what if your life is a lie?

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Salzige Tränen strömen über meine geröteten Wangen. Immer wieder flehe ich meine Mutter an zu bleiben. <Lass mich nicht allein, lass mich bitte nicht allein ... > wiederhole ich die Worte wie ein Mantra. Ihr silbernes Haar klebt schweißfeucht an ihrer Stirn, die in tiefen Falten liegt. Seit mein Vater ermordet wurde, ist nichts mehr wie es war. Mein Leben hat sich um 180 Grad gedreht, aus dem lebensfrohen, tapferen Mädchen wurde eine Frau, die Tag für Tag um das pure Überleben kämpft. Unsere Angestellten können nirgendwo sonst hin. Ich muss sie - ebenso wie meine Mutter und mich selbst - irgendwie mit Essen und einem warmen Platz zum Schlafen versorgen. Aber länger geht es nicht mehr. Die Rücklagen sind aufgebraucht. Mein Geld in der Hauptstadt Regnums, Dives zu verdienen, ist schier unmöglich. Der tyrannische Bruder meines Vaters - sein Mörder - hindert mich daran. <Was soll ich nur tun?> frage ich, ohne eine Antwort zu erwarten. Immerhin pocht in meinem Hinterkopf schmerzhaft die Lösung: Ich muss mich der Gruppe im magischen Wald anschließen. Sie wollen Theron stürzen und können meine Leute hoffentlich weiterhin versorgen. So zumindest meine Hoffnung. Und die einzige Chance, die ich habe.

Sanft drücke ich meiner Mutter einen Abschiedskuss auf die Stirn. Dann durchquere ich zielstrebig das Anwesen und verlasse es durch das wuchtige Portal. Sofort atme ich tief die frische Luft ein. Zusammen mit dem Zwitschern der Vögel und dem Rascheln der Blätter werde ich schmerzhaft an früher erinnert. Damals als ich unbeschwert auf Bäume kletterte und die Welt von oben betrachtete. Für das habe ich nun keine Zeit mehr. Erbarmungslos bahne ich mir einen Weg durch das Dickicht, wenn es sein muss, durchtrenne ich dünne Äste mit einem Dolch. Das empörte Flüstern und Fluchen der Pflanzen versuche ich auszublenden. Trotzdem verursacht es mir eine Gänsehaut.

Der Eingang zur Höhle ist unscheinbar. Fast wäre ich daran vorbeigelaufen, aber habe mich im letzten Moment noch eines Besseren belehrt. Ich atme also tief durch. Einmal tief ein und wieder aus. Fest entschlossen nicht mehr darüber nachzudenken, erklimme ich die provisorische Steintreppe und klopfe an die moosbewachsene Tür. Als ich von innen Schritte höre, zwinge ich mich zu einem Pokerface. Niemand soll hinter die zerbrechliche Fassade blicken können. Und nur einen Wimpernschlag später begrüßt mich ein aufgedrehter Rotschopf mit einem übertrieben freundlichen <Hi, Neuankömmling! Ich bin Ryett. Wie heißt du?> Sie wartet nicht auf meine Erwiderung, sondern zieht mich schwungvoll in einen kleinen Flur, stößt die Tür mit einer Hand zu und schiebt mich weiter in eine Art Küche. Dort schlägt mir der Geruch von verschiedensten Kräutern entgegen, mein Kopf schwirrt.

<Wen haben wir denn hier?> ertönt nun eine weitere Stimme. Als ich mich zu ihr umdrehe, blicke ich in das Gesicht einer großen Frau, die nicht gerade begeistert über meine Anwesenheit wirkt. Ihre dunklen Augen scannen mich von Kopf bis Fuß, bis ihr durchdringender Blick irgendwo zwischen meinem silbernen Nasenring und meinen wirren schlohweißen Haaren hängenbleibt. Ein kleiner Stein löst sich aus meiner bröckelnden Mauer der Selbstbeherrschung.

<Ich heiße Willow Thalassa. Ich bin hier, um mich euch anzuschließen.> verkünde ich mit fester Stimme. Nur die zu Fäusten geballten Hände weisen auf meinen Kontrollverlust hin. Ich hasse es diesen beschissenen Namen auszusprechen, der mich mein Leben lang mit diesem Bastard von Onkel verbinden wird.

<Du solltest jetzt gehen.>

Noch bevor ich etwas Bissiges oder gar Beleidigendes äußern kann, kommt mir der Rotschopf zuvor. Und ihre Worte haben es in sich. <Nein, Dakota, sie wird nicht gehen! Du predigst uns doch jeden Tag, dass diese Gruppe jeden aufnimmt, der Probleme hat. Jasper, Sam und ich sind doch die besten Beispiele. Mich hast du von der Straße aufgelesen, als ich nichts hatte als einen zerlumpten Schlafsack! Warum willst du Willow unsere Hilfe verwehren, wenn sie sie doch braucht?> Mit glasigen Augen endet ihre Rede.

 Dakota, die so etwas wie die Anführerin zu sein scheint, nickt langsam. <Du.> Sie deutet auf mich. <Du wirst Ryett morgen in den Wald begleiten. Bis dahin überlege ich, was wir mit dir tun werden.> Dann verschwindet sie so plötzlich, wie sie gekommen ist.

***

Mit Cargo-Jeans, Lederjacke und jede Menge Dolchen bewaffnet, warte ich am nächsten Morgen vor der Höhle und beobachte Ryett dabei, wie sie ihre widerspenstigen Haare zu einem Knoten bindet. <Die wirst du nicht brauchen.> Sie deutet auf meine Waffen. <Wir müssen einen verletzten Fuchs versorgen, nicht umbringen.>

Nachdem ich meine Dolche abgelegt habe - da diese ja das kleine Tier verschrecken könnten - machen wir uns endlich auf den Weg. Der Unterschlupf der Gruppe liegt zwar nicht gerade am Rand des Waldes, aber noch so weit außerhalb, dass es keine Gefahren gibt. Je tiefer wir vordringen, desto klarer wird, dass ich wenigstens auf ein kleines Messer hätte bestehen sollen, denn immer wieder ist ein tiefes Knurren oder lautes Brüllen zu vernehmen. Und meistens nicht von tierischer Natur.

Als wir uns bis zu dem magischen Wesen vorkämpfen, sind einige Stunden vergangen. Das schneeweiße Tier liegt ausgelaugt unter einem Busch und wimmert leise. <Das arme Ding hat Angst vor uns. War bestimmt einer von der Hauptstadt.> merke ich an. Dass es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die Schergen meines Onkels waren, spreche ich allerdings nicht laut aus. Ryett soll nicht auch noch denken, dass ich etwas mit diesem Pack zu tun habe und möglicherweise mehr darüber weiß. Tue ich ja auch nicht.

<Ich nehme den kleinen Kerl besser mit.> Und schneller als erwartet treten wir den Rückweg an. Der kleine Fuchs entspannt sich von Sekunde zu Sekunde mehr in Ryetts Armen, was für mich ein eindeutiges Zeichen ist: Die Rothaarige ist eine Heilerin.

Meine Vermutung bestätigt sich, als wir in die Höhle zurückkehren. <Könntest du für mich Kräuter aus dem Garten holen? Mein Behandlungsraum ist im hinteren Teil des Flures.>

Ich nicke und drehe mich in die entgegengesetzte Richtung, um nach draußen zu gelangen, halte aber inne, als aus der Küche hitzige Gesprächsfetzen dringen. Kurz ringe ich mit mir selbst, aber die Neugierde siegt.

<Sie ist eine Thalassa! Das bedeutet nichts Gutes, ihre gesamte Familie ist hinterhältig und machtgierig.> höre ich Dakota. Wer auch sonst würde so einen Schwachsinn behaupten. Bis auf Theron leben alle von uns völlig zurückgezogen. Warum auch sonst würde unser Anwesen am Rande eines Waldes stehen?

Auch die beiden männlichen Stimmen scheinen nicht viel von den Anschuldigungen ihrer Anführerin zu halten, aber die nächsten Worte lassen mir buchstäblich das Blut in den Adern gefrieren.

<Ob ihr mir glaubt oder nicht, aber ihre Mutter, Lyssa, die gerade mit Willow in dem Anwesen lebt, hat Verbindungen zu Theron. Ich bezweifle zwar, dass Willow davon weiß ....> Dakota stockt, doch ihre restlichen Worte höre ich nicht mehr. Ich renne. Renne so schnell mich meine Beine tragen können. Ich glaube dieser Bitch keine einzige ihrer Behauptungen. Meine Mutter liebte meinen Vater und tut es noch immer. Sie würde nicht im Traum daran denken, ihn zu hintergehen!

Wie betäubt komme ich schlitternd vor dem riesigen Portal zu stehen. Ich dusche nicht mehr, esse nicht einen einzigen Krümmel, sondern setze mich an das Bett meiner Mutter und weine mich in den Schlaf. Wenn die Gruppe mir nicht helfen will ... wie soll ich dann meine Leute ernähren? Wie soll ich noch einen einzigen verfickten Tag überleben?

Kingdom of lost magicWhere stories live. Discover now