Prolog

60 5 0
                                    

Er konnte es in jeder Faser seines Körpers spüren, als sie das Tor zum Reich der Lebenden passierte. Konnte spüren, wie ihr Herz wieder zu schlagen begann. Wie sie sich zurück ins Leben kämpfte.

Die Äste krächzten unter Perrys unbarmherzigen Griff, während er tiefe Atemzüge nahm, um seinen inneren Trieb zu bekämpfen. June war seine Freundin. Er wollte ihr nicht wehtun. Aber er musste.

Nein.

Das war nicht richtig.

June war keine Ausreißerin.

Sie hatte sich ihren Platz im Reich der Lebenden verdient.

Warum hatte er dann den unbändigen Drang, ihr mit seinen Zwillingsschwertern die Kehle aufzuschlitzen? Ein nicht unerheblich dicker Ast krachte splitternd, als er sich vorstellte, wie das Ganze ablaufen würde. Wie er sie packen würde und dann...

Am liebsten würde er sich übergeben. Tief durchatmen. Er würde ihr nichts tun. Heute nicht und auch in Zukunft nicht. Sie war seine Freundin, seine ehemalige Partnerin.

June war keine Ausreißerin.

Perry rammte seinen Hinterkopf mit immensem Elan gegen den Stamm hinter sich, sodass seine Sicht kurz verschwamm und ihm wohlgesonnener Schmerz durchfuhr. Blätter raschelten zu Boden und leuchteten dort in verschiedenen Rot- und Gelbtönen im aufgehenden Sonnenlicht.

»Was hat dir der arme Baum denn getan?«

Der Samathan schloss die Augen. Er hatte im Moment überhaupt keine Lust auf ein Gespräch, weswegen er schwieg.

Seine Ignoranz wurde mit einem überheblichen Schnaufen quittiert. Perry starrte in die Baumkrone hinauf, versuchte den Drang, an den Hof der Nacht zu reisen und etwas Angefangenes zu beenden, weg zu atmen. Eher mäßig erfolgreich.

»Geh, spiel mit deinen Hunden und lass mich in Frieden.«

Die Person unter ihm lehnte sich selbstgefällig an den Stamm.

»Du befindest dich an meinem Hof. Wenn, dann gehst du

Perry warf einen genervten Blick nach unten, machte keinen Hehl daraus, wie sehr ihn alles an seiner Situation ankotzte. »Hast du nichts Besseres zu tun?«

Der älteste Sohn des High Lords vom Herbsthof zog eine spöttische Grimasse. »Und mir eine Gelegenheit entgehen lassen, jemanden zu quälen? Nicht in diesem Leben.« Entnervt schüttelte Perry den Kopf, bevor er wieder zu dem wolkenlosen, blauen Himmel empor starrte.

Einatmen. Ausatmen.

»Bleibst du jetzt für immer da oben sitzen?«

»Lass mich in Ruhe.«

»Ich denke gar nicht daran. Nicht, wenn ich einer leidenden Seele noch ein bisschen mehr Qualen bereiten kann.« In Gedanken versunken rieb sich Perry die Handgelenke.

»Ich hasse Leute, die sich selbst gerne reden hören und nur Mist von sich geben.«

»Tja nun, dann teilen wir immerhin ein Gefühl füreinander. Ich hasse Fremde, die sich einfach in mein Land schleichen, ohne sich zu erklären.« Hitze brandete am Stamm des Baumes auf, doch Perry ignorierte das Aufbegehren des Feuerteufels unter sich weiterhin rigoros. »Lass es gut sein. Ich störe niemanden.«

»Du störst mich.« Der Samathan zuckte mit den Achseln und warf schließlich erneut einen knappen Blick nach unten.

»Dann ist das dein Problem, Kind des Feuers.«

Eris schnaubte kalt.

»Idiot.«

Perry deutete eine obszöne Geste an und zischte leise: »Mistkerl.« 

A Court of Shadows and Delight (ACOTAR Fanfiction, Teil 2 von 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt