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Ein roter Fleck bildete sich auf ihrer rechten Wange, es würde wohl nicht blau werden, dafür hatte er nicht fest genug zugeschlagen. Jennifer öffnete ihre Haare, doch ihre Locken sprangen einfach zur Seite, statt ihr Gesicht zu verstecken. Die Tür hinter ihr öffnete sich leise und schloss sich wieder, ihre Mutter drehte ihr Gesicht zu sich. Ohne etwas zu sagen, flocht sie ihre Haare und verteilte dann vorsichtig Make-up auf der roten Stelle. Die Stille zwischen ihnen war unangenehm, doch gab es nichts zu sagen. Nach ein paar Minuten war nichts mehr zu sehen, zumindest nicht bei ihr. Das Auge ihrer Mutter war allerdings schon stark geschwollen und ihre Lippe blutete. „Ich werde ihn diesmal nicht mehr hereinlassen, versprochen. Dich zu schlagen war ..." Sie seufzte. „Du musst jetzt zur Schule." Jennifer ging in das winzige Wohnzimmer, stieg über die Lampe und einen Haufen Scherben, um zu ihrer Jacke zu kommen. Bevor sie ging, drehte sie sich zu ihrer Mutter um, die kniete am Boden und hob gerade eine Flasche auf. „Bis später." Ihr Stiefvater war in aller Früh nach Hause gekommen, er hatte getrunken, aber nicht genug, um einfach umzufallen. Jennifer wusste nicht, worüber er sich aufgeregt hatte, als sie durch den Lärm aufwachte und nachsehen ging, saß ihre Mutter am Boden und weinte. Ohne nachzudenken war sie zu ihr geeilt, danach war irgendwie alles verschwommen in ihrer Erinnerung. „Du bist wie deine Mutter, weißt nicht, wann du still sein musst." Er hatte an ihren Haaren gezogen, woraufhin sie ihn getreten hatte, damit er loslässt. Dann landete seine Hand in ihrem Gesicht, bevor er sich übergab und im Badezimmer verschwand. Das Weinen ihrer Mutter war plötzlich verstummt und sie stand entschlossen auf, das Geschreie ging im Badezimmer weiter. Jennifer saß am Boden und hielt sich die Wange, als er an ihr Vorbeitorkelte mit einer Tasche in der Hand. Und dann war er einfach weg, wieder einmal. Keiner durfte davon erfahren, sie musste es geheim halten! Dieses Gefühl begleitet sie den ganzen Tag, es nagte an ihr. Der Schultag war seltsam normal, niemand vermutete irgendetwas, doch am Heimweg holte sie ihre Realität wieder ein. Ihr Stiefvater saß auf den Treppen, die zur Wohnung führte. So schnell sie konnte, drehte sie um und ging zurück. Jennifer endete an dem einzigen sicheren Ort der ihr einfiel. „Hallo, was machst du den hier?" Laura schien überrascht, aber öffnete die Tür weiter und deutete ihr hereinzukommen. Lauras Vater stand hinter ihr und lächelte. „Hallo Jennifer, ich mach' gerade Essen, willst du mitessen?" 

„Jen? Wo bist du den gerade?" Jennifer löste endlich ihren Blick vom Abdeckstift, den sie in der Hand hielt. „Ah, ich war wirklich grade nicht anwesend. Sorry!" „Man, du sprichst jetzt auch schon ständig Englisch mit mir. Matt färbt ganz schön auf dich ab." Laura stand auf und holte ihr Glätteisen aus, eine der Laden ihres Schreibtisches. „Ich beeil' mich damit und dann mach' ich deine." „Nein, heute nicht!" "Warum?" „Ich glaube, ich mag meine Haare eigentlich so wie sie sind ganz gerne." Ein breites Grinsen huschte über Lauras Gesicht, bevor sie aufstand und das Glätteisen wieder weglegte. „Lassen wir unsere Haare beide, wie sie sind." Es klopfte an der Tür. „Werdet ihr jemals fertig, Mädels?" „Gib uns noch fünf Minuten, dann können wir gehen." Lucas jammerte lautstark darüber, wie lange sie brauchten und Matt stimmten vom Wohnzimmer aus mit ein. „Ich bin so froh, dass wir endlich mit dem bescheuerten Projekt fertig sind. Heute können wir richtig Party machen!" „Müssen wir wirklich dort hin?" „Ja müssen wir und ich habe es dir doch schon erklärt! Sie ist wirklich nicht, wie wir dachten. Sarah ist einfach ... kompliziert, aber kann auch sehr nett sein. Gib ihr eine Chance, mir zuliebe. Los gehen wir." Die letzten Wochen bestanden zu einem großen Teil aus Arbeit und sie war froh über etwas Ablenkung. Es war ihr zuwider, ständig an ihre Mutter zu denken, die offensichtlich schon weiterlebte, als ob nichts passiert wäre. Ihre Oma hatte sich um alles gekümmert, das Jugendamt wusste Bescheid und sie lebte ganz offiziell bei ihr. Jennifer war sicher, aber es war ihr nicht möglich, damit abzuschließen. Gerade heute, wo sie entspannen sollte, gelang es ihr nicht. Sarahs Geburtstag fand in einer Kellerbar statt, die nicht weit entfernt von Lucas und Lauras zu Hause war, weshalb sie beschlossen zu Fuß zu gehen. „Gut, dass es nicht mehr so kalt ist!" Sagte Lucas und sah zu ihr hinüber. „Du solltest die Haare immer so tragen, sieht gut aus." „Danke, aber das würdest du nicht sagen, wenn du mich direkt nach dem Aufstehen siehst." Matt lachte und nickte. „Ich überlege mir jeden zweiten Tag, ob ich sie nicht doch kurz tragen soll deswegen." Sarah winkte ihnen aus der Ferne zu und Lucas beschleunigte seine Schritte. „Hi, ich dachte, ihr findet den Eingang vielleicht nicht." Nach einer etwas steifen Begrüßung verlief der Abend ganz gut. Obwohl sie keine Hilfe mehr von Matt brauchte, verbrachten sie viel Zeit miteinander, erst gestern hatte sie seinen Roman zu Ende gelesen. Jennifer war mehr als begeistert von dem vorläufigen Ergebnis gewesen. Es war zu erkennen, dass er schon seit Jahren schrieb, jede Woche saß er für Stunden am Computer und arbeitet daran. Einer der Gründe, warum er immer zu wenig Schlaf bekam und dann noch die Gespräche mit seiner Schwester, die er durch die Zeitverschiebung auch nur nachts anrufen konnte. Ihre Finger fuhren über den Holztisch an dem sie Platz genommen hatten.

ꕤ Vergissmeinnicht ꕤDonde viven las historias. Descúbrelo ahora