Kapitel 4

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Schlaf, Schlaf, Schlaf.

Azriel rieb sich entnervt die Schläfen. Dass er Probleme mit dem Schlafen hatte, war für ihn keine Neuigkeit. Seien es Albträume oder wilde Fantasien gewesen oder einfach nur seine Schatten, die ihn stundenlang wachhielten. Azriel hatte sich daran gewöhnt, ohne viel Schlaf auszukommen. Womit er nicht länger klarkam, war sie.

Wenn Azriel die Augen schloss, sah er ihre Augen vor sich, die seit ihrer Rückkehr in einem satten Grün strahlten. Dann waren da noch ihre ruhigen und gefassten Gesichtszüge, ihre Haltung und ihre Stimme. Und ihr verdammter Geruch. Azriel rieb sich grob über das Gesicht, um den Gedanken an ihren atemberaubenden Duft zu verdrängen. Sie roch nach dem Raureif eines frisch anbrechenden Tages, kurz bevor die Sonne die Erde küsste, gepaart mit einer floralen Note, die Azriel noch nicht genau zuordnen konnte.

Als Samathan hatte June schon eine faszinierende Aura besessen, doch als Lebende haute den Schattensänger ihre Aura nahezu aus den Socken, jedes Mal, wenn er sie sah. Dieses Gefühl ging tiefer und war nicht nur auf ihr Äußeres beschränkt.

Seine Schatten spürten es ebenfalls, versuchten immer noch vergeblich, schlau aus ihr zu werden. Sie hatte ihm gesagt, dass es noch einiges gab, was er nicht von ihr wusste und verdammt, es machte ihn wahnsinnig, dass er nicht von selbst hinter ihre Geheimnisse kam. Selbst seine treuergebenen Schatten – waren sie doch so neugierig und forsch – konnten ihm nicht verraten, was es war, dass Azriel an June so in die Irre führte. Er dachte über die vergangenen Tage nach, während er sie unweit des Stadthauses irgendwo auf einer Wiese mithilfe erwähnter Schatten spüren konnte.

Sie wirkte stellenweise immer noch steif, teilweise schüchtern und in sich gekehrt, wenn sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte, doch als er mit ihr über Velaris geflogen war...

Azriel bekam nur bei dem Gedanken daran Herzklopfen.

Der innere Kreis wollte ihr Zeit geben, sich wieder im Leben zurecht zu finden, doch irgendetwas hatte June an sich, dass Azriel tief unter die Haut ging. Und das bereitete ihm große Sorgen.

Ihr warmer Leib an seinen gedrückt, ihre Arme um seinen Hals, als sie sich ganz auf ihn verlassen hatte, dass er sie nicht fallen lassen würde...

Azriel schüttelte den Kopf, während er über das Gebiet des Nachthofes flog.

Nur ein Narr würde jemanden wie sie fallen lassen.

Er hatte es so gemeint.

Was ihm allerdings wirklich nicht aus dem Kopf ging, war ihre Ausgelassenheit gewesen, wie sie die Arme ausgestreckt hatte, als sie in der Luft waren und wie sie gelacht hatte.

Eine Gänsehaut breitete sich auf Azriels Körper aus, doch er weigerte sich, diese Gedanken zu vertiefen.

Sie fand sich gerade erst wieder unter den Lebenden ein und in welche Richtung Azriels Gedanken abschweiften, war unangemessen. Zumal da noch jemand anderes in Junes Herzen nistete. Doch Az konnte sich nicht helfen.

Und die Sache von letzter Nacht... Es hatte ihm einen riesigen Schreck eingejagt, als seine Schatten Alarm geschlagen hatten. Und als er sie in der Wanne vorgefunden hatte... Er wollte ihr aus der Küche ein Glas Wasser besorgen, hatte nach etwas gesucht, um ihre Nerven zu beruhigen und als sie da so ruhig in dem Wasser gelegen hatte, da hatte etwas in Azriels Kopf ausgesetzt. In den Minuten, in denen wieder die Wärme in ihren Leib eingekehrt war, hatte Azriel sich nicht erlaubt, an etwas zu denken oder sich zu rühren. Sämtliche Sinne waren auf sie gerichtet gewesen, während er sie fest an sich gedrückt gehalten hatte. Die Neugier brachte ihn beinahe um, nicht zu wissen, was sie so sehr quälte, dass sie davon eine Panikattacke bekommen hatte. Er hatte sie am liebsten an den Schultern packen und schütteln wollen, bis sie ihm verraten hätte, was in ihrem Kopf vor sich ging. Doch nein. Nie würde er es wagen, Hand an sie zu legen. Er musste mit der unerträglichen Qual leben, dass sie sich ihm nicht anvertraute. Noch nicht.

A Court of Shadows and Delight (ACOTAR Fanfiction, Teil 2 von 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt