Ein heftiger Tritt in meinen Rücken weckte mich auf. Ich konnte nicht sagen wie lange ich geschlafen hatte oder ob es schon Morgen war oder wir noch Mitten der Nacht hatten. Ein heftiger Schmerz durchzuckte meine Wirbelsäule und damit fing mein Kopf auch wieder an zu schmerzen. So heftige Kopfschmerzen hatte ich noch nie gehabt.
„Was liegst du hier im Flur rum?! Ich wär fasst über dich gestolpert du dummes Ding!", zischte eine eiskalte Stimme über mir. Ich drehte mich qualvoll auf den Rücken und sah in das versteinerte Gesicht meiner Mutter. Sie schaute mich voller Hass an. Ich murmelte ein leises „Entschuldigung" und rappelte mich so gut es ging auf und taumelte in mein Zimmer. Sie ging währenddessen ins Badezimmer. Mein Wecker zeigte 6:00 Uhr an, das hieß ich hätte noch eine halbe Stunde Zeit zum schlafen, bevor ich mich für die Schule fertig machen musste. Dafür musste ich aber halbwegs akzeptabel aussehen und so wartete ich bis meine Mutter aus dem Bad kam um mich im Spiegel betrachten zu können.
Als sie aus der Tür trat warf sie mir einen vernichtenden Blick zu.
„Da ist eh nichts mehr zu retten. Du siehst einfach scheiße aus", sagte sie zuckersüß und ließ mich vollkommen erstarrt im Flur stehen. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und am liebsten hätte ich angefangen zu weinen, doch diese Blöße wollte ich mir nicht geben und deshalb verschwand ich schnell im Bad.
Eine blasse Gestalt blickte mir entgegen. Riesen Augenringe unterstrichen die Blässe dieser Person. Ihre linke Gesichtshälfte schimmerte in einem hellrot und ein großer Kratzer durchzog ihre Wange. Ihre Schläfen waren von blau, grün, lila Flecken gezeichnet und ihre Lippen schimmerten in dem selben Ton. Bläulich kalt. Die Person musste frieren, dachte ich. Ihr Kiefer und ihre Wangen Knochen waren ebenfalls mit Hämatomen übersät.
Die Person zog ihr ausgeleiertes schwarzes Shirt hoch und begutachtete ihren Oberkörper. Ihre Rippen traten deutlich hervor und waren an unzähligen Stellen blau und grün. Ihr Bauch fiel komisch ein und ihr Beckenknochen hob sich deutlich von allem Anderem ab. Ihr Rücken sah noch schlimmer aus. Man konnte kaum eine Stelle ausmachen, die nicht blau, grün, lila oder sogar gelb schimmerte. Viele Flecken schienen bereits zu verblassen, doch der Anblick war einfach schrecklich. Das wohl auffälligste an dem Rücken war die Wirbelsäule. Man konnte jeden einzelnen Knochen ausmachen. Ab den Schulterblättern sah es noch schlimmer aus. Mehr Knochen als Haut. Sie schaute sich den Rest ihres Körpers an. Ihre Arme waren dünn und sahen zerbrechlich aus, wiesen aber kaum Hämatome auf. Ihre Beine waren ebenfalls sehr dünn und wiesen genauso wenige Verletzungen auf, wie die Arme. Dafür prangte eine große Lücken zwischen ihren Oberschenkel.
Aber das wohl auffälligste an dieser Person waren keineswegs die unzähligen Verletzungen, Zeichen der Misshandlung, sondern die großen türkis grünen Augen. Sie hatten eine wunderschöne Farbe, doch schauten sie so leer verzweifelt und traurig aus, dass man ihre Schönheit gar nicht war nehmen konnte. In ihrem Blick lag nichts als Hoffnungslosigkeit und man konnte förmlich sehen wie zerstört diese Person war.
Unglaubliches Mitleid überkam mich. Was hatte sie bloß alles durchstehen müssen? Was würde sie noch alles durchstehen müssen?
Ich konnte nicht fassen, dass diese Person wirklich ich sein sollte. So traurig und verzweifelt. Ich erkannte mich selbst nicht wieder, obwohl ich mich schon unzählige Male blass und misshandelt gesehen hatte. Doch diesmal war es irgendwie anders. Diesmal war es endgültig. Das war ich und so würde ich wahrscheinlich für immer bleiben, denn es gab eigentlich keinen Ausweg. Nur Einen. Eigentlich eine relativ leichten. Ich müsste nur genug Tabletten schlucken oder von einem zu hohen Haus springen und schon müsste ich, dass alles nicht mehr ertragen. Eine verlockende Aussicht, doch ich würde nicht aufgeben. Noch hatte ich einen Grund zu leben, erst wenn dieser verschwand würde ich aufgeben. Erst wenn Karim sich von mir abwandte, wie der Rest, erst dann würde ich meinem erbärmlichen Leben ein Ende setzten. Dann wäre ich frei und würde Jacke und meinen Vater wieder sehen. Ich hatte ihnen versprochen immer stark zu sein und immer an mich selbst zu glauben, doch ich war mir sicher, dass sie meine Entscheidung verstehen würde.
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Allein
RomanceAllein,jeden Tag,jede Stunde. Sie ist immer allein. Das ist Clarissa .Seit dem Tod ihres Vaters und ihres Bruders,ist nichts mehr wie es einmal war.Ihre Mutter kriegt Depressionen,fängt an zu trinken und sie zu schlagen. In der Schule wird sie zur k...