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Montag.
Als wäre diese Tatsache nicht schon schlimm genug bedeuteten Montage neben dem Beginn einer endlosen Woche für mich, von morgens bis abends am Campus zu sein. Vorlesung um 8, Seminar ab 10 und nach der Mittagspause ging es weiter mit Vorlesungen bis der Abschluss eines jeden Montags mit einer Projektarbeit endete. Das Schlimme war nicht die Länge des Montags sondern die damit verbundenen, vielen Menschen. Geräusche. Allein der Gedanke daran stresste mich.
Meine Gruppe traf sich montags immer ab 17:00 Uhr in der Bibliothek um den aktuellsten Stand unseres Projektes zu besprechen und gemeinsam weiterzuarbeiten. Es war Ende Oktober, also war das neue Semester schon bald einen Monat alt. Im Umkehrschluss bedeutete es, dass wir noch 2 Monate bis zu den Klausuren hatten.
Und es waren noch sechs Wochen, bis ich über die Weihnachtsfeiertage nach Hause musste.
Ich schob den Gedanken beiseite, unterdrückte das Engegefühl in meiner Brust, das sich dort ausbreitete, wenn ich an das Wort Zuhause dachte.
Ich fuhr durch meine blonden Locken, um mir eine Strähne aus dem Gesicht zu fischen.
Reiß dich zusammen. Übertreib nicht. Familie ist wichtig.
„Hay, gehst du vor und kopierst uns das Handout?" holte mich Lilly aus meinen Gedanken. Sie lächelte ermutigend und hielt mir ein Blatt hin. Sie spürte es. Ich musste es nicht sagen, wenn mich etwas beschäftigte, sie erkannte es und war jederzeit bereit mich zu retten.
Mein Anker auf stürmischer See.
Dankbar für die Ablenkung durchquerte ich die Bibliothek mit gesenktem Kopf. Ich machte mich grundsätzlich klein, wenn ich in der Öffentlichkeit war - ich hoffte, dass andere mich einfach übersehen würden. Ich war ohnehin nicht besonders groß oder besonders breit - durchschnittlicher könnte ein Mensch nicht sein. Meine Haare trug ich, wie sie die meisten Männer in meinem Alter momentan trugen: Die Seiten kurz und das Oberhaar etwas länger, sodass meine Naturlocken sich entfalten konnten. Auch meine Garderobe schrie förmlich danach, durchschnittlich zu sein: Jeans, Hoodie, Sneaker.
Ich war der perfekte Mitläufer. Um keinen Preis auffallen, niemals im Mittelpunkt stehen. Einfach tun, was man tun muss und dabei nach Möglichkeit keine Aufmerksamkeit erregen - egal ob positiv oder negativ.
Ich kopierte das Handout von Lilly für den Rest der Gruppe und gesellte mich wieder zu den anderen, die bereits begonnen haben, an einem Arbeitsauftrag zu arbeiten. Wir arbeiteten lange an diesem Abend. So lange, bis mein Magen sich irgendwann meldete.
Heute gibt's nur noch einen Joghurt, ich hatte schon Mittagessen in der Kantine. Und einen Schokoriegel. Wir wollen schließlich nicht zunehmen.
„Sollen wir was essen auf dem Weg nach Hause?" schlug Lucas vor, dem es scheinbar ähnlich ging wie mir. Nur, dass er vermutlich heute noch etwas normales essen würde. Die Stimmen in seinem Kopf sagten zu ihm bestimmt nicht, dass er schon genug gegessen hatte.
Vollkommene Kontrolle.
„Sorry, ich muss nach Hause. Mein Cousin kommt doch ab Morgen zur Uni und ich hab meinem Vater versprochen, Ez noch ein bisschen was über den Campus  zu erzählen" erklärte David. Er war auch ein Mitglied unserer Truppe und eigentlich ein oberflächlicher Vollidiot - hatte sein Herz jedoch am rechten Fleck.
„Wann lernen wir deinen heißen Cousin endlich kennen?" fragte Rosalie, die eigentlich nur unserer Gruppe angehört, weil sie David heiß fand. Da sie aber scheinbar schnell herausgefunden hatte, dass in seinem Oberstübchen nicht viel los war, verlor sie zwar das Interesse, blieb uns jedoch erhalten.
Wobei die beiden sich neckten, als wären sie ein altes Ehepaar.
„Er sieht nicht ansatzweise so gut aus, wie ich" prahlte David, weshalb er sich einen Schlag auf den Hinterkopf von Rosalie abholen durfte.
„Aber um deine Frage zu beantworten: Vermutlich morgen. Er kommt mit mir zum Campus und bleibt dann in der Bib."
David erzählte uns vor ein paar Wochen von seinem Cousin, der am anderen Ende des Landes wohnte. Er kam auch von hier, zog aber wohl vor zehn Jahren mit seinen Eltern weg. Er schreibt seine Abschlussarbeit in Zusammenarbeit mit unserer Universität, weshalb er die nächste Zeit bei Davids Familie wohnen würde.
„Du musst uns verkuppeln, Dave! Außer er ist genauso hohl wie du, dann bring ihn lieber gar nicht erst mit. Zwei von der Sorte ertrage ich nicht" zog Rosalie ihn auf.
„Das wird nix, glaub mir Rose" winkte er ab. „Das ist sicherer als das Amen in der Kirche"

After the Storm - Man x ManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt