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Mein Herz flatterte aufgeregt als ich mich eine Woche später viel zu früh für den Geburtstag von Lilly fertig machte. Die ganze Woche überlegte ich bereits, was ich anziehen sollte um letztlich trotzdem den halben Samstag in meinem Schrank herumzuwühlen und mich am Ende für eine schwarze Slim-fit-Jeans und ein weiß-schwarz gemustertes Kimono-Hemd entschieden hatte, dass ich in Thailand gekauft hatte. Da meine beste Freundin unbedingt gemeinsam mit mir zum Club wollte, klingelte ich pünktlich um 21:00 Uhr an ihrer Tür und sie öffnete diese - wie immer - nur im Bademantel bekleidet und erst halbfertig geschminkt.
„Genießt du deine letzten Stunden unter dreißig?" zog ich sie auf als ich es mir auf ihrem Sofa gemütlich machte und anschließend 45 Minuten lang sämtliche Outfits bewertete, die sie sich extra für diese Nacht gekauft hatte.
Manche Dinge würden sich einfach doch niemals ändern. Und das ist gut.
Es wurde ein schwarzes, enges Minikleid das ihre weibliche Figur wie immer unglaublich gut betonte.
„Ist das auf der Kommode dein Schlüssel?" fragte sie als sie gerade in ihre Boots stieg und diese umständlich anzog, anstatt sie einfach aufzuschnüren oder sich einfach zu setzen.
„JA, kannst du den in deine Tasche stecken? Ich hab nur Hosentaschen und der nervt und außerdem hast du eh eine Tasche dabei."
„Ja, vergiss ihn nur später bitte nicht. Ich hab kein Bock auf Drama. Roter Lippenstift oder Nude?"
„Rot. Besserer Kontrast zu deinem dunklen Outfit" sagte ich, weil es einfach stimmte. Am liebsten mochte ich sie zwar immernoch ungeschminkt und in Jogginghosen, aber ich wusste, dass sie es ab und zu brauchte. Sie wusste, dass sie viel mehr als ihr verboten gutes Aussehen war. Trotzdem fehlte ihr noch immer der Deckel zu ihrem Topf und das nagte gerade wenn wir weggingen an ihr - schließlich könnte „der Eine" an jeder Ecke warten.
„Ich bin froh, einen schwulen besten Freund zu haben. Hätte ich Luke gefragt hätte er erstmal gefragt, was Nude ist. Anfänger"
Weiter fünfzehn Minuten später waren wir endlich auf dem Weg. Die anderen würden sicher schon im Club sein, schließlich hatten wir bereits 22:30 und waren noch nicht ansatzweise dort. Verabredet waren wir für genau jetzt.
Lilly hakte sich bei mir ein, als wir die dunklen Seitenstraßen durchquerten.
„Und wie gehst du heute an die Ezra-Sache ran? Er ist nicht mit Drew zusammen und er sendet dir eindeutig zweideutige Signale, wenn du verstehst was ich meine. Ich finde, du solltest es riskieren Hay" sagte sie aufmunternd. Natürlich war sie im Bilde. Seit der Sache vor fünf Jahren war es ihr wichtiger denn je, meine Bezugsperson zu sein und entsprechend viel erzählte ich ihr - gerade über Ezra, der immer wieder in den letzten Jahren Gesprächsthema war - in letzter Zeit entsprechend der jüngsten Ereignisse war er quasi ständig Thema.
„Ich weiß nicht Lil. Ich war schließlich derjenige, der ihn damals weggeschickt hat. Wäre das nicht egoistisch, wenn ausgerechnet ich mich jetzt wieder annähere? Ich bin echt unsicher, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll."
„Aber was willst du dann? Du weißt, dass du ihn immernoch willst und er scheint ja zumindest nicht gänzlich abgeneigt zu sein. Hör auf dein Herz, Hay. Ich will dich auch nicht überreden, du bist derjenige der glücklich sein muss. Verbiete dir aber dein Glück bitte nicht nur, weil es in der Vergangenheit schwierig war. Du hast viel geschafft, du bist so gut und du hast es verdient, nur das Beste zu kriegen." Sie schmiegte sich näher an mich. Ich liebte sie so sehr, dass es kaum in Worte zu fassen war. Hin und wieder kamen mir auch bei Lilly Gedanken, dass ich diese Freundschaft und sie nicht verdient hätte. Aber sie wollte an meiner Seite bleiben, also durfte ich daran festhalten. Sie tat mir gut und ich tat mein Bestes, auch gut für sie zu sein.
Mit ordentlicher Verspätung kamen wir im Club an, in dem meine beste Freundin eine Lounge gemietet hatte. Lucas, Dave, Rosalie und Ezra saßen bereits in der ledernen Sitzecke, als wir uns durch die Menge manövrierten. Darüber hinaus waren noch drei unbekannte Gesichter bei unseren Freunden, die Arbeitskollegen von Lilly waren und ebenfalls bereits mit Getränken ausgestattet waren.
„Same Procedure as everytime?" flüsterte Rose, als sie mich in eine enge Umarmung zog. Ich legte meine Arme um ihren schmalen Oberkörper und drückte sie kurz an mich. „Du kennst die Queen doch. Ich hab gefühlt 100 Outfits gesehen." scherzte ich, obwohl es komplett wahr war und das wusste auch Rosalie. „Aber du siehst auch heiß aus Hayden. Ich lieb das Hemd, was hast du heute vor?" Ich grinste als Antwort nur, ich wusste selbst nicht, was ich heute noch vorhatte. Ich begrüßte die anderen der Reihe nach und stellte mich den Arbeitskollegen von Lilly vor. Ezra hob ich mir bis zum Schluss auf, da neben ihm und Dave der letzte freie Platz in der Lounge war.
„Hey" schrie ich über die Musik hinweg, die bereits eine ohrenbetäubende Lautstärke angenommen hatte. Früher hätte ich Angst vor solchen Abenden gehabt aber die Vorfreude der letzten Tage und mein Fokus auf die positiven Dinge zeigten mir erneut, dass ich so viel weiter war als damals. Heute schätzte ich die Zeit mit meinen Freunden. Trinke Alkohol in Maßen, weil ich weiß, dass ich nicht meine Mutter bin. Und ich kann verdammt nochmal unter Leute gehen mit dem Wissen, dass mich niemand - oder zumindest sehr wenige - anstarren und in irgendeiner Form bewerten. Es ist immernoch eine kleine Überwindung. Jedes Mal. Aber ich werde von Mal zu Mal stärker und die Angst wird kleiner.
Weil ich die Situation zwischen Ezra und mir immernoch extrem seltsam fand umarmte ich ihn nicht sondern setzte mich einfach neben ihn - für meinen Geschmack viel zu nah. Es machte mich bereits nervös, dass unsere Knie sich permanent berührten. Ich war hoffnungslos verloren. Ich schluckte das Gefühl herunter, bestellte mir einen Gin Tonic und wir stießen zum ersten Mal an diesem Abend alle miteinander an. Es dauerte nicht lange, bis auch Lilly's Arbeitskollegen sich in die Gruppendynamik integrierten und wir unterhielten uns Kreuz und quer, tauschten immer wieder Plätze durch und tranken weiter. Ich bestellte mir zwischendurch immer wieder ein Glas Wasser, um auch weiterhin einen klaren Kopf zu bewahren. Sicher ist sicher.
Lilly vertiefte sich derweil immer mehr in eine Unterhaltung mit Alex, einem ihrer Arbeitskollegen, mit dem sie sich besonders gut verstand. Es war in den letzten Monaten auffällig, wie oft der Name Alex fiel und sie stritt jegliche emotionale Bindung zu ihm vehement ab. Dennoch beobachtete ich jede kleine Geste, Berührung und jedes schmachtende Lächeln von ihr, als sie sich unterhielten. Irgendwann trafen unsere Blicke sich und ich zwinkerte ihr vielsagend zu. Ebenso vielsagend war der Mittelfinger, den ich als Antwort bekam.
Vielleicht war der richtige Deckel gar nicht mehr so weit entfernt.
Die Zeit bis Mitternacht schien im Zeitraffer zu vergehen. Wir waren gefühlt erst eine halbe Stunde da, als das Personal den Kuchen brachte, den ich heute Mittag noch vorbei gebracht hatte. Die Wunderkerzen, die eine 30 formten brannten und ebenso hell wie diese leuchteten auch Lilly's Augen, als sie erkannte, dass ich ihr wie jedes Jahr Iren Lieblingskuchen gebacken hatte - außer natürlich in den Jahren, in denen ich vor mir selbst auf der Flucht war. Sie liebte Erdbeerkuchen über alles, weshalb ich vor einigen Jahren ein Rezept für eine Erdbeer-Biskuit-Rolle gesucht hatte und diese seither immer pünktlich zu ihrem Geburtstag gebacken hatte. Eines der Rituale die mir so viel Halt gaben. Ich ließ es mir nicht nehmen, ihr als erster zu gratulieren, zog sie in eine feste Umarmung.
„Danke Hay, du bist der aller Beste. Danke, dass du wieder hier bei mir bist und meinen Geburtstag wieder zum Besten Tag im Jahr machst" sie küsste mich auf die Wange und ich platzierte meine Lippen flüchtig auf ihrem Scheitel, der so sehr nach ihr roch, dass mir warm ums Herz wurde.
Ich ließ die anderen auch zum Zug kommen und als wir alle gratuliert hatten forderte meine beste Freundin die Gruppe auf, mit ihr zu tanzen. Zwei der Arbeitskollegen kniffen, ebenso Lucas und Dave. Mir war es noch immer unangenehm vor Menschen zu tanzen, aber Lilly zu Liebe ging ich mit. Ich fand mich in Mitten schwitzender und teilweise zehn Jahre jüngerer Menschen wieder - mitten auf der Tanzfläche. Das Gedränge war enorm und ich wurde nervös. Nicht zuletzt, weil Lilly und Rosalie zwar noch in meiner Nähe waren, aber sich allmählich immer wilder tanzend von mir entfernten. Ich sah um mich, konnte weder Alex noch Ezra sehen, die mitgekommen waren und verlor allmählich die Orientierung. Es war eben doch noch viel für mich. Menschen rempelten mich an, tanzten um mich herum und der Bass begann unerträglich in meinen Ohren zu dröhnen. Ich erinnerte mich an eine Übung aus der Therapie und schloss meine Augen. Ich konzentrierte mich auf mein viel zu schnell schlagendes Herz und atmete. Ich atmete um mein Leben und spürte wie der Rhythmus in meiner Brust wieder stetiger wurde und die Panik langsam abebbte. Ich blendete aus, dass ich gerade Blind mitten auf der Tanzfläche stand und sicher aussah, wie der letzte Spinner. Aber auch das war okay, weil ich okay war. Jetzt wieder ein bisschen mehr.

After the Storm - Man x ManWhere stories live. Discover now