13 ◉ Wy ◉ Wahrheit oder Flucht?

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Wieso tust du's dann nicht?

Ich schließe meine Augen, weil ihre Frage hundertfach in meinem Kopf nachhallt wie ein verdammtes Echo, vor dem es kein Entkommen gibt. Ungefragt prasselt es immer wieder von allen Seiten auf mich ein. Am liebsten würde ich mir die Hände auf die Ohren pressen, damit es endlich aufhört. Ich mache es nicht, weil ich weiß, dass es nichts bringen würde. Würde bei ihr wahrscheinlich auch etwas seltsam ankommen.

Verrückt, dass sie denkt, sie wäre die Verrückte von uns beiden.

Stattdessen balle ich die Hände zu Fäusten und frage mich, wie sie mich so schnell durchschauen konnte. Wir haben kaum miteinander geredet und seit sie hier wohnt, habe ich mich bemüht, die Fassade einigermaßen aufrecht zu erhalten. Keine Alkoholexzesse, kein Kiffen, keine Pillen, keine wilden Partys, keine Frauen. Jedenfalls nicht hier im Haus.

Eigentlich will ich gar nicht wissen, wie tief unten ich gerade bin. Und sie soll es erst recht nicht sehen. Aber dafür ist es anscheinend zu spät.

Was jetzt, Wy? Zur Abwechslung mal die Wahrheit? Oder lieber das, was du so verflucht gut kannst? Was du immer machst, wenn's brenzlig wird? Und was, wenn du mal ehrlich bist, noch nie die richtige Lösung war. Ganz besonders damals nicht ...

Mit beiden Händen fahre ich mir durch die Haare, öffne gleichzeitig meine Lider und sehe direkt in ihre grauen Augen. Bisher lag in ihnen immer ein Hauch von Unsicherheit und Angst, doch der ist verschwunden. Der neue Ausdruck darin verwirrt mich kurz, doch dann wird mir klar, was es ist. Ich verdränge energisch das warme Gefühl, das sich sofort in meinem Inneren breitmachen will.

Fuck Tia, du solltest mir nicht vertrauen. Verdammt, ich hoffe wirklich für dich, dass es nur der Wein ist, der dich so zutraulich macht.

Sie ist so nah, dass ihre schnellen, etwas zu flachen Atemzüge meinen Hals streifen. Die kribbelige Aufregung, die das in meiner Magengegend auslöst, ignoriere ich lieber. Genauso wie die völlig übertriebenen Schauer, die von dieser Stelle aus über meinen Arm und meinen Rücken rieseln.

Was hab ich mir bloß dabei gedacht, ihr so nahe zu kommen? Inzwischen drängt sich auch noch unaufhaltsam ihr Duft in meine Nase und übertüncht gnadenlos den Geruch von Rosen und Kerzenwachs, der schwer in der Luft hängt. Verdammt, sie riecht viel zu gut. Nach exotischen Früchten, vermischt mit dem Hauch irgendeines teuren Parfums.

Kurz driften meine Gedanken zu der kleinen, braunen Flasche ab, die im Küchenschrank auf mich wartet. Sie ruft nach mir, brüllt mich fast schon an, zu ihr zu kommen. Ich weiß, dass sie mir alles sehr viel leichter machen könnte. Aber mich im Alkohol zu ertränken funktioniert leider immer nur für eine sehr kurze Zeit.

Und die Kleine vertraut mir ...

Also schön, diesmal keine Flucht. Nichts als die schonungslose Wahrheit.

»Vielleicht gibt's nichts mehr, wofür das Aufstehen lohnt, Sternchen.«

Sie zieht die Augenbrauen zusammen und auf ihrer Stirn bildet sich eine kleine Denkfalte. Das flackernde Spiel des Kerzenlichts setzt ihr hübsches Gesicht perfekt in Szene. Ich weiß genau, dass ich mich von diesem Anblick losreißen sollte, weil er gerade dabei ist, sich in mein Gedächtnis einzubrennen. Ich weiß verflucht sicher, dass ich unbedingt Abstand zwischen uns bringen sollte. Nicht nur ein paar Schritte, ein paar Zimmer wären besser. Fuck nein, ein paar Kilometer wären am besten. Ich sollte einfach ins Auto steigen, wegfahren und für eine ganze Weile nicht zurückkommen. Vorzugsweise erst dann, wenn sie wieder weg ist.

Aber ich krieg es nicht hin. Ich bin wie festgewachsen.

Plötzlich erhellt sich ihre Miene, als hätte sie gerade die ultimative Lösung für mein kleines Problem gefunden. Sie lächelt mich an und ich bin mir nicht sicher, ob ich schon jemals so etwas verflucht Schönes gesehen habe. Es ist fast, als würde direkt vor meinen Augen die Sonne aufgehen.

Verflixter Rapper!Where stories live. Discover now