᯽Kapitel 21᯽

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Seufzend richtete ich mich auf. Ayana war unruhig und ich fühlte mich schlecht, wenn ich mich jetzt einfach hinlegen würde, um ebenfalls zu schlafen.
Was wenn sie wach werden würde und Hilfe benötigte?
Was wenn sich ihr Zustand verschlechterte?

Dann war sie alleine und ich könnte nicht helfen. Nein, das wollte und konnte ich nicht zulassen. Zu tief saß der Gedanke daran, dass ich schuld an ihrem jetzigen Zustand sein könnte. Vielleicht war es wirklich meine Schuld. Wenn ich nicht wäre, wäre das überhaupt nicht passiert. Ohne mich müsste sie jetzt nicht so leiden.
Ich wusste nicht was es war, dass sie so quälte. Ich konnte keine äußeren Einwirkungen von Menschen entdecken. Es musste meines Erachtens nach an den Dornen liegen, in die sie hineingefallen war. Was das für welche es waren, konnte ich allerdings auch nicht bestimmen.
Hätte ich früher bloß besser aufgepasst, wenn wir Kräuter und Pflanzen behandelt haben.

Aber wer hätte damals schon ahnen können, dass ich mich mit einem Wolf anfreunden würde? Wer hätte damals schon ahnen können, dass ich aufgrund meiner Augen von meiner eigenen Art verstoßen, verfolgt und geächtet werde? Wer hätte damals ahnen können, dass die Menschheit versucht, sich gegenseitig auszurotten?
Für einen Moment wünschte ich mich zurück in diese Zeit. Zurück zu dem kleinen Fischerdorf in dem ich sorglos und friedlich aufwachsen konnte. Zurück zu den Zeiten, wo Vater und ich glücklich gemeinsam fischen waren und Mutters Bild zufrieden lächelnd auf uns hinabblickte, wenn wir den erbeuteten Fisch am Abend verspeisten. Zurück an die Tage wo sich niemand um Hexen und schwarze Magie scherte, wo die Kinder freiwillig zu mir gerannt kamen, um mit mir gemeinsam zu spielen, wo niemand tuschelnd in der Ecke stand und anklagend auf mich zeigte.

Eiskalt warf mich Ayana's Jaulen in die grausame Realität zurück. Die Wahrheit traf mich mit voller Wucht und riss mich aus meinen unvollendeten Erinnerungen ins Hier und Jetzt.
Keiner wollte mit mir reden. Ich war auf der Flucht. Keine sonnigen Tage in Frieden waren in Sicht. Und wenn jemand mit mir sprach, dann waren es die Tiere oder ich bildete mir ein, Stimmen aus dem Rauschen der Bäume zu vernehmen.

Ayana windete sich und schnappte nach mir. Auch wenn sie mir sicherlich nicht wehtun wollte, schreckte ich dennoch zurück.
Ich sollte aufhören in Selbstmitleid zu versinken und mich stattdessen um die weiße Wölfin kümmern. Sie hatte gerade eindeutig größere Probleme als ich.
Vorsichtig, beinahe schon ängstlich nahm ich die ehemals kühlen Stofffetzen von ihrem überhitzen Körper. Sie hatten Ayana's Temperatur angenommen und waren übernatürlich warm.

Durch Ayana's Leiden angetrieben kroch ich flink aus der Höhle und schlug den Weg Richtung Fluss ein. So langsam hatte ich herausgefunden wie ich dorthin von der Höhle aus gelangte.
Meine Füße setzten über breite Stämme und Steine hinweg, stießen gegen am Boden liegende Äste und verfingen sich im dunklen Gestrüpp am Boden. Zweimal wäre ich fast gestürzt, konnte mich aber noch rechtzeitig fangen. Ich war in Eile und es war dunkel, wie sollte ich da auch viel erkennen können? Meine Augen waren für die Dunkelheit einfach nicht gemacht, musste ich mit bedauern feststellen.
Gerne würde ich mit Ayana nachts den Sternenhimmel beobachten oder auf Beutezug gehen. Obwohl ich ihre Beute vermutlich nur verscheuchen würde.

Ich erwischte mich dabei, mir zu wünschen, ich wäre selbst ein Wolf und könne mit Ayana jagen gehen. Doch ich war nunmal ein Mensch, da konnte man nichts machen.
Misstrauisch drehte ich den Kopf nach rechts und links und suchte das gegenüberliegende Ufer nach Menschen aber auch Tieren ab. Meinen Verfolgungswahn würde ich wohl nicht mehr so leicht los werden, was wahrscheinlich auch sein Gutes hatte. Meine Verfolger hatten die Suche nach mir sicherlich noch nicht aufgegeben. So einfach entkam man solchen Leuten nicht.

Doch für heute blieb das düstere Dickicht stumm und selbst die Vögel der Nacht hatten es sich zur Aufgabe gemacht, keinen einzigen Mucks zu machen. Ein wenig gruselig war das Ganze dann ja schon.
Bevor ich mir weiter darüber Gedanken machen konnte, zog ich die mit kühlendem Flusswasser durchtränkten Stofffetzen meines sowieso etwas zu großen Hemdes aus dem kalten Wasser. Die feuchtkalte Nachtluft stach mir eisig in die Finger und ich beeilte mich, den Rückweg anzutreten.
Der Weg zurück kam mir viel kürzer vor und dennoch hatte ich das Gefühl, ich hätte mich verlaufen, bis ich den bekannten Höhleneingang entdeckte.

Ayana zitterte am gesamten Körper obwohl sie eine furchtbare Wärme ausstrahlte, die sich mittlerweile im ganzen Bau ausgebreitet hatte. Schnell legte ich die Fetzen auf ihren Kopf und den Rücken. Augenblicklich zuckte sie zusammen, beruhigte sich aber kurz darauf wieder und bewegte sich etwas weniger. Dennoch bereitete es mir Sorgen, dass Ayana sich vermutlich vergiftet hatte und ich keinerlei Plan von Gegenmitteln hatte. Mehr als kalte Umschläge machen, konnte ich noch nie.

In der Hoffnung, Ayana wenigstens bis zum Tagesanbruch einige ruhige Stunden schenken zu können, machte ich mich erneut auf den Weg nach draußen. Was genau ich suchte, wusste ich selber nicht so genau. Vielleicht irgendwelche heilenden Kräuter? Oder eine plötzliche Erleuchtung, wie man meiner Wolfsfreundin helfen konnte?
Schon im Gang nach draußen wurde ich von Ayana's erneutem Jaulen unterbrochen. Sofort kehrte ich um und ließ mich neben der schwachen Wölfin auf einem der Felle nieder. Mir tat es weh, sie so leiden zu sehen, ohne ihr helfen zu können. Was sie wohl gerade durchlebte?

Auch wenn ich nicht schlafen konnte, so war ich doch müde und brauchte etwas, um mich wachzuhalten.
Wenn Ayana wach werden würde, hatte sie sicherlich Hunger, wäre es da nicht gut, wenn ich ihr gleich etwas zum Stärken anbieten könnte?

Allerdings musste ich mir selbst eingestehen, dass ich weder vom Jagen noch von Wildfrüchten wirklich Ahnung hatte. Damals hatte ich immer alles schon fertig gekocht vorgesetzt bekommen.
Nur Fischen, das konnte ich einigermaßen. Aber nicht mit bloßen Händen.
Wie unpraktisch die Menschen doch waren. Nichts konnten sie alleine tun, für alles brauchten sie ihre ach so tollen Hilfsmittel. So langsam fing ich an meine eigene Art zu verachten. Sie hatten mich ausgeschlossen weil ich ein klein wenig, eigentlich fast gar nicht, anders war. Sie hatten sich gegenseitig bekriegt. Keine andere Art tat das. Klar es gab Vögel, Spinnen, Fische die sich gegenseitig aßen, aber diese hatten auch einen Grund dazu. Das gehörte zur Natur. Aber Menschen gehörten nicht zur Natur, oder taten zumindest so als würden sie nicht dazugehören.

Auch wenn mich meine eigene Art verstoßen hatte, so konnte ich dennoch nicht auf die Erfindungen ebendieser verzichten. Um Ayana zu helfen und mich selbst zu beschäftigen, wollte ich ein Netz fertigen, eines der wenigen Dinge, die ich konnte und auf die ich wirklich stolz sein durfte.
In einem der Nebengänge entdeckte ich eine Vielzahl an dünnen, aber dennoch stabilen Wurzel, die an den Wänden herauswuchsen und die ich ganz einfach herausziehen konnte.
Schon allein das war eine willkommene Ablenkung, bei der ich meine düsteren Gedanken und die Angst um Ayana vorerst beiseite schieben konnte.

Als ich fürs Erste genug Wurzeln für ein Stück des Netzes herausgezogen hatte, setzte ich mich wieder neben Ayana, die keuchend auf dem Boden herumrollte.
Vorsichtig versuchte ich sie noch einmal zu wecken, ohne Erfolg. Zu sehr schien sie in ihren Halluzinationen festzustecken. Ich würde ihr ja gerne helfen, aber ich wusste nicht wie. Die Umschläge, die ich erst vor kurzem gewechselt hatte, hatten inzwischen erneut eine feuchtwarme Temperatur angenommen, musste aber meines Erachten nach noch nicht gewechselt werden.
„Ayana, auch wenn du mich vielleicht nicht hörst, ich bin bei dir.." schickte ich ihr ohne wirklich zu wissen, ob meine Worte durch ihr verschwommenes Wahrnehmungsfeld überhaupt zu ihr durchdrangen.

Shadows from the forestWhere stories live. Discover now