Kapitel 7

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Langsam schaukelte das große Schiff zwischen den Wellen hin und her. Visenya stützte sich auf dem Rand der Schiffswand ab und betrachtete das weite Meer. Ein Lächeln zauberte sich auf ihre Lippen, während die Sonnenstrahlen ihr Gesicht kitzelten. Ihr Vater trat an ihre linke Seite und betrachtete seine Tochter. Ihr Grinsen war ihm nicht entgangen und er musste unweigerlich darüber selbst lachen. Sie sah so zufrieden aus, obgleich sie gar nicht wusste, was ihr bevorstand. Er wollte seine Tochter immer glücklich sehen. War das jetzt bald vielleicht der Moment, wo sie den scheinbar rastlosen Streitigkeiten über ihre Zukunft ein Ende bereiten würden? Dass Visenya ihren Vater nun so herzhaft lachen sah, war in letzter Zeit eher eine Seltenheit gewesen und Visenya wusste, dass dies ihre Schuld war. Zu lange hatte sie ihrem Vater Sorgen bereitet, weil sie jeden Lord ablehnte. Ihre letzte Hoffnung war nun einer der Prinzen vom Herrscher der Sieben Königslande. Wenn es nach ihr ginge, würde sie ansonsten einfach alleine weiterleben, aber ihre Eltern bestanden auf die Fortführung ihrer besonderen Blutlinie. Ein Diener eilte herbei und berichtete, dass Königsmund voraus sei. Visenya drehte sich um und erblickte Königsmund in seiner vollen Pracht. Auch wenn in ihren Augen das alte Valyria, welches sie aus den Büchern kannte, den schönsten Ort der ganzen Welt darstellte, so konnte sie nicht abstreiten, dass Königsmund etwas Einzigartiges und Mächtiges an sich hatte. Die ganze Stadt war so eng aneinandergebaut, mit der heiligen Großen Septe als höchstes Gebäude. "Ein Prinz wäre eine wirklich gute Partie", flüsterte ihr Vater in ihr Ohr, was ihm einen bösen Blick von Visenya einbrachte. Um keinen weiteren Streit anzufangen, lächelte sie ihren Vater daraufhin an und drehte sich wieder dem Meer zu. Wie gerne hätte sie jetzt ihre alte Freundin Daenyra an ihrer Seite. Visenya fragte sich ständig, wo sich Daenyra befindet und ob es ihr gut geht. Vielleicht würde sie dies auch nie erfahren. Visenyas traurige, violette Augen beobachteten, wie das Schiff langsam in den Hafen von Königsmund andockte. Die Diener fingen an, das Gepäck vom Schiff auf eine Kutsche zu laden, die anscheinend vom Königshaus bereitgestellt wurde. Visenya folgte ihrer Mutter und ihrem Vater zur Kutsche, die schwarz und sehr edel aussah. Die liebevollen Details und die gemusterten Fenster strahlten förmlich den ganzen Stolz der Targaryens aus. Visenya stieg langsam auf die Stufen und betrat das Innere der Kutsche. Ihre Eltern saßen bereits schon, als Visenya auf der gepolsterten Bank Platz nahm. Die junge Frau fuhr mit ihren Händen über ihr weißes, langes Kleid, das ihre Schultern und Hals offen zeigte. Visenya hasste vornehme Gewänder, auch wenn sie die Garderobe von klein auf gewohnt war. "Musste das Kleid so eng geschnitten werden?", Visenya rutschte auf ihrem Platz hin und her. Sie war sichtlich angespannt. Die Neugierde und die Aufregung waren zu groß, sie hatte das Gefühl, innerlich zu zerplatzen. "Du bist wunderschön, mein Kind. Mach dir keine Sorgen.", versuchte ihre Mutter sie zu beruhigen, welche danach kichernd ihren Gemahl ansah. Visenya schnaubte sauer und lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen das Fenster. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Als die Kutsche nach einer Weile zum Stehen kam, stieg Visenya aufmerksam nach ihren Eltern aus. Ein Diener des Königshauses führte sie hoch zum Roten Bergfried, tief durch dessen vielen Gänge und Treppen. Visenya versuchte, sich jeden Winkel einzuprägen, ihre Finger glitten über die Steinwand, als sich plötzlich jemand laut räusperte. Erschrocken sah sie auf und blickte in die Augen ihres Vaters. Ein mahnender Blick seinerseits reichte und Visenya nickte entschuldigend. An einem großen Tor blieb der Diener stehen und veranlasste die Wachen, ebendieses zu öffnen. Lautstark wurde das Haus Mellarys durch eine Wache angekündigt, während dieses langsam seinen Weg Richtung des Eisernen Throns antrat.

"Lord Rahaemion aus dem Hause Mellarys, seine Gemahlin Lady Vaenys aus dem Hause Mellarys, seine Tochter Lady Visenya aus dem Hause Mellarys."

Die drei traten vor, bis sie vor den ersten Stufen des Eisernen Throns ankamen, Visenya stellte sich nervös hinter ihre Eltern und wartete. Viele Lords und Ladies versammelten sich mit ihren Töchtern links und rechts in der großen Halle. Visenya hörte sie tuscheln und spürte ihre Blicke auf ihrem Rücken. Rahaemion sah hoch zu König Viserys, in seinem Gesicht erkannte er eine gewisse Erschöpfung. Viserys lehnte sich langsam vor auf seinem Thron und seufzte genervt. So viele Menschen hatten ihre Töchter angeboten die letzten Stunden und seine Söhne lehnten jede Frau ab. Prinz Aegons Satz "Selbst Schafe sind hübscher!" hallte noch immer in Viserys Kopf. "Das Haus Mellarys...?", fragte Viserys, während er sich mit seiner Hand über sein Gesicht wischte, in der Hoffnung, dies würde seine Müdigkeit verschwinden lassen. Visenyas Vater war ein stolzer Mann und dennoch merkte Visenya, wie eben dieser augenblicklich noch mehr Zuversicht und Entschlossenheit ausstrahlte, als nach wie vor schon. Seine starke, laute Stimme ließ die ganze Halle erstummen und die Menschen betrachteten ihn mit Ehrfurcht. "Wir stammen aus einer uralten Familie, welche das Blut unserer Vorfahren aus Valyria in sich trägt. Nach den tragischen Geschehnissen in Valyria sind meine Vorfahren geflohen und haben Volantis gegründet." Viserys' Augen wurden größer und seine Müdigkeit machte Platz für die plötzliche Neugierde. "Die alten Drachenherren Valyrias?" Rahaemion nickte zustimmend.

Während Visenya den Worten ihres Vaters und des Königs lauschte, erlaubte sie sich, ihren Blick durch die Menschenmenge schweifen zu lassen. Nervös fuhr sie mit ihren Fingerspitzen sanft über das bedruckte Muster ihres weißen Kleides. Ihr Blick wanderte nach links, wo sie die Königsgemahlin Alicent erblickte. Sie trug ein wunderschönes, grünes Gewand mit goldenen Bestickungen und ihr braunes Haar war geflochten und hochgesteckt. Neben ihr standen die zwei Prinzen Aegon und Aemond. Visenya hatte zuvor in Volantis einige Schriften über die Targaryens gelesen und ein Maester unterrichtete sie über die Familie des Königs. Sie wusste, dass Aemond der zweitgeborene Prinz war, er trug eine Augenklappe über seinem linken Auge. Visenya betrachtete den jungen Prinzen einige Augenblicke. Er wirkte desinteressiert, als wäre er am liebsten an einem anderen Ort. Als Prinz Aemond sich zu seiner rechten Seite drehte, fiel Visenya Prinz Aegon auf. Dieser lauschte den Worten seines Bruders und lächelte daraufhin leicht. Daraufhin trafen sich die Blicke von Aegon und Visenya. Die junge Frau merkte, wie all ihre Sorgen verschwanden und sie eine erfrischende Leichtigkeit spürte. Ihr Herz schlug schneller und sie hatte das Gefühl, als würde sie glühen.

"Meine Tochter Visenya, Euer Gnaden", die Worte ihres Vaters rissen Visenya von den Augen Aegons los und holten sie in die Realtität zurück. Sie blinzelte ein paar Mal, um zu verstehen, was von ihr verlangt wurde. Langsam bewegte sie sich neben ihren Vater und verbeugte sich vor dem König. "Euer Gnaden", sprach sie mit zittriger Stimme. Keiner in der Halle wagte es ein Wort zu sprechen, sodass ihre Worte umso heller klangen. König Viserys erhob sich vom Eisernen Thron und ging die Stufen hinunter, damit er sich vor Visenya stellen konnte. Lange betrachtete er die junge Frau, bis er schließlich rüber zu seinem Sohn Aegon sah. Dieser war damit beschäftigt Visenya anzusehen, bis sein Bruder Aemond ihn leicht anstubste. Irritiert eilte Prinz Aegon zu seinem Vater und stellte sich neben ihn. "Das ist mein Sohn, Prinz Aegon", verkündete König Viserys stolz und klopfte dabei seinem Sohn sanft auf den Rücken. Visenya verbeugte sich kurz und sah dann auf. Ihr Blick fiel direkt in Aegons Augen. Wieder überkam sie diese Hitze und ihr Mund wurde ganz trocken. Es kam ihr so vor, als würde die Zeit stillstehen, während sie sich jedes Detail seines Gesichtes einzuprägen versuchte. Prinz Aegon sah jetzt erst ihre strahlenden, violetten Augen und versank in diesen förmlich. Keiner der beiden brachte ein Wort hervor. Eine merkwürdige Stille legte sich über den Saal. König Viserys und Lord Rahaemion sahen sich vielsagend an. "Sie ist ein sehr hübsches Ding", erklang Königin Alicents Stimme, als sie sich neben ihrem Gemahl, dem König, stellte, um diese Situation zu lockern. "Sie ist perfekt...", flüsterte plötzlich Prinz Aegon und erschrak an seinen eigenen Worten. Visenya errötete augenblicklich und atmete tief ein. "Ich würde gerne mit einer Vermählung unsere Häuser verbinden, Lord Rahaemion." Visenyas Vater wirkte zufrieden, als er dem König seine Hand reichte, um die Verbindung zu akzeptieren. "Wir sollten dies mit einem Essen feiern heute Abend, Euer Gnaden", sagte Otto Hohenturm, die Hand des Königs. König Viserys erhob beide Hände und klatschte. "Das ist eine sehr gute Idee."

Nachdem er seinem Sohn Prinz Aegon stolz auf die Schulter geklopft hat, ging König Viserys die ersten Stufen des Eisernen Throns wieder hoch und drehte sich zu den Anwesenden in der großen Halle. "Hiermit verkünde ich, König Viserys aus dem Hause Targaryen, Erster seines Namens, König der Andalen und der Ersten Menschen, Herr der Sieben Königslande, Beschützer des Reiches, die Vermählung meines Sohnes Prinz Aegon aus dem Hause Targaryen, zweiter seines Namens, mit Lady Visenya aus dem Hause Mellarys." Mit bösen Mienen klatschten die anwesenden Lords und Ladies nach den Worten des Königs und verließen dann langsam die Halle.

Prinz Aegon hatte sich entschieden.

Lord Rahaemion und seine Gemahlin Vaenys verbeugten sich vor dem König und der Königin und gingen Richtung Ausgang. Visenya wagte einen letzten Blick auf Prinz Aegon, welcher ihren Blick erwiderte. Sofort schnürte sich ihr Hals zu und sie hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Schnell eilte sie ihren Eltern hinterher nach draußen.

Während König Viserys sich zurück auf den Eisernen Thron setzte, überbrachte ein Diener eine Nachricht an die Hand des Königs, welcher daraufhin König Viserys in Kenntnis setzte. Prinz Aegon stellte sich zurück neben seinen Bruder, welcher ihn abfällig ansah. "Nun schau nicht so, kleiner Bruder." Aegon konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen, was Aemond nur umso wütender machte. "Mhh", brummte dieser nur. "Solange du es nicht vermasselst..." Aegon sah Aemond verwirrt an. "Wieso sollte ich es vermasseln?" "Nun ja, weil du...nunmal du bist." Siegessicher lachte Aemond leise. "Du bist derjenige von uns beiden, der jetzt noch unversprochen ist. Aber keine Sorge, in der Drachengrube wartet eine Schweinedame, die dich bestimmt gerne zum Mann nimmt." Aemond warf seinem Bruder einen finsteren Blick zu. "Und falls es mit euch beiden nicht klappt, fliegt sie einfach weg." Aegon konnte nicht weiter über seinen Witz lachen, weil seine Mutter Alicent ihn mit einem dezenten Fauchen zum Schweigen brachte.


Die Kinder der SchattenWhere stories live. Discover now