KPOP-Adventskalender 2022

1. Türchen - joonshyung

tw: prügeleien, erwähnung von homophobie, mobbing
betreffende abschnitte sind mit ! gekennzeichnet, aber ich schwöre, dieser oneshot ist süßer als der letzte <3
viel spaß beim lesen!!

UNTERM EIS

―﹙❅﹚―

Es regnete, als Taehyung und seine Mutter in der Stadt ankamen. Sie waren Stunden lang gefahren, Stunden über grünes Land und graue See. Als sie aufgebrochen waren, war es noch blasse Dämmerung gewesen, der Mond hatte als abnehmende Sichel kaum zwischen den Nebelschwaden hindurch gesehen, die über den Gleisen am Bahnhof lagen, und nun, als sie ankamen, war es beinahe noch dunkler. Die Straßenlaternen, die versuchten, die Gehwege zu erhellen, kamen kaum gegen die Schatten an und der Mond war bereits mittags wieder untergegangen.

Sie liefen in Schweigen die kleinen Straßen entlang. Das Kopfsteinpflaster glänzte noch vom Regen des Tages und der Rollkoffer seiner Mutter stolperte über jede der Unebenheiten darin. Sein Poltern nervte Taehyung schon nach wenigen Schritten, doch er biss sich auf die Lippe und sagte nichts. Das war untypisch für ihn, aber an diesem Abend respektierte er die Stille, die in der Nacht und den müden Augen seiner Mutter lag. Er spürte, dass sie sich Sorgen machte.

Am Morgen hatte sie es noch mit Enthusiasmus versucht, aber ihnen war wohl beiden klar, dass es sinnlos war, so zu tun, als wäre es nicht traurig, die Stadt hinter sich zu lassen, in der sie schon ihr ganzes Leben lang gelebt hatten. Es war trostlos gewesen mit all dem Gepäck, das nicht in den Umzugswagen gepasst hatte, in den Zug zu steigen und zu sehen, wie die Silhouette ihrer Heimat langsam hinter den Bäumen verschwand.
Dabei war es nicht so, als hätte Taehyung seine Heimatstadt besonders gern gehabt. Sie hatte ihn angeödet, mit ihren vielen gleichen kleinen Häusern, dem ständigen Regenwetter und der ganzen Spießbürgerlichkeit. Ihm war so oft langweilig gewesen und aus seiner Langeweile hatte sich vielleicht zu oft Frustration entwickelt, sodass er nicht sagen konnte, dass er es übermäßig vermissen würde, dort zu leben.

Trotzdem war es ernüchternd, als sie schließlich die kleine Stadt und dann das Haus erreichten, das ihr neues Zuhause werden sollte. Darin standen schon einige ihrer Möbel und Kisten und seine Mutter hatte bei ihren vorigen Besuchen hier ihre Betten bereits zurecht gemacht. Dennoch entschied sich Taehyung, seine Matratze aus dem Bett zu ziehen, das in seinem neuen Zimmer stand, und mit im Schlafzimmer seiner Mutter zu schlafen, als wäre er noch ein kleiner Junge. Aber so fühlte er sich in dieser Nacht auch, in diesem Haus, dieser Stadt, die er nicht kannte und auch nie hatte kennenlernen wollen.

»Schlaf gut, Taehyung«, sagte seine Mutter, als sie beide unter ihren Decken lagen, die sie vor der zugigen Kälte der noch ungeheizten Räume schützten, und dem leisen Regen lauschten, der draußen wieder eingesetzt hatte. Ausgerechnet das Wetter hatten sein altes und sein neues Zuhause scheinbar gemeinsam.
»Und merk dir, was du träumst. Immerhin sagt man hier, was man in der ersten Nacht in einem neuen Haus träumt, wird wahr.« Sie strich Taehyung über den Kopf und er fiel schnell in einen tiefen Schlaf.

―﹙❅﹚―

Taehyung hatte in dieser Nacht vom Blau und Grün auf dem Grund eines Sees geträumt. Von Regentropfen, die wie Meteoriten Krater in die Wasseroberfläche schlugen, einer Kälte, die ihm bis in die Knochen drang und einer Schicht Eis, die alles überzog. Aber nach einer Weile war noch etwas anderes in seinem Traum aufgetaucht: ein Jungen, in dessen Nähe auf einmal alles schmolz und ihm so warm wurde, dass er nichts mehr vom Druck des Wassers über sich oder der Schicht aus Eis um sein Herz spürte.

Für gewöhnlich glaubte Taehyung nicht an Sprichwörter oder abergläubische Weisheiten. Er hatte früher Leute gekannt, die sich von jeder ausgefallenen Wimper etwas gewünscht hatten, während es hier angeblich hieß, die Menschen ließen sich ihre Wünsche vom Vollmond erfüllen. Überall glaubte man an etwas anderes und nichts davon ließ sich belegen, weshalb er es für Zeitverschwendung hielt, sich damit zu beschäftigen.