Verkorkst

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Montagmorgen begegnete ich Emilia nicht auf dem Flur, was wirklich komisch war. Normalerweise liefen wir uns ständig über den Weg. Ich befürchtete schon, dass sie gar nicht gekommen war. Doch in der fünften Stunde saß sie dann doch wieder in meinem Matheunterricht und ich war beruhigt. Als ich aber sah, welches Top sie trug, war ich dann doch wieder beunruhigt. Sie schien es gar nicht zu bemerken. Ich verteilte meinen Schülern schnell ihre Aufgaben. Dann tippte ich eine Nachricht in mein Handy. Zieh das Top nie wieder im Unterricht an!
Emilia sah auf ihr Handy. Dann schaute sie an sich herunter. Erst jetzt schien sie zu bemerken, dass sie genau jenes Top von unserem ersten Date trug. Sie grinste.
Soll ich es ausziehen? Jetzt?
Ich hob den Blick nicht von meinem Handy, denn ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Das durfte aber niemand sehen.
Untersteh dich! Das bekomme nur ich zu sehen!
Natürlich hatte sie auch darauf eine Antwort.
Ich freu mich auf später.
Damit sorgte sie dafür, dass Millionen kleine Blitze in meinen Unterleib schossen.
Bereit für unsere Show?
Inzwischen sprachen wir unsere Showeinlagen ab. Wahrscheinlich könnten wir der Theater AG beitreten.
Emilia legte ihren Stift beiseite. Dann packte sie ihre Sachen ein und stand einfach auf.
„Emilia, wo willst du hin?", fragte ich sie.
„Weg", antwortete sie.
„Der Unterricht ist noch nicht vorbei", sagte sie.
„Aber er ist langweilig. Also gehe ich", sagte sie.
Auf einmal schoss mir ein gewaltiger Stich durch den Bauch. Schmerzverzerrt zog ich das Gesicht. Emilias Gesichtsausdruck wechselte sofort zu besorgt. Ich schüttelte meinen Kopf. Sie durfte sich auf keinen Fall um mich sorgen.
„Wir sehen uns beim Nachsitzen", presste ich noch hervor, bevor es zur Pause klingelte. Meine Schüler sprangen auf und sammelten ihre Sachen ein. Emilia ließ sich davon nicht beeindrucken. „Das ist auch alles, was Ihnen einfällt, oder?", fragte sie.
„Zu dir fällt mir schon lang nichts mehr ein. Dein Benehmen ist unter aller Kanone", sagte ich. Meine Hand lag inzwischen auf meinem Bauch. Ich versuchte dadurch meine Schmerzen zu lindern. Aber das gelang mir nur so semi gut.
Dann endlich verschwand auch der letzte Schüler. Emilia verschloss sofort die Tür. „Was ist los?", fragte sie mich. Besorgt stellte sie sich neben mich.
„Ich hab Bauchschmerzen", sagte ich.
„Wo?", fragte sie.
„Hier unten", sagte ich und deutete auf die Stelle, die schmerzte.
Emilia hob mein Shirt hoch und legte ihre Hand sofort auf die Stelle. Sie massierte mich in Kreisen. Ich schloss meine Augen. Langsam entspannte sich mein Inneres wieder.
„Danke", sagte ich, als die Bauchschmerzen verschwunden waren.
„Besser?", fragte sie.
„Ja, es ist wieder weg. Du hast Wunderhände", sagte ich. Ich war überrascht, dass sie keinen Kommentar hinterher schoss. Schließlich war das eine Steilvorlage gewesen.
„Du solltest lieber nach Hause gehen", sagte sie.
„Ach, Quatsch. Es geht schon wieder. Außerdem hab ich nur noch zwei Stunden", sagte ich.
„Sobald es wieder schlimmer wird, gehst du", sagte sie.
„Versprochen", sagte ich.

Ich hatte kaum meine Schuhe ausgezogen und mich aufs Sofa fallen lassen, als es an der Tür klingelte. Seufzend stand ich auf und schleppte mich zur Tür. Emilia stand davor.
„Ich bin so froh dich zu sehen", sagte ich und umarmte sie.
„Wie geht es dir?", fragte sie.
„Besser. Die Bauchschmerzen sind wieder weg", sagte ich.
„Soll ich dir einen Tee machen?", fragte sie.
„Hast du mir nicht zugehört? Mir geht es gut", sagte ich.
Emilia lächelte. „Scheint so", sagte sie. „Ich hab uns Abendessen mitgebracht", sagte sie und ging in die Küche.
Ich folgte ihr neugierig. „Was gibt es denn?", fragte ich.
„Dein Lieblingsessen", sagte sie.
„Lasagne", sagte ich grinsend.
„Du kannst schonmal die Zwiebeln schneiden, aber versuch nicht zu heulen", sagte Emilia.
„Ich hab keine Tränendrüsen", sagte ich.
„Wenn du so hart bist, dann schneide sie, ohne sie abzuwaschen", sagte sie grinsend.
„Kein Problem", sagte ich. Siegessicher nahm ich die Zwiebel in die Hand. Schließlich hatte ich in den letzten 25 Jahren keine einzige Träne verdrückt.
„Das will ich sehen", sagte Emilia. Sie lehnte sich gegen meine Küchenzeile und beobachtete mich grinsend. Ich ließ mich davon nicht beeindrucken. Schließlich wusste ich, dass mich keine Zwiebel zum Weinen bringen würde. Da war schon deutlich mehr nötig.
Ich holte ein Brettchen und ein scharfes Messer heraus. Ich entfernte zuerst die Schale von der Zwiebel. Dann legte ich sie auf das Brettchen. Sobald ich in die Zwiebel stach, schossen mir die Tränen in die Augen. Sie rannten mir in Sturzbächen über die Wangen. Emilia kam zu mir herüber und wischte mir mit ihren Daumen die Tränen von den Wangen. „Du bist wohl nicht so hart wie du dachtest", sagte sie und gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze.
„Scheint so", sagte ich.
„Reib dir nur nicht die Finger in die Augen. Das brennt", sagte sie.
„Hier", sagte ich und reichte Emilia die Zwiebel. Sie hielt sie sofort unter den Wasserhahn.

What happens in Vegas, stays in VegasWhere stories live. Discover now