Kapitel 6

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Jasmin

Ihre Mutter war mit Jasmin auf dem Weg zum Markt. Sie gingen an den vielen kleinen und bunt gestrichenen Häusern vorbei, bis zu dem kleinen Marktplatz, auf welchem Händler ihre Ware anboten. Der Markt war bescheiden, doch gut besucht. Am Rand des Marktplatzes stand eine große Statue vom ersten König der Vampire. Streng blickte er auf seine Bürger herab.

Einst war die Statue bemalt gewesen, doch vieles der Farbe war ausgeblichen. So sah der König mit einem weißen und einem roten Augen starr in die Menge. Auch ein Finger der linken Hand war abgebrochen. Ein Schild wies daraufhin, dass die Stadt plante, die Statue bald zu restaurieren.

„Mama?", fragte Jasmin gelangweilt.

„Ja, Schatz?" Ihre Mutter hielt eine Zettel in der Hand und einen Korb in der anderen. Auf dem Zettel stand alles, was sie kaufen wollte. Jasmin konnte bereits ein paar der Worte lesen: Obst, Brot...

„Kann ich bei der Statue warten?" Jasmin wollte nicht zum Markt. Sie wollte lieber mit Poppy ihren Vater zur Arbeit begleiten. Das klang viel spannender als einkaufen. Warum durfte nur Poppy mit? Ihre Mama sagte, weil ihr Vater es Poppy versprochen hatte. Aber das fand Jasmin ungerecht.

„Bei der Statue?"

„Ja! Ich mache auch keinen Unsinn. Bitte, bitte, bitte!" Jasmin setzte auf ihren besten Dackelblick. Und es funktionierte. Schmunzelnd stimmte ihre Mutter zu.

„Du geht's mit keinem Fremden mit!", ermahnte sie ihre Tochter. „Und du bleibst da, wo ich dich sehen kann!"

Jasmin nickte. „Ja, Mama!" Dann eilte sie zu der Statue und setzte sich auf deren Sockel. Dem König zu Füßen. Von dort aus beobachtete sie, wie die Leute ihre Einkäufe erledigten und mit den Markthändlern stritten. Gerade sah sie zu, wie eine alte Dame, vermutlich ein Mensch, mit ihrer Handtasche nach einem der Händler schlug. Jasmin kicherte.

„Wer bist du?", fragte plötzlich jemand. „Ich habe dich schonmal gesehen!"

Verwirrt entdeckte Jasmin einen Jungen, der neben der Statue stand. Er hatte braunrotes Haar und dunkelblaue Augen. Der Junge, den sie auf dem Heuwagen gesehen hatte.

„Und wer bist du?", wiederholte sie, anstatt ihm zu antworten.

Der Junge rümpfte die Nase. „Ich habe zuerst gefragt, aber gut. Ich heiße Killian. Und du?"

Jasmin grinste. „Nicht Killian."

„Also dann Nichtkillian, ist dir auch langweilig? Meine Mama ist arbeiten. Wollen wir spielen?"

Jasmin verzog das Gesicht. „Ich darf nicht mit Fremden mitgehen."

Der Junge zuckte mit den Schultern. „Wir spielen hier. Bei dem hässlichen Mann." Er zeigte auf die Statue.

„Das war der erste König!", rief Jasmin erschrocken.

„Dann war der erste König wohl hässlich... Er sieht aus wie eine Kröte..."

Jasmin betrachtete die Statue. Der König erinnerte tatsächlich an eine Kröte. An eine dicke Kröte. „Ich heiße Jasmin und ich spiele gern mit dir! Fang mich!" Und sie rannte los, um die Statue herum. Killian folgte ihr lachend. Sich gegenseitig jagend umrundeten sie die streng blickende Königskröte.

Doch es dauerte nicht lange, bis ihre Mutter sie von der Statue abholte. Sie betrachtete Jasmins Spielgefährten skeptisch, doch sie begrüßte ihn freundlich und wartete, bis Jasmin sich von ihrem neuen Freund verabschiedet hatte. Dann gingen sie zurück nach Hause. Jasmins Mutter war auf dem Rückweg seltsam still und hörte ihrer Tochter kaum zu, als sie fröhlich von ihrem Spiel erzählte. Jasmin störte dies nicht. Den restlichen Tag lang spielte das Mädchen im Garten und bastelte Kränze aus Blüten.

Kurz vor Sonnenaufgang, als die Familie gemeinsam am Esstisch saß, erfuhr Jasmin, warum ihre Mutter so still gewesen war.

Als alle von ihrem Tag berichteten, warf ihre Mutter ihr einen amüsierten Blick zu. „Jasmin hat sich auf dem Markt mit einem Menschenjungen angefreundet. Ich habe die beiden nur ungern vom Spielen abgehalten, obwohl es ein Mensch war. Du hattest Spaß, nicht wahr Schatz?"

Jasmin nickte. „Ja! Killian ist nett."

„Ein Mensch?" Ihr Großvater schüttelte missbilligend den Kopf. „Jasmin? Du wirst nicht mehr mit ihm spielen. Menschen sind Nahrung. Wir freunden uns nicht mit ihnen an!" Der Rest ihrer Familie stimmte leise zu. Ihr Vater warf ihr einen enttäuschten Blick zu und ihr Onkel schnaubte.

„Was?" Jasmin sah hilfesuchend zu ihrer Mutter. „Mama!"

„Ach mein Schatz... Ich..." Ihre Mutter schüttelte den Kopf und sah kurz zu ihrem Bruder, der die Augen verärgert zusammenkniff. „Tu, was dein Großvater sagt. Es ist das Beste so." Sie sah traurig aus.

„Aber wir sind Freunde!" Jasmin verschränkte die Arme. „Das ist gemein. Erst durfte ich nicht mit Papa und Poppy mit und jetzt darf ich nicht mit Killian spielen!"

„Ich weiß." Ihre Mutter strich ihr über das Haar. „Und es tut mir leid für dich, doch dein Großvater hat recht. Dieses eine Mal hat genügt."

Poppy kicherte leise und flüsterte Alfie irgendetwas über Menschen zu. Jasmin trat unter dem Tisch nach ihr, woraufhin Poppy ihr die Zunge rausstrecke.

„Poppy", ermahnte ihre Großmutter sie leise. „So ein Verhalten dulden wir hier nicht."

Nach dem Abendessen saß Jasmin beleidigt vor dem Kamin. Sonnenlicht viel durch das Fenster und der Gesang eines Vogels war zu hören. Jasmin sollte ins Bett, doch sie wollte nicht. Poppy kam mit ihrem Stoffhasen in den Raum und setzte sich neben sie.

„Bist du traurig?", fragte ihre Schwester. „Weil du nicht mit dem Menschen spielen darfst?"

Jasmin nickte.

„Aber das war nur ein Mensch. Morgen gehen wir in die Schule! Da findest du bessere Freunde, versprochen. Wir kommen beide in eine tolle Klasse, du in die Erste und ich in die Zweite, und wir finden ganz viele Vampirfreunde. Dann vergisst du den Menschen schnell und bist nicht mehr traurig, ja?"

„Ja, gut", murmelte Jasmin.

Während sie zu ihren Zimmer gingen, hörten die beiden, wie ihr Onkel mit ihrer Mutter stritt. Er tadelte sie dafür, dass sie zugelassen hatte, dass Jasmin mit einem Menschen spielte.

„Du findest andere Freunde", wiederholte Poppy und drückte unruhig Jasmins Hand. „Bessere Freunde. Und dann schimpft auch niemand mehr."

„Du übertreibst!", hörten sie ihren Vater aus dem Raum rufen. „Sie ist doch erst sieben!" Dann krachte und schepperte etwas. Als wäre eine Vase kaputtgegangen. Schnell liefen die Mädchen in ihre Zimmer.

Im Schlaf träumte sie davon, wie sie mit dem Menschenjungen durch die Straßen der Kleinstadt lief, während ihr Großvater und ihr Onkel die beiden wütend verfolgten. Ihr Onkel verlangte, dass sie den Jungen aß, anstatt mit ihm zu spielen. Doch dem Jungen wuchsen weiße Flügel und er trug Jasmin davon in ein neues Leben.


(c: sasi)


Killian (KI-Kunst)

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