Teddybäraugen voller Tiefe

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Kai

Seufzend lasse ich meinen Kopf auf den Schreibtisch sinken und sehe aus dem Fenster. Der Regen prasselt auf die Fensterbank und das gleichmäßige Prasseln ist eigentlich auf seine eigene Art und Weise beruhigend. Doch heute verfehlt es diese Wirkung meilenweit.

Mein Blick schweift zurück zu dem immer noch leeren Blatt. Seit über einer Stunde versuche ich zu zeichnen, doch bringe nichts zu Papier. In meinem Kopf sind nur diese dunkelbraunen so unglaublich tiefen Augen mit dem fehlenden Strahlen. Die dunklen Strähnen, die sein Gesicht so sanft umrahmen und die so zart aussehenden, schmalen Lippen.

Ich habe ihn einmal gesehen. Ein einziges Mal und er ist einfach überall. Kann man eine solche Verbindung zu jemandem aufbauen, den man erst ganz kurz kennt? Ich kenne nur seinen Namen, weiß nichts über ihn. Und normalerweise reicht mir das auch vollkommen. Doch warum ist es jetzt anders? Wieso möchte ich ausgerechnet über ihn mehr wissen? So lange habe ich versucht genau solche Gedanken hervor zu beschwören. Als Ablenkung, als Ausweg und vielleicht auch aus Hoffnung. Und dann habe ich aufgegeben und damit abgeschlossen.

Und dann spazierte Josh ungefragt in meinen Kopf und will nicht mehr gehen.

Verzweifelt fahre ich durch meine Locken, doch meine Haare hängen weiterhin in meinem Gesicht, doch ausnahmsweise ist es mir vollkommen egal. Erneut lasse ich meinen Kopf auf den Tisch fallen, bevor ich den Zeichenblock endgültig zuklappe. Für heute habe ich definitiv lange genug versucht, etwas von meiner Fantasie und Kreativität zu nutzen.

Mein Handy vibriert, nachdem ich es, nach dreimal klingeln, in der vergangenen Stunde, auf Vibrieren gestellt habe. Lexi. Dass sie mich nicht einen Nachmittag einfach mal in Ruhe lassen kann.

L: Wollten wir nicht eigentlich
in unser Stammcafé oder hast
du mich mal wieder vergessen?

Ich atme tief ein und aus. Ich habe es wirklich vergessen. Und blöderweise ist mir das noch nicht einmal zum ersten Mal passiert. Tatsächlich sickert nun auch etwas Scham zu meinen Gefühlen und ich muss an eine Entschuldigung denken.

K: Ich habs vergessen, bin in
zehn Minuten da

L: Warum bist du nochmal
mein bester Freund?

Ich stehe auf, stolper die Treppe hinunter und schlüpfe in meine dunkelblauen, heißgeliebten Chucks, bevor ich mir mein Portemonnaie und den Schlüssel schnappe und das Haus verlasse.


Ich gucke auf die Uhr und seufze. Lexi muss wohl noch etwas länger warten. Zehn Minuten werden es definitiv nicht.

Nachdem ich durch den halben Ort gelaufen bin, gelange ich endlich zu dem kleinen urigen Buchcafé. Als ich durch die alte Holztür trete, klingelt das Glöckchen und der Geruch nach gemahlenem Kaffee, Kuchen und Tinte auf Papier empfängt mich. Marie hinter der Theke lächelt mir zu und deutet mit dem Kopf nach rechts. Und da sitzt Lexi auch schon. Ein Stapel Bücher neben ihr auf dem Tisch und eine heiße Tasse Kakao in ihrer Hand.

"Dass ich heute noch mit dir rechnen darf. Wow. Es ist mir wirklich eine Ehre." Mit der Stimme nur so von Sarkasmus triefend empfängt sie mich. Ihre Arme stemmt sie vorwurfsvoll in ihre Seiten. "Beim dritten Mal ist es eine Tradition, also lass es ja nicht ein weiteres Mal passieren", sagt sie und schlägt mir leicht auf den Hinterkopf.

"Hab dich vermisst, Schwachkopf", flüstert sie und zieht mich in eine ihrer berühmt-berüchtigten Umarmungen, sodass mein Gesicht halb in ihrem riesigen Afro verschwindet.

Sobald wir uns gesetzt haben, beginnt sie bereits zu reden. "Meinst du, ich sollte mir wieder Braids machen lassen? Mein Afro hängt jedem immer im Gesicht" Sie grinst und schnalzt wie so oft mir ihrer Zunge. "Kein Wunder, wenn du so klein bist", kontere ich und kassiere einen weiteren Schlag.

"Nein, jetzt mal ehrlich, Kai. Was meinst du? Ich hätte ja auch mal wieder Lust auf eine bunte Farbe. Weißt du noch das Neongrün. Hach, meine Mum hat fast einen Nervenzusammenbruch bekommen." Ihre großen, mit Eyeliner umrandeten Augen starren mich an. Das hatte sie tatsächlich und mir hat es wahnsinnig leid getan. Ich liebe ihre Mutter.

"Schau mal, sieht das nicht unglaublich aus?" Sie zeigt mir ihr Pinterest Board und ich muss schmunzeln. Das Wort schlicht existiert in Lexis Welt definitiv nicht. Eigentlich kenne ich sie gar nicht ohne die langen Braids in den verschiedensten Farben. Wobei ihr der Afro ebenfalls sehr gut steht.

"Ich bin ja ein großer Fan von so einem Lila hier. Oder findest du das blau mit den rosa Strähnchen besser?"

"Mhm."

"Kai? Hörst du mir zu? Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt, damit du dir die Bilder nicht mal ansiehst." Vorwurfsvoll sieht sie mich an, doch die Ernsthaftigkeit in ihrem Blick erreicht ihre Augen nicht. Bereits kurze Zeit später ist ihr typisches verschmitztes Grinsen zurück.

"Also? Was meinst du?" Mein Blick schweift zurück auf ihr Handy und ich versuche mich bei all den Farben zurechtzufinden. "Blau hattest du schon lange nicht mehr und irgendwie haben die Strähnchen was ganz besonderes an sich."

Ihre Haare wippen in alle Richtung, während sie wild mit dem Kopf nickt.
"Und jetzt zu dir. Du bist die ganze Zeit so in Gedanken. Wo sind die zahlreichen frechen Kommentare und das Grinsen, was ich so liebe? Hat doch mal wieder jemand deine Interesse geweckt? Sieht er gut aus? Wo hast du ihn kennengelernt? Lass ja kein Detail aus!"

Ich lasse meinen Kopf in meine Hände fallen. Hätte ich ihr bloß nie erzählt, dass ich schwul bin. Wobei auch das sie nicht davon abgehalten hätte, mich ständig nach sämtlichen Details aus meinem Leben zu fragen. Vermutlich ist das der Knackpunkt bei besten Freunden.

"Kai? Hallo!" Ihre Hand wedelt vor meinem Gesicht herum und ihr Blick zeigt mir deutlich, dass egal was ich tue, sie wird auf jeden Fall nicht aufgeben, bis sie eine Antwort von mir hat. Und das auf jede ihrer Fragen.

"Ich weiß auch nicht. Habe ihn gestern am Strand getroffen. Haben uns eigentlich nur nett unterhalten, sind, nachdem ich aufgehört habe auf der Gitarre zu spielen am Strand entlanggelaufen. Bis auf seinen Namen weiß ich nichts über ihn. Normalerweise wäre mir das auch egal. Sehe ihn ja eh nicht wieder. Und irgendwie macht mich gerade diese Tatsache fertig."

"Ach papperlapapp! Man sieht sich immer zweimal im Leben. Wie heißt er denn? Vielleicht kenne ich ihn. Du weißt ..."

"... du kennst die ganze Welt" Sie grinst von einem Ohr bis zum anderen. "So ungefähr, ja."

"Also ...wie heißt er?"

"Josh."

"Und was weißt du sonst noch so?" Ich zucke mit den Schultern. "Hast du zu viel getrunken? Oder weißt du wirklich nichts?"

"Ich weiß wirklich nichts, außer dass er dunkelbraune Teddybäraugen hat."
"Also ist er gutaussehend!" Ihr Grinsen wird immer größer. "Hach, ich sehs schon. Ihr werdet ein wunderschönes Paar. Sag mir Bescheid, wenn ich die Hochzeit planen soll."

Verzweifelt raufe ich mir die Haare. "Dir ist schon klar, dass du gerade das ganze Café unterhältst, oder?"

Sie nickt. "Jap und es ist mir egal."

"Ich kenne übrigens keinen Josh, aber wir kriegen das trotzdem hin. Glaub mir, niemand stellt sich der Beziehung meines besten Freundes in den Weg."

"Gott Lexi, ich habe nur jemanden kennengelernt. KENNENGELERNT! Du musst nicht gleich von Beziehung reden. Du weißt, dass…" Verzweifelt raufe ich mir die Haare und das gewohnte Ziehen in meinem Herz kehrt zurück.

"Ach, was nicht ist, kann ja noch werden. Und wegen ihm, dass ist schon so lange her. Du musst nach vorne blicken, sonst zerstört es dich komplett" Sie zwinkert mir übertrieben zu, wird bei ihren letzten Worten aber sanfter. Trotzdem kehrt nach kurzer Zeit ihr Lachen zurück und sie winkt Marie zu uns, welche auch sofort kommt.

"Was kann ich meinen Lieblingsgästen denn bringen?" Lächelt sie.

"Zweimal Schokotorte. Und ich bezahle! Wir haben nämlich was zu feiern." ruft sie und Marie lacht. Mit Lexi wird es definitiv nie langweilig, auch wenn das bedeutet, das Privatsphäre und Schamgefühl ganz hinten stehen müssen.

"Ich weiß doch überhaupt nicht, ob er an Jungs interessiert ist. Es ist viel zu früh etwas zu sagen. Es wäre verrückt, wenn ich daran meine Gedanken verschwende"
Lexis Grinsen wird breiter. "Es sagt ja auch keiner, dass da was laufen muss. Och möchte nur, dass du darüber nachdenkst. Trotzdem glaube ich, dass er etwas besonderes ist. Das spüre ich einfach.“

Und mit diesen Worten ist augenscheinlich die Diskussion für sie beendet. Vielleicht sollte ich wirklich darüber nachdenken. Immerhin ist meine letzte Beziehung, egal wie mies sie geendet ist, auch schon einiges her.

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Bin ich ein Fan von Lexi?
Definitiv, ich liebe sie.

Und falls die Frage aufkommt es wird Kapitel aus Joshs- und Kais Sicht geben. Nicht immer abwechselnd, aber es wird sie geben.

Wenn Die Sonne Für Uns Scheint (Boyxboy)Donde viven las historias. Descúbrelo ahora