Kapitel 22

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"...glaub wir haben sie... Pulsfrequenz normal.... Sauerstoffsättigung bei 86%..."
Dumpfe Stimmen drangen zu mir, doch das wattige Gefühl in meinen Ohren machte es fast unmöglich irgendwelche sinnvollen Sätze herauszufiltern. Beim Einatmen fühlte es sich an als würden meine Atemwege innerlich verbrennen und staubige Asche auf meinen Lungen liegen. Immernoch etwas benommen öffnete ich die Augen, doch alles verschwamm zu einer einzigen unerkennlichen Masse. In meinem Kopf dröhnte es und durch mein rechtes Bein zog sich ein unerträglich stechender Schmerz. Noch halb benommen tastete ich mein Gesicht ab, weil dort etwas auf meine Wangen drückte, doch irgendjemand griff nach meiner Hand und legte sie wieder zurück.
"Nur die Ruhe", sagte eine angenehme Frauenstimme. "Wir mussten Sie reanimieren und mit Sauerstoff beatmen, aber wie es scheint hatten sie wirklich großes Glück."
Eine Hand legte sich auf meine Schulter.
Glück?
Wovon redete die Stimme da?
Was war passiert?
"Dieser Chishiya. Ist das Ihr fester Freund?", fragte sie jetzt fast beiläufig. Ich versuchte ein weiteres Mal die Augen zu öffnen. Diesmal konnte ich immerhin ein paar unscharfe Konturen erkennen und sah wie sich eine Gestalt mit weißer Robe über mich gebeugt hatte.
"Chi-chishiya?", nuschelte ich konfus.
"Ja, Sie haben diesen Namen vorhin immer wieder vor sich hingemurmelt kurz nach ihrer Reanimation."
"Ich habe keinen Freund", brachte ich nur schwach heraus, während mein Bewusstsein zunehmend wegdriftete und meine Sicht sich wieder verdunkelte.

""Ich habe keinen Freund", brachte ich nur schwach heraus, während mein Bewusstsein zunehmend wegdriftete und meine Sicht sich wieder verdunkelte

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Als ich erneut die Augen öffnete und versuchte mich zu orientieren, war meine Umgebung schon viel deutlicher erkennbar. Ich starrte auf eine weiße Wand und stellte fest, dass es die Decke eines Zimmers war.
"Sie ist wach", sagte eine vertraute Stimme. "Sieh nur, Mum. Sie hat die Augen geöffnet."
Ich drehte meinen Kopf zur Seite und blinzelte dann verwirrt.
"Naoki?", hörte ich mich leise krächzen.
"Und sie weiß sogar noch, wer ich bin", grinste er über beide Ohren, während sein Gesicht meinem immer näher kam.
"Dumpfbacke", murmelte ich trotzig und schob seinen Kopf ein Stückchen von mir weg.
Naoki lachte nur.
"Ja, sie ist noch ganz die Alte."
Erst jetzt bemerkte ich, dass meine Mum neben meinem Bruder saß mit einem Taschentuch in der Hand. Ihr Gesicht war tränenüberströmt.
"Tsuki...", schluchzte sie aufgelöst und griff fest nach meiner Hand. "Ich bin ja so froh, dass du es geschafft hast. Du musst schnell wieder gesund werden, hörst du?"
"Geschafft? Was hab ich geschafft? Was ist eigentlich passiert?", fragte ich unsicher, weil ich es tatsächlich nicht wusste. Im Moment konnte ich nicht einmal mit Sicherheit sagen welches Jahr wir gerade hatten, was mich doch ein wenig beunruhigte. Das einzige, was ich wohl mit sicherer Gewissheit sagen konnte, war, dass ich mich in einem Krankenhausbett befand und offenbar auch medizinisch versorgt werden musste, doch meine Erinnerungen an die letzten Stunden waren sehr bruchstückhaft. Ich blickte hinab zu meinem rechten Fuß, weil ich mich nur an die stechenden Schmerzen entsinnen konnte, die ich dort verspürt hatte. Mein rechtes Bein war bis zum Knie in einem festen Gips verhüllt. Dann sah ich wieder ungläubig zu Mum auf.
"Erinnerst du dich nicht?", fragte sie etwas erstaunt.
"Sonst würde ich wohl kaum fragen, oder?", sagte ich und hustete dann quälend auf. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl zu ersticken.
Naoki drückte mir jedoch rasch ein Beatmungsgerät an den Mund, was mir augenblicklich Erleichterung verschaffte.
"Tsuki, es gab..."
Meine Mutter brach ab und der Rest ihres Satzes ging in einem lauten Schluchzer unter.
Naoki legte seinen Arm tröstlich auf ihre Schulter und sprach dann für sie weiter:
"Ein Meteorit ist direkt über Shibuya explodiert. Es gab unzählige Verletzte und nach jetztigem Stand auch mindestens über 2000 Tote. Aber mit jedem Tag werden es mehr, die in den Trümmern geborgen werden."
Ich starrte ihn ungerührt an, während ich versuchte seine Worte sinnvoll zu verarbeiten. Ich richtete meinen Kopf ein wenig auf.
"Was sagst du da? Meteorit? Hier in Tokyo?"
Mein Bruder nickte langsam und wirkte plötzlich auch ziemlich betroffen.
"Ein Schulkamerad von mir war auch an dem Tag dort, doch er hat's nicht geschafft."
Fassungslos legte ich meine Hand auf die Stirn, auch weil in diesem Moment ein pulsierender Kopfschmerz einsetzte. Ich drehte meinen Kopf zur rechten Seite, wo ein weiteres Bett stand, in dem eine junge Frau untergebracht war, die offensichtlich nicht bei Bewusstsein war.
"War sie auch dort?", fragte ich und deutete auf das Bett neben mir.
Naoki folgte meinem Blick.
"Also ich nehme es an. Die meisten Opfer wurden hier ins University Hospital gebracht. Es ist das größte in der Stadt und hat die beste medizinische Versorgung."
"Also...ich erinnere mich an gar nichts. Wie lange ist das her?", wollte ich jetzt wissen, weil ich das Gefühl hatte, dass bereits eine Ewigkeit vergangen war fast so als hätte ich jahrelang im Koma gelegen.
"Vier Tage. Du hattest einen Herzstillstand und wurdest auf dem Weg ins Krankenhaus wiederbelebt. Dann warst du die ganze Zeit auf der Intensivstation, weil du eine Rauchvergiftung hattest. Sie hatten dich die ganze Zeit am Beatmungsgerät. Heute morgen haben sie dich dann hierher verlegt, weil du außer Lebensgefahr bist. Die Intensivstationen sind aber immernoch komplett überfüllt. Sie haben gesagt, dass du von Glück sprechen kannst keine äußeren Verbrennungen davongetragen zu haben."
Ich presste das Beatmungsgerät fest an mein Gesicht und holte tief Luft. Warum konnte ich mich an nichts davon erinnern, was sie da erzählten? Warum war ich überhaupt in Shibuya gewesen an diesem Tag?
Ich keuchte auf vor Schmerz. Mein Kopf fühlte sich an wie in einer Schraubzwinge.
"Soll ich lieber eine Schwester holen?", fragte Mum jetzt besorgt, die sich inzwischen wieder einigermaßen beruhigt hatte. Ich schüttelte den Kopf.
"Wo ist Dad? Ist er auch hier?", fragte ich und rieb mir dabei die Stirn.
"Er war hier, aber du warst noch nicht ansprechbar. Er lässt sich entschuldigen. Wegen diesem tragischen Vorfall muss er jetzt jeden Tag Überstunden machen. Aber er hat ein paar Blumen für dich da gelassen."
Ich sah zu dem Beistelltisch neben mir und sah dort mehrere bunte Blumensträuße stehen.
"Wer war noch hier?"
"Deine beiden Freundinnen Sakura und Ren. Und ein Mann, der gesagt hat er wäre ein Kollege von dir. Von ihm sind die Rosen", sagte sie mit einem gezierten Kichern. "Ein sehr netter gutaussender Mann."
Ich lächelte fahrig.
"Das war bestimmt Hayato-san."
Meine Mum wirkte ein bisschen überrascht.
"Achso. Ich hatte angenommen sein Name wäre Chishiya."
"Was? Wieso das denn?", fragte ich stirnrunzelnd.
Meine Mutter zuckte mit den Schultern.
"Die Schwester auf der Intensivstation hat zu mir gemeint, dass du diesen Namen immer wieder vor dich hingebrabbelt haben sollst. Da habe ich natürlich gedacht er wäre dein neuer Freund."
Meine Augen weiteten sich.
"Mum, wenn ich einen Freund hätte, dann hätte ich dir das doch gesagt. Im Ernst. Ich kenne keinen Chishiya", sagte ich und verschränkte dabei entrüstet die Arme vor der Brust. Wobei mir der Name irgendwie bekannt vorkam, doch ich konnte nicht sagen woher, egal wie sehr ich mir den Kopf zerbracht, aber womöglich lag das auch an den unerträglichen Kopfschmerzen, die mich pemanent folterten.
Kurze Zeit später kam eine Schwester vorbei und gab mir immerhin ein paar stärkere Schmerzmittel und machte nebenher einige Routineuntersuchungen.
"Scheint alles bestens zu sein", sagte die Schwester mit einem freundlichen Lächeln. "Wir müssen nur noch einige Zeit die Sauerstoffsättigung kontrollieren. Die Rauchgasvergiftung kann auch Tage später noch schlimme Symptome verursachen. Wenn es Ihnen also plötzlich schlechter geht, rufen Sie uns einfach."
Zusätzlich bekam ich regelmäßige Therapiesitzungen in einer Überdruckkammer verordnet, die dabei helfen würden meine Sauerstoffsättigung auf Dauer wieder stabil zu halten. Anhand meines Zustandes war momentan auch nicht abzusehbar, wann ich die Klinik wieder verlassen durfte.
"Hier, ich hab dir was gegen die Langeweile mitgebracht." Naoki reichte mir ein paar Mangas und meinen Zeichenblock mit dem Federmäppchen.
"Ihr wart also in meiner Wohnung?", fragte ich überrascht.
"Ja, irgendwer musste sich ja auch um Nanya kümmern."
"Oh je, sie fühlt sich bestimmt so alleine", sagte ich und hatte augenblicklich ein schlechtes Gewissen.
Nanya war eine weiße Katzendame mit langem plüschigem Fell, die erst seit einem Jahr bei mir lebte. Sie hatte mir oft über meine einsamen Phasen hinweg geholfen. Besonders auch über die Trauer nach der Trennung von meinem Ex-Freund.
"Keine Sorge. Mum und ich haben sie zu uns geholt so lange du weg bist."
Ich atmete erleichtert aus.
"Da bin ich wirklich froh. Danke für die Sachen, Naoki."
Für den Rest des Tages unterhielten wir uns nur, doch die vielen Medikamente ließen mich schnell ermüden. Sie versprachen allerdings am nächsten Tag schon wiederzukommen. Als sie aus der Tür waren, war ich fast ein wenig erleichtert endlich für mich selbst zu sein. Ich blickte aus dem Fenster und betrachtete wehmütig den rosaroten Sonnenuntergang. Dann versuchte ich mich etwas aufrichten und griff nach den Karten, die neben den Blumen standen um sie zu lesen. Sakura und Ren hatten zusammen eine Genesungskarte geschrieben und ich musste lächeln als ich sie las. Dann griff ich nach einer weiteren Karte.
Sie war von Hayato.

ᴛʜᴇ ᴄʜᴇꜱʜɪʀᴇ ᴄᴀᴛ'ꜱ ꜱᴍɪʟᴇWo Geschichten leben. Entdecke jetzt