Kiss me at midnight

Fünfzehn

*** Lina ***

Ich drehe mich in meinem Bett um und öffne meinen Augen ein bisschen. Es ist so hell in meinem Schlafzimmer, dass es mich blendet. Ich muss gestern Abend vergessen haben den Rollladen herunter zu machen. Bei dem Gedanken an gestern Abend beziehungsweise Nacht werde ich ein wenig panisch. Mein Bett ist leer, habe ich nur geträumt, dass ich wilden und heißen Sex mit Cassie hatte? Gut möglich. Schließlich war ich im APARTMENT und habe dort ziemlich viele Tequilas getrunken. Andererseits hat es sich viel zu real für einen Traum angefühlt. Wie Cassie mich geküsst hat, ihre warmen Lippen auf meinen, Haut an Haut und dieses Kribbeln in meinem ganzen Körper. Das muss real gewesen sein. Wie genau es dazu kam, weiß ich im Augenblick nicht. Ich kann mich nicht daran erinnern.

Shit, was habe ich da bloß wieder gemacht. Vielleicht sollte ich wirklich über meinen Alkoholkonsum nachdenken. Wäre ich nicht so betrunken gewesen hätte ich Cassie nie geküsst und es wäre nie soweit gekommen. Ich bin aber nicht die einzige, die das zu bereuen scheint. Cassie muss sich irgendwann in der Nacht still und heimlich aus dem Staub gemacht haben, als ich geschlafen habe.

Ich setze mich auf und es dreht sich alles. Mir wird schlecht. Nicht nur wegen den Tequilas. Sondern wegen allem was letzte Nacht war. Wir hatten unglaublichen Sex und sind uns endlich wieder nah gewesen und dann haut Cassie einfach ab? Anscheinend war auch das wieder nur ein Spaß für sie. Schon wieder macht sie mich total fertig. So gut wie mit ihr habe ich mich lange nicht mehr gefühlt. Mit Carina habe ich mich nie so gefühlt. Dieses Gefühl habe ich nur bei Cassie.

Ich stehe auf und nehme mir einen Pullover und eine Jogginghose aus meinem Schrank. Dann bewege ich mich in die Küche. Die Kopfschmerzen sind unerträglich, aber wenigstens dreht sich nicht mehr alles vor meinen Augen. Ein kleiner Fortschritt. Schlecht ist mir aber immer noch und ich glaube das wird auch heute nicht mehr besser werden.

Wieso habe ich Cassandra Williams nicht einfach abgewiesen, wie ich es in der Aula der Schule getan habe? Ich hätte sie wieder von mir wegstoßen können und mir dieses leid ersparen können. Nur konnte ich es nicht, weil ich sie will. Es war immer nur sie und wird auch immer sie sein. Keine Frau ist wie sie und das ist das Problem. Irgendwann durchbricht sie die Mauern, die ich um mich herum gebaut habe. Gestern Nacht ist genau das passiert. Ich habe sie zu nah an mich heran gelassen und jetzt ist es zu spät. Wieso kann ich diesem Mädchen nicht einfach widerstehen. Das kann doch nicht so schwer sein. Irgendwie ist es aber genau das - schwer und unmöglich.

Cassie hat deutlich gemacht, was ihr diese Nacht bedeutet hat, indem sie einfach verschwunden ist - nicht besonders viel. Ich sollte das ganze am besten auch so schnell wie möglich wieder vergessen und weiter machen.

Seufzend schalte ich die Kaffeemaschine ein und bereue es sofort. Die Maschine ist so laut, dass ich es aufgrund der Kopfschmerzen nicht aushalte. Ich ziehe den Stecker und verzichte auf den Kaffee. Wieso sollte ich mir nach Cassie's verschwinden nicht eigentlich einen Drink gönnen? Dann fühle ich mich vielleicht nicht mehr ganz so mies. Schlimmer kann es schließlich nicht mehr werden. Außerdem ist Wochenende. Ich werde nirgends erwartet und da kann ich auch tagsüber mal einen trinken. Wen stört es schon?

Da ich total verkatert bin, gehe ich zurück ins Bett. Es wäre schön gewesen neben ihr aufzuwachen. Sie zum Abschied zu küssen und sie noch eine Weile in meinen Armen zu halten. Wieso musste diese idiotin auch einfach verschwinden? Wahrscheinlich weil es ihr nicht so viel bedeutet hat, wie mir. Genauso wie damals. Cassandra Williams macht mich fertig. Wieso muss es mit ihr so kompliziert sein? Hätte wir uns in dieser Nacht zum ersten Mal geküsst, wäre dann alles anders gelaufen? Wäre sie dann noch hier? Würde sie mich dann nochmal Wiedersehen wollen? Alles fragen, die ich mir nicht beantworten kann. Ich habe mir schon so oft gewünscht, dass ich Cassie nicht damals als Schülerin kennengelernt hätte, sondern einige Jahre später. Dann hätte es niemand interessiert, dass ich so viel älter bin als sie und vielleicht wäre aus uns ein tolles Paar geworden. Vielleicht würden wir zusammen wohnen, hätten zwei Katzen und würden darüber nachdenken zu heiraten. Es hätte so schön sein können, aber das ist es nicht. Man kann die Vergangenheit nicht einfach löschen und von vorne anfangen als wäre nichts gewesen. Unsere Vergangenheit ist so kompliziert. Es würde in der Zukunft wohl niemals funktionieren, weil zu viel passiert ist. Kann ich es Cassie überhaupt verzeihen, dass sie mir damals so brutal das Herz gebrochen hat und mich dann jeden Tag in der Schule eiskalt ignoriert hat? Ich weiß es nicht. Könnte ich damit leben, dass ständig jemand fragen würde, ob das nicht diese Schülerin ist, die damals in meinem Chemiekurs saß? Vielleicht. Je länger ich nachdenke desto verzweifelter fühle ich mich. Meine Gedanken drehen sich im Kreis und ich finde keine Lösung, weil es schlichtweg keine gibt.

Ich spüre, wie mir Tränen über die Wangen laufen und wische sie mir mit dem Handrücken weg. Ich bin nicht nur traurig, sondern auch wütend. Wütend darüber, dass das Schicksal es nicht gut mit mir meint, wütend darüber, dass Cassie verschwunden ist und wütend darüber, dass das mit uns niemals einen Zukunft haben wird. Das ist alles so unfair. Ich nehme noch einen Schluck aus der Flasche, die neben meinem Bett steht. Igitt, Wodka. Als ich das Zeug hinunter schlucke brennt es ein wenig, aber das ist mir relativ egal. Wenn es mein Innerstes betäubt, kann ich das verkraften. Wenn ich dann nicht länger an die vergangene Nacht und Cassandra Williams denken muss, ist es mir egal. Ich will einfach nur Ruhe in meinem Kopf.