030 | noah

533 19 10
                                    

die straßen sind voll, aber das ist mir egal
solang mein bett so leer ist

⋆.ೃ࿔*:・

Eine Woche und vier Tage. Solang hatten meine Eltern gebraucht, um Wind davon zu bekommen, dass ich wieder bei Tom aufgekreuzt war. Zwei weitere Tage hatte es gedauert, ein Schreiben an unseren Anwalt und dann an den Jugendclub Kiwi zu senden, um diesen davon abzuhalten, mir irgendeine Art von Gefallen zu tun. Vermutlich waren sie bereits an mindestens drei verschiedenen Auktionen beteiligt, um mir stattdessen eine Räumlichkeit anzubieten, die mich erneut auf magische Weise von ihnen abhängig machen würde. 

     Tom hatte mich natürlich sofort angerufen, um mich vor einem baldigen Anruf meiner Mutter zu warnen und um sicher zu gehen, dass sie ihre Drohungen nicht durchsetzen würden. Das wiederum sicherzustellen, war nun meine Aufgabe. Joel hatte gerade das Zimmer verlassen, da kam bereits eine Nachricht meiner Mutter an.

     Wir müssen reden, wenn du uns das nächste Mal besuchen kommst. Wie immer war die Nachricht ernst und trocken. Dabei machte sie keinen Unterschied zwischen einem Geburtstagsgruß und einer Beileidsbekundung. 

     Ne, antwortete ich genervt. Wir müssen jetzt reden. Vermutlich würde sie mir im Normalfall noch eine Protest-Nachricht schicken, um beschäftigt zu wirken, die Wahrheit war aber, dass mein Vater einer von diesen traditionellen Männern war, die ihre Frauen nicht mehr als 15 Stunden in der Woche arbeiten ließen. Deswegen war meine Mutter eigentlich rund um die Uhr zuhause, oder zumindest erreichbar.

     Ich wollte mit dem Handy wieder in den Gang gehen, doch scheinbar fand dort gerade ein sporadisches Treffen von ein paar Neuntklässler*innen statt, von denen ich genau so wenig belauscht werden wollte, wie von Joel und Colin. Na ja, Colin – Joel hatte uns schließlich für die Nacht verlassen, worüber ich mich auch deutlich mehr gefreut hätte, wenn nicht eine anstrengende Unterhaltung mit meiner Mutter vor mir läge.

     Sie nahm genau in dem Moment ab, in dem ich die Zimmer Tür wieder hinter mir schloss und mich etwas überfordert umsah. Colin sah mir mit hochgezogenen Augenbrauen dabei zu und setzte schließlich solidarisch seine Kopfhörer auf.

     „Hallo, Noah", begrüßte mich meine Mutter kalt, woraufhin ich nur trocken auflachte.

     „Hallo. Sind wir jetzt schon an einem Punkt, an dem ihr Drohbriefe an Jugendclubs schickt, die sowieso schon finanziell am Rand der Schließung stehen? Das ist ein bisschen armselig, selbst für euch." Falls sie gedacht hatte, ich würde mich vor dieser Unterhaltung scheuen, hatte sie sich getäuscht. Zumindest am Telefon konnte ich mir noch einreden, dass meine Worte Gewicht hatten und sie konnte nichts dagegen tun. Ich warf einen kontrollierenden Blick in Colins Richtung, doch der hatte sich in sein Handy vertieft.

     „Wir haben überhaupt keinen Drohbrief geschickt", verteidigte meine Mutter sich schwach, „Wir wollen nur sicher gehen, dass du dich nicht mit den falschen Menschen umgibst." Diesmal musste ich mir ein saures Lachen deutlich härter verkneifen. Wenn überhaupt waren schließlich sie und mein Vater die „falschen Menschen", aber das würden sie sich erst eingestehen, wenn Schweine fliegen konnten. Oder Jugendclubs.

     „Tja, damit ihr Bescheid wisst; solltet ihr Tom in irgendeiner Weise das Leben zur Hölle machen, dann bin ich weg. Ein für alle Mal. Ist mir egal, ob ich unter einer Brücke schlafen muss, aber ihr werdet mich nicht wiedersehen." Meine Mutter schnappte erschrocken nach Luft.

     „Tom? Du kennst den Mann beim Vornamen? Noah, das ist gefährlich. Du bist noch so jung, du kannst das noch nicht verstehen."

     „Er ist 22 und ein Betreuer, nicht mein Lover, also komm mal runter", fauchte ich und biss die Zähne zusammen. Meine Mutter schwieg, vermutlich war sie von meiner Aussage ohnmächtig geworden. Und vielleicht war mir das lieber, als mit den Konsequenzen umzugehen.

     Ich atmete tief durch und versuchte mein rasendes Herz zu beruhigen. „Wir wollen nur unsere Halloween Party dort veranstalten. Das Komitee hat mich gefragt, ob ich Kontakte habe. Bitte macht uns das nicht kaputt."

     „Wir machen uns nur Sorgen um dich, Schatz", entgegnete meine Mutter in der weinerlichen Stimme die sie immer aufsetzte, wenn sie mir ein schlechtes Gewissen machen wollte. Normalerweise funktionierte das auch ziemlich gut, aber gerade war ich noch zu wütend. Das Wort „bitte" überhaupt in den Mund zu nehmen fiel mir schwer, aber da nicht nur etwas was ich wollte auf dem Spiel stand, sondern die Partyplanung der ganzen Stufe, hielt ich mich zurück so gut ich konnte.

     „Klar", sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. „Aber es gibt keinen Grund dafür."

     „Wir haben ein Hotel in Erfurt. Wenn du möchtest, könnt ihr dort die untere Etage zum feiern nutzen."

     „Nein, danke. Wir haben schon etwas mit T— dem Jugendclub ausgemacht." Ich hörte meine Mutter schlucken. Dass sie sich aber nicht sofort weigerte, war ein gutes Zeichen.

     „Ich werde das mit deinem Vater besprechen", seufzte sie dann. „Ich rufe dich nochmal an."

     „Okay. Tschüss."

     „Ich hab dich lieb, Noah." Ich schwieg kurz.

     „Ich weiß." Ich legte auf und warf mein Handy auf mein Bett, bevor ich mich darauf fallen ließ. Wie konnten zwei Personen so unendlich widerlich sein?  Selbst mich beeindruckten sie immer wieder.

     „War das dein Vater?", fragte plötzlich Colin und ein Blick nach oben verriet mir, dass er seine Kopfhörer abgenommen hatte. Eigentlich würde ich jetzt gern wütend werden, aber alles woran ich denken konnte war die Erleichterung darüber, dass er mit mir redete.

     „Meine Mutter", antwortete ich mager und ließ meinen Kopf wieder auf das Bett sinken. Er nickte verständnisvoll, obwohl ich genau wusste, dass er eine blendende Beziehung zu seinen Eltern hatte. Das Wort „nein" hatte er von ihnen sicherlich noch nie gehört, geschweige denn die Worte „reiß dich zusammen, junger Mann, oder wir schicken dich auf eine Militärschule in England". 

     „Geht es ihr gut?", fragte Colin jetzt, woraufhin ich leise in meine Matratze lachte.

     „Geht es mir gut, ist die eigentlich Frage. Die Antwort ist nein." Er lachte unsicher, woraufhin ich seufzte.

     „Muss ich mir jetzt Sorgen um dich machen?" Wir machen uns nur Sorgen um dich, Schatz. Wie konnte die Frage bei ihm ernster klingen, als die Aussage von meiner Mutter? Ich schüttelte hastig den Kopf. „Also kann ich weiter wütend auf dich sein?"

     „Wenn du möchtest."

     „Es fängt gerade an, mir zu gefallen. Vielleicht mache ich das zur Gewohnheit."

     „Das schaffst du nicht."

     „Oh, okay, das werden wir sehen."

     „Werden wir?" Ich blickte auf und sah, dass er wieder auf sein Handy schaute. Er grinste nicht direkt, aber es sah aus, als müsse er sich zusammenreißen. Ich lächelte müde und ließ meinen Kopf wieder auf mein Bett sinken. „Okay, werden wir."

𝙀𝙓𝙄𝙇𝙀 ⁿᵒˡⁱⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt