ACHTUNDZWANZIG

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Als ich auf der Arbeit ankam musste ich erst einmal zum Chef, denn er erwartete mich. Ich schilderte ihm die Situation und er zeigte Verständnis dafür, wofür ich ihm dankbar war.
Ich verstaute meine Sachen im Hinterraum und machte mich an die Arbeit. Heute war nicht wirklich viel los.
Diyar: "Hast die Nacht wohl nicht viel geschlafen oder?"
Ich: "Nein.. War eine lange Nacht und der Morgen danach umso schlimmer."
Diyar: "Was ist denn geschehen?"
Kurz erzählte ich ihm, dass wir uns gestritten haben und er am nächsten Morgen den Spiegel eingeschlagen hat. Natürlich lies ich viele Sachen aus, er musste nicht alles wissen.
Diyar: "Dein Mann hat echt Aggressionsprobleme!"
Ich: "Ja manchmal kann er wirklich zum Monster werden."
Diyar: "Wird er dir gegenüber handgreiflich?"
Ich: "Nein um Gottes Willen. Er würde mir niemals ein Haar krümmen."
Am Anfang hatte er mir einmal eine gescheuert, aber das war auch das letzte mal. Sowas würde er niemals tun.

Nachdem ich endlich Feierabend hatte, sah ich wie Ömer schon auf mich wartete. Ich stieg zügig ins Auto und er begrüßte mich, indem er mich auf die Wangen küsste.
Ömer: "Wie war dein Arbeitstag?"
Ich: "Wie immer.. Heute war nicht viel los."
Ömer: "Ist doch besser für dich. Wir werden heute Besuch kriegen."
Ich: "Wer kommt?"
Ömer: "Melis und ihre Eltern."
Ich nickte nur, ich hatte sie vermisst.

Zu Hause angekommen, ging ich hoch ins Bad und wusch mir mein Gesicht. Ich schaute auf mein Spiegelbild und merkte wie sehr ich mich verändert hatte. Äußerlich nicht viel aber innerlich eine Menge. Ich war nicht mehr die starke Hevin, die alles in sich hineinfraß. Vorher hatte ich meine Gefühle im Griff, ich hatte nie geweint vor anderen Menschen. Ich hatte immer auf die Nacht gewartet, vielleicht lag es daran, dass ich Nachts nicht mehr weinen konnte. Ich fühle mich schon lange nicht mehr wie das kleine Kind, dass ihren Vater verlor und danach ihre Mutter. Ich war reifer geworden, die Schmerzen hatten mich gereift. Obwohl Ömer zu mir 'Kücügüm' (meine Kleine) sagt weiß ich schon lange, dass ich nicht mehr klein bin. Trotzdem gefällt es mir.. Mir kam unser Gespräch, bevor Yasemin kam, in den Sinn. Er wollte wirklich ein Kind von mir. Ich streichte über meinen Bauch. Wie schön würde es werden, wenn ich unser Kind hier tragen würde. Allein der Gedanke ist wunderschön. Ich hoffte einfach so sehr, dass unsere Liebe so stark ist und jeden Sturm aushält.
Er klopfte an der Tür und ich wurde aus meinen Gedanken gerissen.
Ömer: "Hevin? Iyimisin?" (Gehts dir gut?)
Ich hatte gar nicht bemerkt wie lange ich im Bad war. Ich öffnete die Tür und lächelte meinem Mann ins Gesicht. Er nahm meinen Kopf zwischen seine Hände und begutachtete mein Gesicht, um etwas herauslesen zu können.
Ömer: "Was ist mit dir?"
Ich: "Nichts wirklich.."
Ömer: "Deine Augen sagen aber was anderes."
Ich legte meine Hände auf seine und nahm sie von meiner Wanger herunter. Danach hauchte ich einen Kuss auf seine verletzte Hand.
Ich: "Yok birsey gercekten." (Es ist nichts wirklich)
Ich wand mich von ihm ab und räumte ein wenig das Schlafzimmer auf. Ich wusste, dass er immer noch am selben Fleck stand.
Ömer: "Du zweifelst immer noch an mir."
Ich hielt in meiner Bewegung inne. Konnte er eigentlich alles aus meinen Augen ablesen? Als er es merkte, dass keine Antwort von mir kam sagte er enttäuscht: "Biliyordum!" (Ich wusste es!)
Ich drehte mich zu ihm um: "Kendini bikere benim yerime koysan?! (Versuch dich einmal in meine Situation zu versetzen?!) Meine größte Angst war es, dass sie zurückkehrt. Aber noch mehr Angst hatte ich vor deiner Reaktion. Es macht mich fertig zu sehen, was für eine Wirkung sie auf dich hat."
Er schüttelte seinen Kopf und ging sich mit den Händen durch die Haare.
Ömer: "Du vertraust mir nicht! Du vertraust mir nicht mal ein bisschen! Denkst du wirklich ich werde dich verlassen und zu ihr zurückkehren?! Bin ich wirklich so ein Arschloch in deinen Augen?!", fauchte er mich an.
Ich: "Du verstehst mich nicht! Ich sehe, dass sie dich durcheinander bringt! Ich sehe was für eine Wirkung sie auf dich hat! Was würdest du tun, wenn ich einen Ex-Freund hätte und er mich zurück möchte und ich unentschlossen wäre?"
Ömer: "Ich bin nicht unentschlossen! Ich bin bei dir verdammt! Ich liebe dich! Ob du es mir glaubst oder nicht!"
Er schnaubte wütend und verlies das Zimmer. Er vergaß nicht die Tür fest zuzuschlagen. Niemals würde er mich verstehen. Als ich hörte, dass es unten klingelte lief ich runter. Melis, ihr kleiner Bruder Selim und ihre Eltern waren da. Auch Musti war gekommen. Wir begrüßten uns und liefen ins Wohnzimmer. Die älteren unterhielten sich und ich ging mit Yagmur und Melis in die Küche um Tee vorzubereiten.
Ich: "Alles gut bei dir?"
Melis: "Bei mir ist alles super, aber was läuft da zwischen dir und Ömer?"
Ist das so auffällig?
Ich: "Wir haben uns ein wenig gezofft. Ist nicht so wichtig."
Yagmur: "Ist es wegen Yasemin?"
Allein ihr Name löste in mir ein Feuer aus. Leicht nickend bejahte ich es.
Melis: "Ich habe erst neu mitgekriegt, dass sie zurück ist. Mach dir kein Kopf über sie! Ömer ist dein Mann vergiss das nicht!"
Ich lächelte leicht falsch und sagte: "Ich weiß, wir werden sehen was die Zeit bringt. Alles liegt in seiner Hand."

Nachdem wir den Tee serviert haben saßen wir erneut alle gemeinsam. Ömer ignorierte mich die ganze Zeit, wobei ich dasselbe tat. Ich unterhielt mich mit Melis und Yagmur, bis mein Schwiegervater uns unterbrach.
Ahmet Baba: "Wie geht es dir Melis?"
Melis: "Ganz gut Ahmet Amca, bin schon wieder in topform."
Sie lächelte und mein Schwiegervater lächelte zurück.
Melis Vater: "Dank Hevin geht es uns allen gut, Allaha sükür!" (Gott sei dank)
Ich lächelte gezwungen und Ömer schaute zu mir. Er wusste als einziger, wie ich mich im Moment fühlte.
Ahmet Baba: "Melektir benim kizim, Melek." (Mein Kind ist ein Engel.)
Ich wurde bestimmt rot und sagte nichts dazu. Ich wollte nicht unhöflich klingen, deshalb blieb ich still, obwohl es mir unangenehm war.
Der kleine Bruder von Melis, war ein recht ruhiges Kind. Aber langsam wurde es ihm langweilig. Er beschwerte sich bei Melis.
Melis: "Selim jetzt setz dich hin und sei ruhig! Wir gehen doch gleich!"
Er schmollte und sah dabei so süß aus, er war gerade mal 4 Jahre alt.
Ich: "Selim möchtest du etwas zeichnen?"
Seine Augen strahlten aufeinmal und er nickte.
Ich: "Na gut dann hole ich jetzt ein Blatt und ein Stift für dich."
Melis: "Das ist nicht nötig Hevin wirklich."
Ich: "Ach was er langweilt sich doch unter uns."
Ich stand auf holte für den Kleinen einen Block und einige Stifte. Er freute sich riesig darüber. Wäre ich doch früher draufgekommen.
Selim: "Wie heißt du?"
Ich: "Ich heiße Hevin."
Selim: "Und wie alt bist du?"
Ich: "Ich bin 20 und du?"
Selim: "Ich bin 4.", sagte er und kicherte. Wie kann ein Kind so süß sein.
Selim: "Ich male dich jetzt."
Ich: "Das ist aber eine Ehre für mich."
Ich lächelte durchgehend, diesmal war es echt und nicht gespielt. Kinder waren einfach Engel ohne Flügel. Ich wendete mich zu Melis: "Yerim ben bunu ya." (Ich ess den gleich auf)
Sie lachte und sagte: "Ja du siehst ihn jetzt von seiner guten Seite."
Wir lachten diesmal zusammen, als ich seine Blicke auf mir spürte schaute ich zu ihm. Er beobachtete mich und sofort verschwand mein Lächeln, sowie die Freude in mir.

Ich lag mittlerweile im Bett. Nachdem sie gingen räumte ich ein wenig mit Yagmur auf und kam dann sofort ins Schlafzimmer. Ich wollte schlafen, bevor er kommt. Doch schon ging die Tür auf. Er zog sich aus und legte sich zu mir. Ich dachte er wird mich jetzt zu sich ziehen oder von hinten umarmen, aber er tat nichts. Mein Herz schmerzte fürchterlich. Zum ersten mal schliefen wir getrennt ein.

Am nächsten Tag wurde ich durch seine Stimme geweckt. Er telefonierte mit jemandem. Unauffälig hörte ich ihm zu.
Ömer: "Ich weiß nicht.. Da gibt es nichts zu bereden.. Wann?.. Ich werde kommen!"
Das Blut in meinen Adern erfror bei seinen Worten. Mit wem hatte er telefoniert? Er zog sich gerade an, dass hörte ich. Nachdem er die Tür leise schloss stand ich auf und zog mich schnell an. Ich musste ihm folgen. Ich hatte keine andere Wahl. Die Wahrheit musste ans Licht kommen, egal wir schmerzhaft sie war.
Er stieg in sein Auto und ich stieg gleichdanach in ein Taxi. Irgendwo im nirgendwo hielt an er an und ich tat es ihm gleich. Er lief zu einem See und ich lief ihm hinterher. Hier waren keine Menschen, aber dann entdeckte ich eine Person. Meine Ängste bestätigten sich. Sie stand da.. Yasemin stand da und er ging zu ihr. Sie redeten über irgendetwas und ich merkte wie wütend Ömer wurde. Mein Herz schlug so schnell, weshalb mir das Atmen schwerfiel. Ich legte meine Hand auf mein Herz. Kurz schloss ich meine Augen, in der Hoffnung mich beruhigen zu können und öffnete sie wieder. In diesem Moment wünschte ich mir, dass ich sie nie geöffnet hätte. Mein Mann küsste seine Ex-Freundin! Seine Augen waren geschlossen und ihre Hände ruhten auf seinem Hals.. Das war der Moment, als ich aus meinem schönen Traum geweckt wurde und erneut ins schwarze Loch geschleudert wurde.

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