Abreise

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Dunkelheit. Eine lähmende Art von Erschöpfung zwang Rey, die Augen geschlossen zu halten, während sie allmählich zu Bewusstsein kam. Traumbilder verflüchtigten sich vor ihrem inneren Auge und wichen rapide formloser Finsternis. Sie versuchte an den Farben festzuhalten, die während ihres Verschwindens jeden Sinn einbüßten. Sie versuchte sich an das zu erinnern, was zuletzt geschehen war. Aber irgendwo zwischen Ebenen aus roter Erde, einem Gefühl der Panik, Enge und Unausweichlichkeit brachen ihre Gedanken ab wie bei einem Film, den man brutal aus der Spule herausgerissen hatte. Auf ihre Sinne zurückgeworfen, gab sie sich ihnen hin und versuchte auf diese Weise, sich ein Bild von ihrer Umgebung zu machen.

Dem Schwarz nach zu urteilen, das alles war, was sie sah, gab es im Raum keine eingeschaltete Lichtquelle. War sie gefangen genommen worden? Unmöglich, sie konnte beide Hände frei bewegen. Ihre Finger ertasteten eine weiche Decke, darunter eine Matratze, die unter ihrem Körper warm geworden war. Wie in Zeitlupe schoben sich ihre Hände unter den dünnen Stoff. Irgendetwas stimmte nicht: die Müdigkeit, das dumpfe Gefühl in ihrer Magengegend, ein Hauch von Kälte an ihrer Taille. Als ihre Finger den Beginn eines Verbands zu fassen bekamen, flutete ein neuer Schwall der Erinnerung ihren Geist. Der Frachter. Ihr Versteck. Ben. Danach wurde alles wieder dunkel. Sie drückte sachte gegen die fachmäßig angelegten Binden, unter denen sich wahrscheinlich noch Bacta-Pflaster und eine Salbe befanden — eins von beiden musste für die Kühlung ihrer Wunde verantwortlich sein. Ein schwacher Schmerz durchfuhr sie, der jedoch nicht mit dem zu vergleichen war, den sie ursprünglich empfunden hatte. Wo war sie? Wenn Ben sie gefunden hatte, musste sie bei der Ersten Ordnung sein... Ihre Befürchtungen waren also wahr geworden. Aber sie schien in Sicherheit zu sein. Allein. Das spürte sie. Zumindest allein in diesem Raum. In Sicherheit. Trotzdem wollte sie es mit eigenen Augen sehen.

Rey blinzelte. Es kam ihr vor, als hätte sie Tage nicht geschlafen. Oder war es andersherum? Hatte sie vielleicht Tage geschlafen und fühlte sich deshalb so müde? Das durfte nicht sein! Ihre Freunde mussten sich Sorgen um sie machen. Der Widerstand brauchte sie. Waren sie entkommen? Hatten sie auf sie gehört? Oder waren vielleicht noch mehr in Gefangenschaft geraten? Sie wusste, es hätte sie weitaus schlimmer treffen können, wäre es nicht Ben gewesen, der sie gefunden hatte... Aber wo steckte er? Die Dunkelheit erleichterte ihr das Sehen, wenn auch es im ersten Moment nichts auffälliges zu erblicken gab: dunkle Wände, dunkler Boden. Ihr Bett befand sich an einer Wand gegenüber der Tür; links war ein Waschbecken in die Wand eingelassen, daneben befand sich eine weitere Tür, wahrscheinlich ein Badezimmer. Ansonsten standen da noch ein Stuhl, ein Tisch. Das war alles. Kein Fenster. Rey sehnte sich danach hinauszusehen. Und sei es nur um eine Ahnung davon zu haben, wo sie sich aufhielt. Nachdenklich starrte sie gen Zimmerdecke. Ob sie aufstehen könnte? Ihre Glieder fühlten sich schwer an, aber seit der Schmerz nachgelassen hatte, hielt sie es nicht für unmöglich. Also stützte sie sich zuerst auf die Ellenbogen. In Ordnung. Sie schob ihre Beine gen Bettkante und presste sich nach oben, bis sie halb saß, halb an dem Rückenteil des Bettes lehnte. Die Wunde an ihrer Taille pochte leise. Rey legte eine Hand darüber und richtete sich auf, ohne das Bett zu verlassen. So würde sie ein paar Minuten verweilen. Als ihre Augen erneut durch den Raum wanderten, entdeckte sie ein Tablett mit einem Becher und etwas Nahrung. Sie seufzte. Ihr Magen knurrte plötzlich. Noch mehr Fragen: Wie lange war sie schon hier? Wer hatte ihr das Tablett gebracht?

Hunger und Durst trieben sie dazu, aufzustehen und zum Tisch zu laufen. Sie fühlte sich wackelig auf den Beinen und stützte sich an der Wand ab, bis sie den Stuhl erreicht hatte. Erleichtert ließ sie sich darauf nieder und stürzte den Becher hinunter, als wäre sie kurz vor dem Verdursten. Die Flüssigkeit schmeckte bitter; es konnte also nicht nur Wasser darin gewesen sein. In diesem Moment war sie zu beschäftigt, um auch noch über mögliche Gefahren nachzudenken. So misslich ihre Lage nach außen auch wirkte, sie fühlte sich seltsam sicher in diesen vier Wänden. Als nächstes widmete sie sich der kleinen Schüssel, in der sich Suppe befand. Auf einem Teller lagen drei Scheiben Brot. Nachdem sie aufgegessen hatte, fühlte sie sich schon besser. Ihr Blick wanderte zur Tür und sie fragte sich, ob sie abgeschlossen war. Der Raum kam ihr mit einem Mal schrecklich klein vor. Sie fühlte sich einsam. Unsicher stand sie auf und schwankte in Richtung des einzig möglichen Ausgangs: verschlossen. Sie rüttelte an der Tür, aber nichts bewegte sich. Sie traute sich sogar, dagegen zu klopfen. Gab es vielleicht Wachen? „Hallo?", rief sie. Aber alles blieb stumm. Niemand antwortete ihr. Rey ließ den Kopf hängen. Eingesperrt. Ben hatte sie eingesperrt. Was hatte sie anderes erwartet? Sie presste eine Hand gegen ihre Brust, wo sich ihr Herz ein wenig zusammenzog. Nach einem Halt beim Waschbecken, wo sie sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte und einen Blick in das Badezimmer warf, schlürfte sie zum Bett zurück. Ihr Kopf stieß unsanft gegen die Wand, als sie sich darauf fallen ließ. Sie stöhnte. Aber im nächsten Moment hatte sie den Schmerz schon wieder vergessen. Er hatte ihr nicht einmal einen Comlink dagelassen. Wie sollte sie ihn wissen lassen, dass sie aufgewacht war? Wie sollte sie herausfinden, wo sie sich befand? Wie sollte sie aus diesem Zimmer herauskommen, bevor sie wahnsinnig darin wurde?

Eine neue ÄraWhere stories live. Discover now