chapter 9 - remedy

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track no. 9
𝙎𝙚𝙚 𝙔𝙤𝙪 𝘼𝙜𝙖𝙞𝙣 𝘣𝘺 𝙒𝙞𝙯 𝙆𝙝𝙖𝙡𝙞𝙛𝙖 𝙛𝙩. 𝘾𝙝𝙖𝙧𝙡𝙞𝙚 𝙋𝙪𝙩𝙝



𝟸𝟾. 𝚂𝚎𝚙𝚝𝚎𝚖𝚋𝚎𝚛 𝟸𝟶𝟷𝟻 | 𝚒𝚖 𝙷𝚊𝚞𝚜 𝚍𝚎𝚛 𝙵𝚊𝚖𝚒𝚕𝚒𝚎 𝙼𝚒𝚗 | 𝙳𝚊𝚕𝚜𝚎𝚘𝚗𝚐-𝚐𝚞𝚗, 𝙳𝚊𝚎𝚐𝚞

YOONGI STARRTE auf die Tür am Ende des Flurs, die sich wie ein hölzerner Riese vor ihm aufbaute. Er fror am ganzen Körper. Dabei begann gerade mal der Herbst. Gerade mal... das war schön gesagt, wenn man wie Yoongi den Blättern voller Angst dabei zuschaute, wie sie sich langsam bunt färbten und ihren Halt zum Baum verloren. Er hatte sie diesen Frühling argwöhnisch, ja, fast ungläubig dabei beobachtet, wie sie aus frischen Knospen hervorgebrochen waren. Wie sie der Hitze des Sommers getrotzt hatten. Nun hielt erneut jene Jahreszeit Einkehr, deren Winde sie jede Sekunde von den Ästen abreißen und zu Boden segeln lassen konnten. Deswegen ging Yoongi nicht mehr raus. Er wollte den Blättern nicht beim Fallen zusehen.

»Worauf wartest du? Die Suppe soll nicht kalt werden!«, ertönte die Stimme seines Vaters hinter ihm. »Und denk an die Thrombose-Spritze, ja?«

Yoongi nickte mechanisch und endlich schaffte er es, seine Füße in Bewegung zu setzen. Wohl darauf bedacht, das Tablett mit der Suppe nicht zu sehr zu erschüttern, öffnete er die Tür mit dem Ellenbogen und schloss sie darauf ganz langsam mit seinem Fuß. Sofort drang wieder das Summen an sein Ohr. Dieses widerliche, niemals enden wollende Summen. Und dieser Geruch, der sich bereits auf eine parasitäre Weise in jedem Winkel dieses Zimmers festgesetzt hatte. Der Geruch von Krankheit.

»Hey Eomma«, kam es wie auswendig gelernt aus seinem Mund, ohne dass er seine Mutter dabei wirklich ansah. Er wusste, dass sie gerade nur versuchte, ihn anzulächeln.

Yoongi stellte das Tablett auf den Nachttisch und setzte sich auf die Seite des Betts, auf der normalerweise sein Vater schlief. Gerade war die Decke darauf kalt und verlassen. Er öffnete die Schublade, die inzwischen nur noch als einziger Medikamentenschrank diente. Die Tabletten für heute waren schon in eine der Pillenboxen umgefüllt worden. So musste Yoongi einfach nur die im Fach »Abends« herausnehmen und seiner Mutter zusammen mit einem Becher mit etwas Wasser reichen. Vorher aber kümmerte er sich darum, dass sie die bereits vorbereitete Spritze in ihren Bauch bekam.

Nachdem er das erledigt hatte, griff er nach dem Becher und den Tabletten. Es war das erste Mal, dass er seine Mutter seit dem Betreten des Zimmers richtig ansah. Ihr fahles, eingesunkenes Gesicht mit den tiefen Ringen unter den Augen und der Wollmütze, die sie auf ihrem Kopf trug. Überall hatten die vergangenen Monate Chemo- und Strahlentherapie ihre Spuren hinterlassen. Jede von Junghwas Bewegungen war langsam und kostete sie eine Menge Kraft. Nur der Blick, mit dem sie Yoongi bedachte, war noch der gleiche wie immer. Etwas, an das er sich klammerte wie an einen Rettungsring auf stürmischer offener See. Der einzige Grund dafür, dass er nicht einfach wegsah, als sich sein Herz beim Anblick ihres von Tag zu Tag schlechteren Zustands schmerzhaft zusammenzog.

»Oh Bärchen«, sagte Junghwa sanft, nachdem er ihr den Becher wieder abgenommen hatte. »Du musst das nicht tun, das weißt du doch.«

Yoongi hatte ihr längst wieder erlaubt, ihn so zu nennen. Sogar darauf gehofft, dass sie es wieder tun würde. Er saugte jedes bisschen Liebe, jeden noch so kleinen Fetzen in sich auf wie ein Schwamm - alles, was bewies, dass hinter dieser in sich zusammenfallenden Hülle immer noch seine Mutter steckte.

When We R.I.P. || ʸᵒᵒⁿᵐⁱⁿWhere stories live. Discover now