Kapitel 9

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Der Anblick, den der Blondschopf bot, war armselig. Es fiel Shota schwer, sich nicht selbst dafür hart zu bestrafen für das, was er dem Mann angetan hatte, den er liebte. Hizashis Haut war blass, seine Wangen eingefallen, und die Ausstrahlung, die Aizawa selbst dann gefühlt hatte, wenn Yamada schlief, schien wie weggeblasen. Der Mann, den er über alles liebte, war nur mehr ein Schatten seiner selbst und es war seine Schuld.

Seit gefühlt einer Ewigkeit saß er bereits neben dem Bett, machte sich leise Vorwürfe und dachte darüber nach, wie er es jemals wieder gut machen könnte. Die Ärzte hatten ihm gesagt, dass Yamada vermutlich erst in ein paar Stunden aufwachen würde, wenn er überhaupt den Willen dazu aufbringen konnte. Besorgt darüber, dass sich das Drama nun wiederholen würde, hatten Izuku und Shinsou ein paar Getränke und etwas zu essen besorgt, damit Shota bei Kräften blieb, während er wartete. Natürlich hatte er es ohne Widerworte angenommen, um den Kindern nicht noch mehr eine Last zu sein und versprochen, auf sich zu achten, ehe sie mit Kayama zurück zur Schule gefahren sind, damit sie ihren Klassenkameraden endlich berichten konnten, dass ihr Klassenlehrer wieder auf den Beinen war.

Shota schien jegliches Gefühl für Zeit verloren zu haben, bis Hizashis Augenlider endlich zu flattern begannen, ehe er sie aufschlug und benommen an die Decke starrte. Sofort rutschte der Dunkelhaarige in seinem Stuhl etwas nach vorne und strich sanft mit seinem Daumen über die Handfläche des Blondschopfs. Seit Stunden hielt er Hizashis Hand, in der Hoffnung, es würde ihm dabei helfen, zu ihm zurück zu kommen. „Guten Morgen, Sonnenschein", flüsterte er sanft in die Richtung seines Ehemannes, der seinen Kopf nur langsam zur Seite wandte, als er die Stimme hörte.

Unzählige Emotionen schienen über sein Gesicht zu huschen, als die grünen Augen auf Aizawa fielen. Fast schon hätte Shota damit gerechnet, dass der eben erwachte mit ihm schimpfen würde. Doch stattdessen füllten sich Hizashis Augen mit Tränen. Ein Schauspiel, dass der Dunkelhaarige seit Jahren nicht mehr miterlebt hatte. Das letzte Mal, waren sie noch Kinder gewesen. Als ihm das in diesem Augenblick bewusst wurde, kletterte Shota prompt ins Bett, um Yamada an sich zu drücken und zu trösten. Tatsächlich klammerte sich der Blonde sofort an sein T-Shirt, als hätte er Angst, dass alles nur ein Traum war.

Für eine Weile saßen beide da, während Hizashi stumm weinte und Shota sanft über seinen Arm strich. Nur ab und an war ein Schluchzen zu hören, auch wenn er versuchte es zu unterdrücken aus Angst, er könnte seine Macke unbedacht einsetzen. Erst nachdem die letzte Träne seine Wange hinab geglitten war, holte Yamada tief Luft. „Es tut mir leid", murmelte er leise in Shotas Halsbeuge, „ich weiß, dass ich der Starke von uns beiden sein muss, aber ich habe versagt ... ich konnte einfach nicht ... es war einfach ... zu viel ... alles hat mich an damals erinnert ..." Immer wieder schluchzte der Blonde, ehe er sich auf die Lippen biss, um sich selbst davon abzuhalten, weiter Geräusche von sich zu geben.

Überrascht über seine Worte, hielt Aizawa inne. Hatte er seinem Mann wirklich das Gefühl gegeben, dass er der Starke sein musste? Bisher war es ihm noch nie aufgefallen, doch nun fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Obwohl Hizashi oft der war, der seine Emotionen wie ein offenes Buch zu zeigen schien, hatte er sich jedoch niemals erlaubt so etwas wie Trauer oder Schwäche zu zeigen. Er war stets der Gefasste der beiden gewesen, während Aizawa sich allen Gefühlen hingegeben und sich in seiner Trauer gesuhlt hatte. Dabei hatte der Blondschopf bisher genau das Gleiche durchmachen müssen wie er. Niemand hatte jedoch auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass Yamada genauso traumatisiert worden war wie er, als Oboro vor ihren Augen starb. Nicht einmal er selbst hatte dem anderen das Gefühl gegeben, dass er sich auf ihn stützen konnte. Stattdessen hatte er Hizashi lange Zeit von sich gestoßen und ihm die kalte Schulter gezeigt, weil er sich selbst in seiner Trauer gesuhlt hatte. Vermutlich hatte dieses Verhalten dem anderen das Gefühl gegeben, dass er selbst solche Gefühle aus seinem Leben verbannen musste, um Shota aus seinen Sumpf ziehen zu können.

Obwohl die Schuldgefühle im Moment schwer auf ihm lasteten, versuchte er sich nicht davon runter ziehen zu lassen. Diesmal musste er der Starke sein. Das war er Hizashi einfach schuldig. Vorsichtig und darauf bedacht, seinem Geliebten keinen weiteren Schmerz zuzufügen, griff er sachte unter sein Kinn, um seinen Kopf anzuheben, damit er ihm in die Augen sehen konnte. „Es tut mir unendlich leid, dass ich dir das Gefühl gegeben habe. Du hast es genauso verdient, traurig zu sein und nicht immer den Starken zu spielen zu müssen. Ich weiß es zu schätzen, dass du bisher immer mein Fels in der Brandung warst, aber ich lasse nicht zu, dass du daran zerbrichst. Es war nie meine Absicht, dich in den Abgrund zu stürzten mit meinem kopflosen Verhalten", entschuldigte er sich aufrichtig, „diesmal werde ich der Starke sein." Dieses Versprechen fiel ihm schon jetzt unglaublich schwierig, da alles in ihm schrie, sich selbst dafür zu bestrafen, dass er Hizashi so viel Schmerz zugefügt hatte. Doch ein Versprechen war bindend und sich selbst weiter ins Unglück zu stürzen, würde nicht nur ihm selbst schaden, sondern auch dem Blondschopf, der es verdient hatte, eine Pause einzulegen und diesmal der zu sein, der sich anlehnen konnte. „Ich liebe dich", flüsterte er und versuchte sanft zu lächeln, um Hizashi aufzumuntern und ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.

„Ich liebe dich auch ...", antwortete Hizashi mit ungewohnt leiser Stimme, „danke ... dass du noch da bist ..." Es war für ihn immer noch kaum zu glauben, dass Shota neben ihm saß und ihn festhielt. Sein Gesicht wich keine einzige Schramme mehr auf, wenn man von der hässlichen Narbe unter seinem Augen absah. Ganz anders, als er ihn in Erinnerung hatte. Vielleicht war das alles doch nur ein Traum, ein letzte Wiedersehen, bevor sie beide dieses Leben verließen. Doch der Körper neben ihm fühlte sich warm an, und die Berührungen erschienen so echt, dass es einfach die Realität sein musste. Sein Shota war am Leben und hielt ihn fest, damit er nicht weiter absinken konnte. Erneut rollten Tränen über seine Wangen. „Verlass mich bitte niemals", flüstere er leise.

„Das werde ich nicht. Versprochen", versprach Shota mit ernster Miene, ehe er sich leicht nach unten beugte und Hizashi küsste, um dieses Versprechen zu besiegeln. Es tat ihm unglaublich weh, Yamada so gebrochen zu sehen und er würde dafür Sorge tragen, dass der Blondschopf nie wieder so etwas durchmachen musste, wenn es sich verhindern ließ. Er würde alles in seiner Macht stehende tun, um so etwas nie wieder zuzulassen und von nun an auch darauf achten, dass Hizashi nicht mehr die Last tragen musste, für sie beide stark zu sein.


~ Ende ~

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