr. Hab nicht erkannt wie es ihr wirklich geht. Wie kaputt sie war. Alles was ich versucht habe hat nichts gebracht und ich habe sie verloren, sie in meinem Handeln verletzt.
Sie hat sich von mir abgewendet. Und ich konnte nur noch aus der Ferne beobachten wie ihr Leben den Bach runter ging. Sie zog aus, sobald sie konnte und ich habe sie Jahre nicht gesehen."

"Ich dachte schon sie wäre nicht mehr unter den Lebenden und habe mir so lange vorgeworfen alles falsch gemacht zu haben. Ich habe mir vorgeworfen, dass ich öfters hätte sagen sollen wie lieb ich sie habe und wie wunderschön sie eigentlich ist, was sie für ein wundervoller Mensch ist mit all ihren Ecken und Kanten. Ich habe getrauert. Getrauert um meine frühere Tochter und um die Frau, die aus ihr geworden ist. Getrauert über alles was ich hätte ändern können und doch nicht getan habe."

Eine stille Träne kullert ihr runzlige, Wange hinunter, vorbei an dem von Lachfalten geprägten Lippen.

Ich drücke vorsichtig ihre weiche, zarte Hand. Sie lächelt mich an. Dann redet sie weiter und ich höre zu.

Wenn Die Sterne Für Uns FallenWhere stories live. Discover now