Kapitel 5

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Ich wandte meinen Blick von der Scheibe. "Ach, erzähl mir bloß nicht zu viel." sagte ich sarkastisch. Der Mann lachte. "Du wirst es schon sehen." Ich öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, als der Transporter plötzlich stoppte. Ich wurde von der Wucht des Stillstandes so überrascht, dass ich gegen den Fahrersitz prallte. Der Gurt mit dem ich angeschnallt war, riss mich aber sogleich wieder nach hinten und drückte mich in meinem Sitz zurück. "Alles okay?" fragte der Mann und drehte sich besorgt zu mir um. "Ich...ich denke schon." murmelte ich. "Was ist los?" Keine Antwort. Ich wiederholte meine Frage, doch es folgte wieder nur Stille. Ich hantierte solange an dem Anschnallgurt herum, bis er sich löste und mich freigab. Der Regen fiel immer noch. Rhythmisches Trommeln der Tropfen auf die Scheibe. Doch das interessierte mich in diesem Moment überhaupt nicht. Ich hechtete nach vorne. Der Mann starte wie besessen durch die große Frontscheibe. Er hatte die Augen zusammengekniffen, um mehr erkennen zu können. Plötzlich sprang er auf, öffnete die Tür und sprang auf die Straße. Dann lief er los und verschwand im Regen. Was macht er denn da? Ohne groß zu überlegen, verließ auch ich das Auto und folgte ihm. Regen spritzte mir ins Gesicht und binnen weniger Sekunden war ich nass bis auf die Knochen. Doch dieser Regen war komisch. Ich fühlte es mit jedem einzelnen Tropfen der sich auf meinen Haaren und meiner Kleidung niederließ. Aber was war anders an ihm? Während ich dem Mann, der mich adoptiert hatte, folgte, fragte ich mich dies. Eine tiefe Dunkelheit lag über der Straße. Kalt und undurchdringlich. Es war als würden kein Licht dieser Welt die Finsternis durchdringen können. Doch plötzlich erschien etwas vor mir. Ein winzig kleines Licht, fast nur ein Glimmen. Wunderschön sah es aus. Orange und rot und hell. Wie...Feuer! Es war ein Funke. Ein Funke im Regen? Warum erlosch er nicht? Dann fiel mir ein, was an dem Regen anders war, als sonst. Er war nicht kalt und feucht, sondern warm und trocken. Als ich meine Hand ausstreckte, um einen Tropfen aufzufangen, tauchte wieder der Funke in meinem Blickfeld auf. Ich vergaß den seltsamen Regen und hatte nur noch Augen für das kleine Licht. Es tanzte vor meinem Gesicht und bewegte sich dann langsam in die Richtung in die der Mann, der mich adoptiert hatte, verschwunden war. Zögernd sah ich mich um und folgte ihm dann. Der Regen hämmerte auf mich ein und ließ mich schaudern. Was ist hier los?, fragte ich mich, während ich dem Funken folgend, die Straße entlanglief. Die Dunkelheit die mich umgab, war so dicht, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie von dem Funke Besitz ergriff und ihn erlischen ließ. Meine Beine wurden allmählich taub von dem Gerenne und ich wusste, dass ich nicht mehr lange durchhalten würde. Doch ich musste wie der Funke vor mir sein! Ich durfte nicht aufgeben, musste weitermachen, auch wenn ich nicht mehr viel Kraft hatte. Gerade als ich stehen bleiben und eine kleine Pause einlegen wollte, durchbrach etwas die Dunkelheit. Ein gleißendes Licht, orange und rot wie Feuer, tanzend wie tausende Flammen im Wind. Der Funke, der mir den Weg erleuchtet hatte, verschwand in dem mächtigeren Licht und verschmolz mit ihm. Ich zwang mich weiterzulaufen, auch wenn ich keine Kraft mehr hatte und Angst verspürte, wenn ich dieses fremde Feuer betrachtete, was dort wie es schien, mitten auf der Straße brannte. Als ich nur noch ein paar Meter davon entfernt war, erkannte ich zu meinem Entsetzen, dass es kein richtiges Feuer war, sondern ein Junge. Ein brennender Junge! Flammen loderten aus seinen Haaren, tanzten über seine Handflächen und seine Kleidung, knisterten geheimnisvoll. Doch sie schienen ihm nichts anzuhaben, versenkten nicht sein T-Shirt oder seine Haare. Mein Adoptivvater kniete neben dem Jungen und versuchte ihn aus seiner Ohnmacht zu befreien. Er schrie ihn an, er solle aufwachen, bevor die Schattenjäger auftauchten. Schattenjäger? Was um Himmels Willen sollte das denn sein? Ich wollte meinen Adoptivvater gerade danach fragen, als der Junge plötzlich seine Augen aufschlug. Sie waren von einem undurchdringlichen, wunderschönen Dunkelblau. Bevor ich reagieren konnte, hatte er mich am Kragen gepackt und zu sich heruntergezogen. Ein ängstlicher Aufschrei entfuhr meinen Lippen und ich versuchte vergeblich mich aus seinem Griff zu befreien. Der Junge roch nach Feuer, Rauch und Wald. Leise, sodass nur ich es hören konnte, flüsterte er mir ins Ohr: "Es...wird passieren. Man kann es nicht aufhalten. Keine Macht kann das. Es ist zu stark. Aber wir müssen es versuchen. Die Lichtbringer müssen sich zusammenfinden. Sie müssen einen Weg finden, das Schicksal dieser Welt zu ändern. Denn sollten sie versagen, gibt es keinen Weg mehr heraus. Schatten, Verwüstung, Tod werden die Städte, die Länder und irgendwann das gesamte Universum heimsuchen, bis es nichts mehr gibt. Nichts! Die...Licht...bringer..." Seine Stimme wurde schwächer, ebenso sein Griff mit dem er mich immer noch festhielt. "...müssen sich...zusammenfinden!" Dann schlossen sich seine Augen wieder, seine Finger lösten sich von dem Kragen meines Pullovers und er tauchte wieder ein in die Welt der Ohnmacht. Das Feuer das ihn umgeben hatte, erlosch und hinterließ nichts, außer den Geruch von Rauch und versenkter Kleidung. Langsam erhob ich mich. Mein Herz schlug wie wild gegen meine Rippen und ein Schauer lief mir über den Rücken. Als ich mir mit der Hand durch die Haare fuhr, merkte ich, dass ich schweißüberströmt war und zitterte wie Espenlaub. "Was hat er gesagt?" fragte mein Adoptivvater und erst jetzt fiel mir wieder ein, dass er ja auch noch da war. Er hatte sich nicht von der Stelle bewegt, hatte nichts unternommen, als mich der Junge gepackt hatte. Er hatte nur tatenlos zugesehen. Das machte mich so wütend, dass ich ihn am liebsten angeschrien hätte, dass es ihn einen Sch***dreck angehe was der Junge gesagt hatte, aber dazu fehlte mir die Kraft. Also schüttelte ich nur den Kopf. Der Mann nickte, hob den bewusstlosen Jungen mühelos hoch und trug ihn zurück zum Auto. Ich war so k.o., dass mich die Tatsache, dass der Mann schon zwei Kilometer von der Stelle, an der der Junge gelegen hatte, gehalten hatte und zu ihm gerannt war, nicht im geringsten wunderte und dass mir gar nicht auffiel, dass das Zeichen auf meiner Hand und auf der des seltsamen Jungen in einem unnatürlichen Licht glühte. Ich ließ mich einfach neben ihn auf die Rückbank fallen, schloss die Augen und schlief sofort ein.

Der Kompass der Zeit *Pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt