Kapitel 9

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Etwas Kleines pikste mir in das Ohrläppchen. „Wach auf!" Ich murrte und knurrte und drehte mich auf die andere Seite. „Lass mich schlafen." Maulte ich und fuchtelte mit einer Hand in der Luft. „Du hast jetzt die Chance Antworten zu finden. Cider ist mit seinem Gefolge ausgeritten." Ich stand plötzlich hellwach und kerzengerade in meinem Bett. „Was sagst du?" Ich hatte Angst, meine Ohren hätten mir einen Streich gespielt. Doch als ich Naevi mit überkreuzten Armen auf meiner Bettkante sitzen sah, wusste ich, dass ich sie richtig verstanden habe. „Wo sind sie hin?" Fragte ich im gleichen Moment, als ich aus dem Bett kroch und mir einen Morgenrock überzog. „Sie reiten in die Stadt. Staatsangelegenheiten." Naevi flog um meinen Kopf herum und zog an einzelnen Haarsträhnen, bis sie wieder in ordentlichen Wellen über meine Schultern fielen. Sie steckte mir zwei Klammern in die Haare und nickte zufrieden. „Dank Naevi." Ich lächelte aufrichtig und betrachtete die Frisur im Spiegel. „Jetzt komm, wir haben keine Zeit mehr." Eilig zog sie an einem Zipfel meines Ärmels. Wir waren auf direktem Weg zu Ciders Büro. Vor der Tür blieben wir stehen. Sie war verschlossen und mit sorgfältigen Holzschnitzereien verziert. „Abgeschlossen." Murmelte ich, als ich die Türklinke hinunterdrückte und nichts geschah. „Nicht für uns." Naevi lächelte boshaft und flog zum Türschloss. Sie schickte kleine leuchtende Lichter hinein und schon ging die Tür auf. „Ist das eine gute Idee?" Fragte ich leise und blickte den Flur hinunter. „Das ist die beste Idee, die ich je hatte!" Freute sich Naevi und flog in das Arbeitszimmer. Ein dicker Holzschreibtisch stand in der Mitte vor einem Fenster, welches mit schwarzen Leinentüchern abgehangen war. Bücherregale reihten sich an den Wänden und ein Kartentisch thronte in einer Art Erker. Überall stapelten sich Papiere, Bücher und eingerollte Landkarten. Die Luft roch vermodert und nach Staub. „Sieh dich um." Flüsterte Naevi und flog durch den Raum auf der Suche nach etwas, was mir helfen könnte. „Woher weißt du eigentlich..." Fing ich an doch ich wurde unterbrochen von ihrem Gesichtsausdruck. „Ich beobachte dich, seit du hier angekommen bist. Ich weiß, welche Fragen du hast. Ich weiß auch, was du geträumt hast und wen du im schwarzen Wald begegnet bist. Aber bevor du dazu Fragen stellst, ich kann sie dir nicht beantworten. Also suchen wir hier gemeinsam unsere Lösungen, okay?" Verdutzt starrte ich sie an und nickte ergeben. „Danke für deine Hilfe." Brachte ich heraus. „Ich danke Dir Sage." Flüsterte sie.

Vorsichtig schlich ich durch das Arbeitszimmer. Naevis Ohren fuhren immer wieder in Richtung Tür. Sie bespitzelte nebenbei die anderen Windgeister, damit wir die Wiederankunft von Cider nicht verpassten. „Hier, sieh mal." Naevi zog an einer zerknitterten Papierrolle, die in der Nähe eines Mülleimers stand. Ich half ihr und legte die Papierrolle auf den Boden. Wir setzten uns im Schneidersitz davor und ich konnte sie tief ein- und wieder ausatmen hören, bevor ich die Rolle öffnete. Ich beschwerte sie mit einem Stein und einem Tintenfass an den Ecken. „Was ist das?" Fragte ich leise, mehr zu mir selbst als zu ihr. „Das sind alte Runen. Das...," Sie studierte die einzelnen Schriftzeichen mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Das sind die alten Runen der schwarzen Magie." Hauchte sie erstaunt und strich behutsam mit ihren Fingern über einige Buchstaben. „Schwarze Magie?" Ich sah sie fragend an. Diese Schriftzeichen konnte ich nicht lesen, geschweige denn entziffern. „Vor vielen hundert Jahren, als König Norr noch an der Macht war, gab es Fae, die sich der alten schwarzen Magie bedienen konnten. Ich weiß aber nur, dass diese Magie Tod und Unheil brachte. Es gibt kaum Bücher oder Schriftstücke darüber. Norr hat seine Whyvern alles zerstören lassen." Naevi schüttelte den Kopf und sah mich besorgt an. Ich verstand nichts. Alte schwarze Magie von Fae? „Wenn diese Magie so gefährlich ist, warum hat Cider dann Schriftstücke davon?" Flüsterte ich und fühlte eine Welle der Panik in mir aufsteigen. Naevi sah mir nur entsetzt in die Augen. „Du darfst ihm nicht trauen Sage." Hauchte sie. Ihre Ohren zuckten wieder zur Tür und ihr Blick deutete, dass die anderen wieder im Schloss waren. Schnell räumten wir Stein und Tintenfass wieder fort. Die Schriftrolle steckte ich in eine Tasche meines Morgenrockes. Leise schlüpften wir aus der Tür, verschlossen sie wieder und huschten zurück in meine Gemächer.

"Vielleicht sollten wir doch in den schwarzen Wald zurückkehren?" Murmelte Naevi während sie neben mir her flog. Wir waren auf dem Weg zum Speisesaal. Cider verlangte, dass wir zusammen essen. Energisch schüttelte ich meinen Kopf. "Nein, wir verhalten und unauffällig und jetzt kein Wort mehr." Ich schenkte ihr einen warnenden Blick. Sie verstand und deutete mir, dass sie in der Nähe bleiben würde. "Ich muss mich wieder an die Arbeit machen." Naevi flog sirrend durch die Dunkelheit hinfort.

Ich betrat den Speisesaal und erblickte Cider auf seinem Platz am Ende der Tafel sitzen. Vor uns waren viele Speisen aufgetischt. Sie rochen verlockend und mir lief der Speichel im Mund zusammen. "Setz dich Sage." Ich hörte und nahm an der anderen Tischseite Platz. Meine Augen lösten sich nicht von seinen. Sie starrten mich glühend über den Tisch hinweg an. Mein Körper reagierte mit einer Gänsehaut auf seine Anwesenheit. Ich schluckte schwer und sah, wie Cider sich langsam von seinem Platz erhob. Der Stuhl scharrte auf dem Boden. Langsam, wie ein Raubtier, kam er um den Tisch herum und lief gemächlich auf mich zu. Seine Lederkluft hatte er abgelegt. Er trug eine schwarze lockere Tunika mit silbernen Fäden. Seine Augen schienen noch schwärzer als zuvor zu sein. Die Haare hatte er zurückgegelt. Er sah aus wie ein Todesengel. Ein schelmisches Lächeln trat auf seine Lippen. "Pass auf was du denkst." Sein Lächeln entblößte seine spitzen Eckzähne. Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Verlegen senkte ich den Blick. Er stand nun direkt neben mir. Ich konnte förmlich sein Atmen hören. Eine Hand legte er auf meine Stuhllehne, die andere stemmte er locker in die Hüfte. Meine Augen wanderten an der Tischkante entlang, bis ich meinen Kopf soweit gedreht hatte, dass ich ihm in die Augen sehen konnte. „In der Bibliothek. Dort ist etwas zwischen uns vorgefallen." Seine Stimme war fest, aber die Unruhe in ihr konnte ich trotzdem bemerken. Er ließ die Stuhllehne los und plötzlich wurde der Stuhl mit Kräften, die von ihm ausgingen, herumgedreht, sodass nun auch meine Knie in seine Richtung zeigten. „Cider, du kannst nicht vor mir geheim halten, warum ich wirklich hier bin." Flüsterte ich. Ich senkte meinen Blick. Seine Augen machten mich nervös. Wenn ich ihn ansah, wurde ich unruhig, mein Herz pochte, als würde es mir aus der Brust springen wollen und der Schweiß brach aus meinen Händen. „Das tue ich nicht." Er klang schon fast beleidigt. „Sage, ich wohne seit 175 Jahren allein hier." Als wäre das eine Ausrede, für das was ich für dich bin. „Du bist einsam." Hauchte ich und aus irgendeinem Grund packte mich der Mut und ich erhob mich aus meinem Stuhl. Ich stand nun direkt vor ihm. Mein Atem streifte seine Brust. Ich musste meinen Kopf in den Nacken legen, um ich anzusehen. Auf seinem Kinn konnte ich Bartstoppeln erkennen. Tiefe Falten lagen auf seinem Gesicht, ob vor Sorgen oder Anstrengung wusste ich nicht. Ich sah seinen Adamsapfel hüpfen, als er schluckte. Ciders Augen veränderten sich. Adern traten hervor, sie wurden rot und glühend und seine Augenringe waren blutunterlaufen. „Ich.... Es tut mir leid." Er bleckte seine spitzen Eckzähne die, bis eben noch nicht sichtbar waren. Doch nun konnte ich sie klar und deutlich sehen. Er wollte einen Schritt zurücktreten und rang sichtbar um seine Fassung. Vor mir stand einer der mächtigsten Vampire der Länder und mein Mut machte keine Anstalten zu verschwinden. Er hätte mich in weniger als Sekunden töten können, doch gerade als er seinen Fuß nach hinten setzte, um Abstand zu gewinnen packte ich mit beiden Händen sein Gesicht. Seine Augen wurden groß, sein Atem ging schneller und als könnten seine Augen nicht noch animalischer werden, wurde das gesamte weiß aus ihnen durch Schatten vertrieben. „Shhh. Cider, komm zu mir zurück." Hauchte ich und vergewisserte mich, dass sein Blickkontakt nicht mit mir abriss. Er atmete so heftig, dass ich angst hatte, er könnte jeden Moment die Kontrolle verlieren und zubeißen. „Ich kann nicht." „Doch du kannst." Sagte ich und führte sein Gesicht weiter zu mir herunter, sodass wir Stirn an Stirn in dem riesigen Speisesaal standen. Die Lichter um uns erloschen, die Fenster wurden von unsichtbaren Kräften aufgerissen und ein kühler Wind rauschte durch den Saal. Ich spürte wie er tief Luft holte und mit seinem Ausatmen, war auch der kalte Wind verschwunden. Nach und nach gingen die Kerzen um uns herum wieder an. Vorsichtig hob ich meinen Kopf und sah ihm ins Gesicht. Ich suchte nach Blut, Adern oder was auch immer, doch da war nichts mehr. Seine kalte Haut war wieder blass. Seine Augen wieder pechschwarz und seine Zähne wieder gerade. Plötzlich zog er sich an mich heran. Er legte seine schweren Arme um meinen Körper und wiegte mich hin und her. Er küsste mich auf den Kopf und mich durchlief ein warmer Schauer. „Ich werde dir alles erzählen. Aber gib mir noch ein bisschen Zeit, bitte." Er klang flehentlich. Ich nickte und entzog mich seinen Armen. Ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen. Cider verschwamm in meinem Sichtfeld und hinter ihm wurde Naevi sichtbar. Ihr Gesicht beschrieb blankes Entsetzen. Dann erloschen ihre Lichter und sie fiel zu Boden.


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⏰ Last updated: Jul 18, 2023 ⏰

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The Prince of BloodWhere stories live. Discover now