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CLOVE


Die große Hand schließt sich um meine, der Händedruck stark. Sein Unterarm ist muskulös, die Adern treten deutlich hervor und zeichnen sich unter seiner braungebrannten Haut ab. Das weiße Hemd, das wohl eher hastig als sorgsam aufgerollt wurde, schneidet leicht in seiner Armbeuge ein und verdeckt jede weitere Sicht auf seine körperliche Form. Meine Hand wirkt dagegen zierlich, klein und... schwach. Doch ein Blick in seine Augen sagt mir, dass er sich meiner Stärke bewusst ist. Hinter den hellbraunen Farbkreisen verbirgt sich Respekt für mein Können, das jedem in meinem Distrikt bekannt ist. Die Jubelschreie und Rufe nach meinem Namen sind in diesem Moment komplett nebensächlich. Meine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen, das unaufhaltsam bis zu meinen Augen hinauf wandert. Ich hoffe inständig, dass es meine Angst vor dem was kommt, vollständig verschleiert. 

Das Gebäude am Hauptplatz von Distrikt 2 hat sich seit ich denken kann nicht verändert. Die imposanten großen Tore, stets verschlossen, gaben immer nur für einen kurzen Moment einen Blick hinein preis. Schon immer habe ich mich gefragt, wie es dahinter aussieht, wohlwissend, dass ich es mit 18 Jahren erfahren werde. Die großen Steinstiegen hinauf zu den Verabschiedungsräumen sind der Inbegriff dessen, wofür wir bekannt sind. Egal wohin meine Augen sich wenden, überall treffen sie auf geschliffenen, perfekt verarbeiteten Stein. Die Friedenswächter stehen aufgereiht an der Wand, einer hinter mir und seine Hand an meinen Rücken gelegt, während er mich die Stiege hinauf leitet. Ich bin die Erste, die oben ankommt und sehe auch meinen Mittribut nicht mehr, bevor ich meinen zugeteilten Raum betrete. 

Es gelingt ihm nicht, den Schock, der ihm beim Klang seines Namens ins Gesicht schießt, zu verdecken. Immerhin bedeutet es einen ordentlichen Rückschlag im Sinne seiner Reputation, dass es ihm verwehrt bleibt, sich freiwillig zu melden. Es spielt nun keine Rolle mehr, dass er eigentlich der Auserwählte war, sich gegen alle anderen in seinem Jahr behaupten konnte und sein Weg in die Spiele bereits vor der Ernte beschlossene Sache war. Für das Kapitol wird er der einzige Karriero sein, dessen Name gezogen wurde. 

Es dauert keine Minute, bis sich die Tür sperrangelweit öffnet und die bullige Statur meines Vaters im Türrahmen steht. Seine Lippen sind zu einer Linie verzogen, jedoch denke ich, ist dies nur seinem Missfallen verschuldet, dass er sich an das letzte Mal erinnert, als er diesen Raum als Besucher betreten hat. Seine Augen werden etwas weicher, als er meine trifft und er zögert nicht, den Raum zu betreten. 

>>Nervös?<<, seine Lippen umspielt ein leichtes Lächeln, als seine brummige Stimme den Raum erfüllt. Ich entgegne ihm mit einem Grinsen. 

>>Ernsthaft?<<, frage ich, wohlwissend, dass die Frage seinem sarkastischen Naturell entspringt. 

Ein gedämpftes Lachen entkommt seiner Kehle und er schlingt seinen Arm um meine Schulter. 

>>Ich habe keine Zweifel, dass dies kein Abschied ist. Deswegen gebe ich dir nur ein hoffnungsvolles bis bald auf den Weg, meine Kleine<<, sein Kinn auf meinen Kopf gestützt zeigt er mir die angreifbare Seite an ihm, die meinem Distrikt stets verwehrt bleibt. Brutus Kentwell ist als Sieger der 47. Hungerspiele der 7. Sieger, der nach Distrikt 2 zurückgekehrt ist. Nun, 27 Jahre später, sitze ich dort, wo er einst als 18 Jähriger saß und er hoffnungsvoll auf seine Familie wartete, die jedoch nicht kam, um ihn zu verabschieden. 

>>Das hast du zu Archer bestimmt auch gesagt<<, der Tod meines großen Bruders hat meinen Vater mehr mitgenommen, als er es uns jemals sehen ließ. Als Mentor mitanzusehen, wie sein ältester Sprössling in den Spielen einen qualvollen Tod erlitt, ist nicht leicht zu verdauen. Bis heute konnte ich es nicht über mich bringen, das Finale der 68. Hungerspiele anzusehen. Es war das letzte Jahr, in dem Brutus Kentwell als Mentor ins Kapitol gereist ist.

mentorWhere stories live. Discover now