Kapitel 41 * The Kiss *

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Seit drei Uhr morgens, war ich jetzt wach. Mittlerweile war es kurz vor fünf Uhr. 
Für eine Woche war Dimitri mit Don und Dante nach Los Angeles geflogen. Heute kam er zurück. Ich war zwei Nächte und Tage im Internat gewesen bevor ich die restliche Zeit nach Hause durfte.
 
Wenn ich im Internat schlief, musste ich mich sehr früh raus schleichen. Zuhause war ich permanent auf der Flucht. Diesmal in der Nacht.
Ich war unruhig. Dachte mir alles mögliche aus, um Tom auszuweichen. Irgendwie hatte er von den seltenen Schulbesuchen Wind bekommen. Vermutlich hatte Jackson es ihn irgendwie gesteckt.
Fluchtwege suchen. So lief es eigentlich fast jeden Tag ab. Vor allem an Samstagen. An diesem Morgen dachte ich nicht zum ersten Mal darüber nach hinzuschmeißen. Die Jobs, die Schule einfach alles, um mich vollkommen dem Tanzen zu widmen und nach Mexiko abzuhauen.

Mexiko...

Seit dem Brand, in dem mein Grandpa umkam, war ich nicht mehr dort.
Während mir dieser Gedanke durch den Kopf schlich, stieg ich in den Bus zur Akademie, wo ich regelmäßig trainierte. Jeden Tag mehrere Stunden außer Mittwochs und Sonntags. Zumindest versuchte ich diese Tage, für andere Dinge, wie Schwimmen, Klettern oder Volleyball zu nutzen, um unter Menschen zu kommen.

Verschwitzt und außer Atem, beendete ich meine 3-fache Drehung und ging mit einem Wechselschritt in die nächste Pirouette über. Ein Lied von Lindsey Stirling lief über die Anlage. Getragen von der Leichtigkeit des Sounds, wiederholte ich die letzten Schritte meiner Choreografie für den Abend und ließ mich von dem Gefühlschaos leiten, welches in mir tobte. Manchmal fühlte es sich an, als wütete ein Sturm in meinem Kopf. Manchmal hörte ich alles um mich herum viel zu laut. Die Musik, konnte daher nie laut genug sein. Ich liebte es, wenn die Beats in meinen Adern schlugen. 
Erschöpft blieb ich einige Minuten am Boden liegen. Solange bis mein Handy klingelte und mich aus der Müdigkeit riss. Ich öffnete die Augen und stand auf. Mit dem Blick aufs Display, bemerkte ich die Uhrzeit und schaute aus dem Fenster.
Draußen war es schon dunkel geworden.
Somit konnten es nicht viele Leute sein. Ich hatte auch nicht so viele Freunde, dass die Überlegung Sinn gemacht hätte. Ich wusste wer es war und las auch den Namen meines Chefs. Es wäre viel einfacher nicht ran zu gehen. Allein die Vorstellung ranzugehen, ließ mir das Blut in den Adern manchmal gefrieren. Bevor ich ran ging, stellte ich die Musik leiser und zögerte. Doch mein Daumen tippte schließlich auf den grünen Hörer.
»Ja?«, meldete ich mich.
»Ein Taxi steht jeden Moment vor der Akademie. Du hast 15 Minuten«, hielt er sich nicht lange auf und beendete das Gespräch ohne, dass ich dem Fahrdienst absagen konnte. Manchmal kam ich mir vor, wie beim Zeugenschutzprogramm. Egal welcher Termin mit ihm zu tun hatte, er schickte einen extra Wagen oder ein Taxi los, welches mich abholte. Verzweifelt seufzte ich auf. Ändern würde ich daran sowieso nichts. Warum also aufregen?
»Es muss doch hin und wieder möglich sein, nein zu sagen.« Ein Teil von mir wollte zu ihm. Der andere Teil kämpfte gegen die Fluchtgedanken.
Mein Gesicht war heiß und es kitzelte in meinen Wangen. Das Training die Woche hatte ich ziemlich intensiv genutzt. Sowas konnte ich nur tun, wenn er nicht da war. Völlig erschöpft stand ich von der Bank auf, griff nach meinem Handtuch und ging duschen.

Während das heiße Wasser über meine Schultern lief, dachte ich an die Märchen von der Schönen und dem Biest oder an Rotkäppchen und den Wolf, die meine Großmutter mir in Kindertagen gern erzählte. In Bezug auf Dimitri, musste ich manchmal unweigerlich daran denken. Mein Alltag mit ihm, war so normal geworden, dass jedes Mal, wenn er ging, alles wie ein gruseliges aber auch schönes Märchen war. Dann holte mich die Realität ein und erschlug mich fast. Der Krieg da draußen, war genauso weit weg, wie nah ran. Sämtliche Gedanken überschlugen sich. Ich schlitterte mit einer unheimlichen Geschwindigkeit in etwas hinein, was ich nicht aufhalten konnte. In den letzten Tagen hatte ich so viel über diesen Mann gelesen, dass ich rein gar nicht wusste, was ich von ihm halten sollte. Viele bezeichneten ihn als unberechenbar und gefährlich. Bilder von Prügeleien, waren auf Titelblättern von Musikzeitschriften und Klatschblättern. Auch in der New York Times musste ich von ihm lesen. Frauen hatten nicht ein gutes Wort für ihn über. Alle hatten eines gemeinsam, sie nannten ihn ein Monster, sie hielt ihn für unberechenbar, gefährlich und unantastbar. Dass er unfähig sei zu lieben und die Menschen manipulierte, damit sie nach seinen Regeln spielten. Wie er Leben und Existenzen zerstörte. 

Loyalty - heart virus (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt