❄︎ 𝟷𝟾 ❄︎

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𝟷𝟾. 𝙳𝚎𝚣𝚎𝚖𝚋𝚎𝚛
❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎

Nur noch ein Stockwerk, dachte Noël, als er die Etage betrat, dann hat die Plackerei ein Ende.

Mit jedem Schritt, den der Student seinem Ziel näher kam, spürte er, wie seine Kräfte nachließen, besonders sein Gehirn war noch etwas schummrig von dem seltsamen Nebel. Jetzt rächte es sich, dass er dieses Jahr noch kein Fitneßstudio von innen gesehen hatte. Oh Mann, stöhnte er nicht zum ersten Mal an diesem Abend, ich war auch schon besser in Form. Warum musste es von allen möglichen Wohnungen auch unbedingt eine unterm Dach sein? Natürlich Altbau und ohne Aufzug. Was auch sonst...

♪ Listened to by the walls, we share the same spaces, repeated in the corridors, performing the same movements ♪

Es war nicht nur die Anstrengung, die Noël das Herz bis zum Hals schlagen ließ, sondern auch die Aufregung wegen der bevorstehenden Wohnungsbesichtigung. Er war so sehr auf sein eigenes, atemloses Schnaufen konzentriert, dass ihn die treibenden Beats geradezu aus den Latschen hauten: Auf die ihn frontal anbrüllende Stereoanlage aus einer der beiden Wohnungen direkt vor ihm nicht gefasst gewesen. Ach du Schreck! Entweder Apartment 19... oder doch 18?

Im Rhythmus der auf ihn einhämmernden Rockmusik flackerte ihm buntes Licht aus dem Briefkastenschlitz entgegen. Also doch die 18 – na, das konnte ja heiter werden. Warum wohnten solche Krawallos immer direkt nebenan? Im Grunde konnte er noch froh sein, dass hier kein Schlager- oder Technoliebhaber wohnte oder Death Metal zu den unmöglichsten Zeiten durchs ganze Haus dröhnte.

Er konnte ja nicht wissen, dass das Flackern nicht davon kam, dass hinter der schweren Holztür eine Achtziger-Jahre-Party stieg oder jemand mit wachsender Begeisterung Guitar Hero spielte. Hätte Noël geahnt, dass in Apartment 18 Professor Schiaparelli soeben die letzte Phase seines Experiments eingeleitet hatte, er wäre auf der Stelle umgedreht und hätte schnurstracks das Haus verlassen, um nicht wieder zu kommen. Er hätte schon Hellseher sein müssen, um zu erkennen, was in diesem Moment auf der anderen Seite der Tür vor sich ging.

Nur noch diese eine Stelle, dachte der Professor, als Noël die Etage betrat. Erschöpft von der kräftezehrenden Arbeit, ließ Schiaparelli ein letztes Mal das Schweißgerät glühen und das Licht durch den Briefkastenschlitz pulsieren, dann legte er sein Werkzeug aus der Hand und packte es zu dem übrigen Chaos auf der Werkbank, um das Ergebnis harter Arbeit und jahrelanger Forschung in Augenschein zu nehmen. Aufgeregt drehte er die Musik leiser, denn es war nun nicht mehr notwendig, nach außen hin verdächtig erscheinende Geräusche durch Rockmusik zu übertönen.

Wenn alles so gelaufen war wie von ihm geplant, würde er heute weder Lötkolben noch Schraubenzieher benötigen. Zu wissen, dass sein haarklein ausgetüftelter Plan nun endlich aufgehen würde, verlieh ihm ein unbeschreibliches Hochgefühl, das nur der nachempfinden kann, der durch Zufall eine alles bisher gekannte auf den Kopf stellende Entdeckung gemacht hat und nach unzähligen schlaflosen Nächten kurz davor steht, den Beweis für sie zu erbringen.

Das Kabinett des Professor Schiaparelli: Er sah die Schlagzeilen schon vor sich.
Rum und Ehre wären ihm sicher, und obendrein wäre er ein gemachter Mann. Und alles tatsächlich nur wegen eines Zufalls.

„Außen kleiner, innen größer – mit dem 208 treten wir in eine neue Zeit ein". So harmlos hatte es 2001 mit einem Artikel über das neue Modell eines französischen Automobilherstellers angefangen. Kopfschüttelnd hatte Schiaparelli das Werbepamphlet überflogen und sich sein Teil gedacht. Doch die Überschrift hatte ihn nicht mehr losgelassen und ihn bis in seine Träume verfolgt. Die Initialzündung aber war Sammlung von Geschichten des Dichters Michael Ende gewesen, auf die er kurz nach dem Besuch einer Vorstellung zweier Illusionisten gestoßen war. „Behälter, die innen größer als außen sind..." Da war es wieder und von da an hatte ihn die Suche nach der ultimativen Formel nicht mehr losgelassen.

Das Kabinett des Professor Schiaparelli, das klang doch so viel besser als Schrödingers Katze, und im Gegensatz zu dem gleichzeitig toten und lebendigen Vierbeiner würde sich so auf einen Schlag das Wohnungsproblem lösen lassen. Und das alles nur dank Michael Ende, der in einer seiner Geschichten eine sechsköpfige oder sogar noch größere Familie in einem kleinen FIAT residieren ließ, und das mitten in einer dichtbevölkerten italienischen Stadt. Doch warum sollte dieses Szenario weiterhin nichts als Fiktion bleiben?

Warum sollte er nicht das (zugegeben geniale) Produkt der überbordenden Fantasie eines Schriftstellers Wirklichkeit werden lassen? Und wenn er schon einmal dabei war: Warum so umständlich? Durch enge Autotüren in das Innere eines luxuriösen Palazzos hineinkrabbeln? Wie unbequem! Denk größer, hatte er über seinen Geistesblitz gegrübelt, bis dann in einem skandinavischen Möbelhaus die Erleuchtung über ihn gekommen war.

Entdecke die Möglichkeiten? Bitte schön, was die Schweden konnten, das konnte er schon lange, und nun hingen die Früchte seiner Arbeit zum Greifen nah.

Das Kabinett des Professor Schiaparelli: Damit war ihm der Beweis gelungen, dass Hausdorffsche Räume tatsächlich möglich waren – und ihm der nächste Nobelpreis für Physik sicher! Er in einer Reihe mit Marie Curie, Max Planck oder gar Albert Einstein! Welche Freude, zu wissen, dass die Berechnungen stimmten...

Wenn sie denn stimmten.

Ein in der Theorie funktionierendes Kabinett war das eine; nun folgte als nächster logischer Schritt, es am lebenden Objekt zu testen. Doch leider waren Katzen gerade nicht zur Hand, und da ein Selbstversuch wegen des womöglich eintretenden überlagernden Zustandes, ähnlich wie in Schrödingers Gedankenexperiment, für ihn von vornherein nicht zur Debatte stand, musste er jetzt nur noch einen oder (noch besser) mehrere Freiwillige finden.

Was für ein glücklicher Umstand, dass weiter oben eine Wohnung zur Besichtigung ausgeschrieben worden war. Bewerber kamen da sicherlich zuhauf. Und den Schritten auf der Treppe nach zu urteilen, war bereits der nächste im Anmarsch.

Freudig wendete er sich von der leiser gedrehten Stereoanlage ab und eilte zur Tür, doch der unbekannte Besucher war bereits weiter gegangen und wendete ihm den Rücken zu.

♪... Storey to storey, building to building, street to street we pass each other on the stairs ♪ verklangen die letzten Töne des Songs hinter der Silhouette des Professors in der spaltbreit geöffneten Wohnungstür und entschwebten, nun deutlich leiser, ins Treppenhaus.

Wir begegnen uns auf den Stufen?, hallte es in Noël nach, leider nur zu wahr, besonders in anonymen Großstädten wie Berlin. Du weißt nie, wer dir auf der Treppe noch alles entgegenkommt und schon gar nicht, wie viele vor dir schon zur Besichtigung angetanzt sind. Wahrscheinlich schon zu viele.

Kopfschüttelnd gab er sich einen Ruck und beschloss, sich jetzt wieder auf die vor ihm liegende Aufgabe zu konzentrieren anstatt sich unnötig einen Kopf zu machen. Und doch ließ ihn die eine Frage nicht los: Was wohl noch alles geschehen würde?

❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎
𝙳𝚊𝚜 𝙺𝚊𝚋𝚒𝚗𝚎𝚝𝚝 𝚟𝚘𝚗 blaupause7
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𝙽𝚘𝚌𝚑 𝚎𝚒𝚗𝚎 𝚜𝚌𝚑𝚘̈𝚗𝚎 𝙰𝚍𝚟𝚎𝚗𝚝𝚜𝚣𝚎𝚒𝚝

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𝟸𝟺 𝚆𝚘𝚑𝚗𝚞𝚗𝚐𝚎𝚗 - 𝙴𝚒𝚗 𝙰𝚍𝚟𝚎𝚗𝚝𝚜𝚔𝚊𝚕𝚎𝚗𝚍𝚎𝚛Where stories live. Discover now