III. Gebete und Flüche

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VOM TODE UNBERÜHRTIII

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VOM TODE UNBERÜHRT
III. Gebete und Flüche

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Der Priester erzählte ihnen eine Geschichte, die so abscheulich war, dass Chaja sie sich niemals hätte ausdenken können. Eine Geschichte von Chaos, Tod und Schrecken, die die Länder durchstreiften, die Karatschun aus dem Reich der Mythen auferstehen ließen und die tiefsten Ängste aus ihrem leichten Schlummer weckten. Diesen Mittwinter würde Karatschun mit Hilfe einer Hexe unter ihnen zurückkehren und Lasow, nein, ganz Morotenija heimsuchen.

Als er geendet hatte, vergrub Uljana ihr tränenüberströmtes Gesicht in Chajas Kleid, und Ilja, dessen Gesicht bis zu den Lippen erbleicht war, griff nach der Hand seiner Schwester, ebenso wie Majda nach ihrer. Unter dem Esstisch verschränkten sich ihre steifen Finger, als fürchteten, sich schon im nächsten Moment zu verlieren. 

Dorka fiel auf die Knie und betete. Ihr ganzer Körper zitterte unter lautlosem Schluchzen. Abram beobachtete die Szene lediglich, aber mit grimmigem Blick, der zeigte, er wäre bereit, seine Familie zu schützen. Um jeden Preis.

Und als sie kurz davor waren, in den dunklen Abgrund der Angst zu stürzen, führte der Priester sie zurück ans Licht. Er streckte die Hand nach Dorka aus, legte seine knorrigen Finger auf ihren Kopf und lächelte sanft.

„Du musst keine Angst zu haben, Kind. Svet hat uns zu dir geschickt, um dich zu beschützen. Er wacht über uns alle", sprach er mit einer so warmen und hellen Stimme, als käme sie von Svet selbst. Und als wäre der Priester tatsächlich seine Verkörperung, umklammerte Dorka seinen Kaftan und tränkte dessen Stoff mit kindlichen Tränen.

Die Szene verweilte noch in Chajas Gedanken, als sich längst Schlaf übers Haus legte. Selbst Ulja konnte sich in ihrem warmen Bett auf dem Ofen einkuscheln und sich in ihren Träumen vor all dem Schrecken über Karatschun, böse Hexen und Verlust verstecken. Aber zu Chaja wollten er nicht kommen.

Vielleicht, weil sie nicht aufhören konnte, über diese Hexe nachzudenken, die Lasow beherbergen sollte.

Vielleicht, weil die Anwesenheit des namenlosen Priesters und seines Soldaten Davor Kazminov zu schwer auf diesem Haus lastete und durch jeden ihrer Atemzüge spürbar zu werden schien.

Vielleicht, weil sie, obwohl sie es nicht zugeben wollte, ebenfalls Angst hatte.

Karatschun zurück, um Leid und Tod zu bringen – konnte das denn sein? Chaja wusste sehr wohl, dass ein Teil von ihm real war. Er war der Mangel, der verhungern ließ, die Kälte, die erfror, das Fieber, das dahinraffte. Der Tod hatte viele Gesichter. Doch er war an diese Formen gebunden, um ein menschliches Leben zu nehmen, und kam immer, egal wie grausam, natürlich.

Aber konnte er denn wirklich der Fremde aus den Märchen sein, der um Mitternacht an die Tür klopfte, gerufen von einer vyed'ma? Hörten die Alten Götter die Stimme einer einfachen Hexe überhaupt?

Vom Tode unberührtWhere stories live. Discover now