Fast

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POV Dag

Vincent schaffte es seltsamerweise, ihn aufzumuntern. Nach einer heißen Dusche und einem klärenden Gespräch fühlte sich Dag besser. Er vertraute seinem besten Freund seine ganze Misere an. Dieser reagierte ungewöhnlich einfühlsam und entschuldigte sich mehrmals, dass er ihn in die Schulsache mit hineingezogen hatte. Heute erschien Dag pünktlich zum Unterricht und hatte sich vorgenommen, alle negativen Dinge nicht mehr so an sich heranzulassen.

Das klappte bis jetzt ganz gut. Einige dumme Sprüche von Fabian, aber über diese konnte er lachen. Die letzten beiden Stunden Sport bei Herrn Vogel. Sie spielten Fußball. Fußball!! Wie das schon klingt? 22 dämliche Typen jagen einem Ball hinterher. Wenn er denn zumindest schneller laufen dürfte, als alle anderen. Aber das geht ja nicht. Vincent musste sich sichtlich auch zusammenreißen, nicht immens zu beschleunigen. Nach dem Spiel wartete Dag solange, bis die meisten Mitschüler die Umkleidekabine verlassen haben.

"Dag, ich müsste nochmal kurz ins Sekretariat. Kann ich dich alleine lassen?", fragt Vincent und schultert seinen Rucksack. "Klar, ich warte dann auf dem Schulhof", meint er. Endlich Ruhe und keine Mitschüler mehr. Er beginnt, seine Klamotten zu wechseln. Die Türe geht mit einem Knarzen auf. "Dag!", ertönt die spöttische Stimme des Sportlehrers. Erschrocken blickt Dag in dessen Gesicht. Was ist denn in den jetzt bitte gefahren, ihn hier so widerlich abzupassen?

"Würden Sie bitte rausgehen, solange ich mich umziehe? Das ist ja unmöglich, echt!", empört er sich und schnappt sich sein T-Shirt, welches er sich gleich überzieht. Der ältere Herr lacht nur garstig und holt dann Luft. Scheinbar möchte er ihm etwas sagen. Wie unangenehm. "So pass mal auf Dag. Hast du dich eigentlich schon mal angeguckt?", setzt der Lehrer an. Hä? Worauf möchte er hinaus? "Ja, hast du dich schon mal im Spiegel angeguckt, wie du aussiehst? Diese asozialen Klamotten. Deine schlaksige Figur. Kein Gramm Muskeln und vorallem deine Haare. Das kann man nicht Frisur nennen. Dass du dich nicht schämst. Sieht man ja auch, wie du dich im Unterricht gibst", textet Herr Vogel weiter.

Dags Augen weiten sich und er weiß im ersten Moment nicht, was er dazu sagen soll. "Das ist doch... meine Sache und das dürfen... Sie mir gar nicht vorschreiben", stammelt er. "Das hier ist eine gute Schule! So einen wie dich wollen wir hier nicht haben! Du solltest dir wirklich überlegen, ob du die Schule wechselst. Stell dir mal vor, andere Eltern holen hier ihre Kinder, die vielleicht schon ab der fünften Klasse diese Schule besuchen, mit den jüngeren Geschwistern ab und sehen dich hier, am besten noch mit deinen Spießgesellen am Schulhof. Die überlegen sich doch dreimal, ob sie die Geschwister auch auf die Schule schicken. Die fragen sich, was das für eine Schule ist, die jemanden wie dich hier duldet", führt der Sportlehrer sein Anliegen weiter an.

Bitte was? Das ist der Grund, warum ihn alle mobben? Die wollen ihn loswerden, nur weil er anders aussieht? Eine Unverschämtheit. Im Gegensatz zu den letzten Malen, als er die bösen Worte der Lehrer einfach als traurig empfand, brodelt es jetzt gewaltig in ihm. Dag spürt, dass in ihm eine Wut aufkocht, welche er seit vielen Jahrzehnten nicht mehr spürte. Was bildet sich der alte Knacker eigentlich ein mit seinem Egotrip? Gute Schule? Ernsthaft? Wenn solche Dinge vor sich gehen, nennt er das eine gute Schule? Wie lächerlich und jämmerlich. Er kann es nur nicht ertragen, dass Dag sein Leben lebt und er auf Ewigkeiten Scheißkinder unterrichten muss.

Aber dieses Mal entkommt er ihm nicht einfach so und wenn das eine 6 in diesem Schuljahr bedeutet. Dag macht selbstsicher einen Schritt auf den Lehrer zu und richtet sich mehr auf. Jetzt kann er ihm in die Augen sehen, was er zum ersten Mal tut. Kalte, graue Schweineäuglein. Er spürt, dass die Wut weiter ansteigt und ihn ins Delirium versetzen möchte. Böse blickt er den Lehrer an, dessen Blick sich jetzt in Entsetzen verändert. "Dag... was... ist mit deinen Augen... Die... die werden ganz schwarz", stammelt dieser jetzt. Ja, bekommst du jetzt endlich einmal Angst?

Dag hört das Pumpen des Blutes durch den Körper des älteren Mannes. Wie gerne würde er ihn jetzt gerade einfach zerfleischen. "Herr Vogel, Herr Vogel. Sie wissen nicht, mit wem Sie sich hier anlegen. Ich wäre sehr vorsichtig an Ihrer Stelle", zischt Dag und schiebt ein dreckiges Lachen hinterher. "Kopplin, was ist das für ein dummer Trick?", schöpft der Lehrer kurzzeitig wieder Mut. Dag packt ihn an beiden Schultern und schleudert ihn gegen die nächste Wand. Überrascht sackt der Mann zusammen. "Soviel zu kein Gramm Muskeln", kommentiert er selbst.

Mühsam steht der Gegner wieder auf, geht auf ihn zu und will dessen Arm greifen. Doch Dag erfasst dessen rechte Hand und drückt immer weiter zu. "Wo auch immer du das gelernt hast. Es wird dir nichts nützen, Kleiner", presst der Mann zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. Er besitzt noch immer die Frechheit, ihn zu beleidigen? Dag drückt fester zu und hört schon Knochen knacken. "Ich könnte das auch mit ihrem Kiefer machen, wenn Ihnen das lieber ist", schnaubt er und greift mit der anderen Hand nach dessen Kinn. Doch bevor er zudrücken kann, verschwimmt alles vor ihm.

Er sieht Herrn Vogel noch vor sich stehen, doch dieser scheint sich wie hinter einer Art Wand zu befinden und sich nicht zu bewegen. Was ist denn jetzt los? "Dag, was wird das hier?", hört er eine vertraute Stimme. Er dreht sich um und sieht in Theas Gesicht. Besorgt steht sie einfach, wie aus dem Nichts in der Umkleide. Träumt er gerade? "Äh Thea, wie bist du hier hergekommen?", möchte er perplex wissen.

"Weil wir miteinander verbunden sind. Du, Vincent und ich. Immerhin habe ich euch die Ewigkeit geschenkt. Wenn ihr dabei seid etwas wesentlich Veränderndes zu tun, dann merke ich das. Und du möchtest gleich deinen Lehrer umbringen und das muss ich verhindern. Sonst wirst du nämlich nie wieder glücklich", erklärt sie. Ihre Worte lassen ihn kurzzeitig seine Wut vergessen. Das ist also der Grund, warum er manchmal weiß, was Vincent denkt und umgekehrt.

Hätte er Herrn Vogel tatsächlich umgebracht? Dag geht auf sie zu und umarmt sie fest. Im nächsten Moment laufen ihm unendlich viele Tränen über die Wangen. "Thea, es ist alles so unfassbar beschissen hier. Ich kann nicht mehr", schluchzt er. Seine Freundin streichelt ihm über den Rücken und sagt: "Ganz ruhig. Wir bekommen das wieder hin. Aber erstmal müssen wir uns um deinen Lehrer kümmern. Er muss vergessen, was die letzten Minuten in dieser Umkleidekabine vorgefallen ist."

Der (Lady)KillerWhere stories live. Discover now