11 | Rabenmutter

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Es war angenehm leise um mich herum, als ich langsam die Augen aufschlug. Nur eine Leselampe erhellte sperrlich das Wohnzimmer.

Trixi!

Augenblicklich saß ich kerzengerade auf dem Sofa. Ich war einfach eingeschlafen und hatte dabei meine Tochter vergessen! Was für eine Rabenmutter war ich bitte?

Erst als ich Viktors warme Stimme  vernahm, wusste ich auch, weshalb ich so gut geschlafen hatte. Er war hier.

"Samira, alles okay bei dir?"

Mein Blick wanderte zu Viktor, welcher es sich keine zwei Meter weiter in Mutters olivgrünem Ohrensessel bequem gemacht hatte. So lässig sah ich ihn sonst nie irgendwo sitzen.

"Trixi?", fragte ich nur, weil ich sie nicht im Wohnzimmer entdecken konnte.

"Sie schläft schon."

"Sie ..." schläft schon? Meine Augen huschten zu der Wanduhr, und ich erschrak. "Mein Gott Viktor, du hättest mich wecken können."

Es sollte nicht wie ein Vorwurf klingen, wirklich nicht. Aber es war kurz vor Mitternacht. War er etwa die ganze Zeit über hiergeblieben?

"Du hast so gut geschlafen. Wir wollten dich nicht wecken." Er hob lediglich die Schultern. "Außerdem habe ich Trixi gefragt, wann sie immer zu Bett gehen muss, ihr dann beim Zähne putzen zugeschaut, und ihr schließlich die Geschichte von Struppel und der kleinen Raupe vorgelesen."

Schweigend gaffte ich Viktor an. Ich wusste ehrlich nicht, was ich sagen sollte. Viktor deutete meine Sprachlosigkeit wohl falsch, denn er zauberte plötzlich wieder seinen altbekannten kühlen Viktor-Ausdruck aufs Gesicht.

"Viktor", hauchte ich schließlich erstaunt. "Sie ist mit dir zu Bett gegangen?" Meine Augen wurden feucht, und ich legte mir meine Hand aufs Herz. "Das bedeutet mir so viel."

Er konnte es nicht wissen, vielleicht nur ahnen, aber Trixi ging nur mit ihrer Oma oder mir schlafen. Dass sie das mit einem Mann gemacht hatte, war ohnehin schon eine Weile her. Natürlich hatte sie Jackson damals auch ein paar Mal ins Bett gebracht, doch meistens war ich es gewesen.

Eigentlich hätte ich auch nicht erwartet, dass Trixi ohne mich einschlafen konnte. Mit ihrer Oma war das selbstverständlich etwas anderes, denn sie sah sie auch tagtäglich. Aber Viktor kannte sie doch nicht so gut. Ich wusste, dass sie ihn sehr gerne hatte, aber gleich so gern, dass sie während seiner Anwesenheit einschlief?

Viktors Gesichtsausdruck wurde schlagartig wieder weicher. Er lächelte sogar leicht.

"Zuerst haben wir gekocht. Trixi wollte unbedingt Nudeln machen. Also falls du Hunger hast ... uhm ... stehen in der Küche noch welche. Soll ich dir eine Portion bringen?"

Ich schüttelte den Kopf. "Ehrlich gesagt bin ich noch etwas matt. Ich weiß nicht, ob ich etwas runterbringe. Aber danke."

Wie zuvorkommend und hilfsbereit er war! Ich wusste, dass ich mich auf ihn verlassen konnte, aber bis jetzt war das stets in der Arbeit gewesen. In unserer Freizeit hatten wir bis jetzt nie häufig miteinander zu tun gehabt. Ganz am Anfang, als ich seinem Vater das Leben gerettet hatte, da schon. Aber da hatte ich ja auch noch nicht in seiner Firma gearbeitet.

Seinem Vater ging es mittlerweile schon wieder ziemlich gut. Jedoch hatte dieser für sich entschieden, dass es das beste wäre, wenn er in den Ruhestand ging. Was er auch getan hatte. Denn seit eineinhalb Jahren gehörte die Firma ganz offiziell Viktor Heinrich Johannes Ark.

"Ich habe die Nudeln nur mit einem Pesto gemischt, weil ich eigentlich keine Ahnung vom Kochen habe. Trixi hat mir erklärt, wie lange die Nudeln im Wasser bleiben müssen." Um seine Mundwinkel zuckte es abermals.

Zwischen den Sternen | ✔️Where stories live. Discover now