Prolog: Zehn Jahre früher

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„Bitte, Lars."

„Nein."

„Ist doch nichts dabei."

„Nein." Lars liegt bäuchlings auf der rot-weiß karierten Tagesdecke, die über meinem Bett ausgebreitet ist, umklammert den Controller mit beiden Händen und schenkt mir nur einen winzigen Funken seiner Aufmerksamkeit, ehe er sich wieder dem Bildschirm zuwendet.

„Komm schon", bohre ich weiter. „Nur einmal." Statt ebenfalls zum Fernseher zu schauen, wo Lars gerade einen Affen Lianen hinaufklettern lässt und durch ein Labyrinth aus Ästen dirigiert, halte ich den Blick fest auf ihn gerichtet, um keine Regung in seinem Gesicht zu verpassen.

Und tatsächlich. Jetzt reagiert er. Er stöhnt auf, pausiert das Spiel mit einem Tastendruck und wendet mir den Kopf zu. In seinen eisblauen Augen liegt ein wütendes Funkeln. „Du nervst, Flo. Ich will dich nicht küssen."

„Warum nicht?" Die Frage ist blöd, aber ich stelle sie trotzdem.

Lars schaut mich weiterhin an, als müsste er mir erklären, warum Atmen gut für die Gesundheit ist. „Weil du mein bester Freund bist und ich nicht auf Typen stehe?"

Ich zucke mit den Schultern. „Ist doch egal."

„Ist nicht egal."

„Ist wohl egal. Ich erzähl auch niemandem davon, versprochen."

„Es gibt nichts zu erzählen, weil ich dich nicht küssen werde. Information angekommen?"

Ich bin mir sicher, dass er als Erwachsener eine ziemlich zerfurchte Stirn haben wird, wenn sich die steile Falte weiter so tief zwischen seine Augenbrauen gräbt. Einen Jungen, der so genervt guckt, will ich gar nicht küssen.

Okay, will ich doch. Aber nicht, weil ich in ihn verliebt wäre. Das wäre total schräg. Sondern, weil ich – anders als er – nicht ganz so überzeugt davon bin, dass es mir nicht doch gefällt. Und warum sollte ich es nicht ausprobieren, wenn ich neugierig bin?

„Du musst nichts tun. Ich könnte dich küssen", biete ich an, obwohl das nicht der Kern der Diskussion ist, die wir seit einer Viertelstunde führen.

Jeder andere würde mich jetzt wahrscheinlich schlagen. Lars nicht. Statt sich zu einer Prügelei herabzulassen, würde er eher den Controller fallen lassen und ohne ein Wort des Abschieds aus meinem Zimmer stolzieren. Hoch erhobenen Hauptes und todesbeherrscht. Aber bevor das passieren kann, schleicht sich etwas anderes in seinen Blick. Neugier?

„Warum ist dir das so wichtig?", fragt er.

„Weil ich wissen will, wie das ist. Weißt du doch."

„Aber warum mit mir? Frag jemand anderen."

„Wen soll ich denn fragen? Ich hab nur dich."

Lars blinzelt. Er öffnet den Mund ein Stück und schließt ihn wieder. Ich beobachte gespannt, wie sein Blick erst gen Zimmerdecke huscht, dann von einem Poster an der Wand zum nächsten springt, als wären es die Punkte in meiner genialen Argumentationskette. Schließlich kehrt er resigniert zu mir zurück. In dem Moment, in dem wir uns ansehen, weiß ich, dass ich gewonnen habe.

Verglichen mit Lars habe ich zwar viele Freunde, aber mit keinem von ihnen würde ich darüber reden. Er weiß das. Trotzdem kommt er manchmal nicht damit klar, wie ehrlich ich zu ihm bin.

Ich grinse breit. „Na? Naaa?"

„Von mir aus", brummt er. Begeisterung klingt anders, aber ich rücke beschwingt näher. Doch ehe ich meine Lippen auf seinen platzieren kann, packt er mich am Kragen und hält mich zurück. „Jetzt gleich?", keucht er gepresst.

Freunde Plusminus - Opposites Attract [Leseprobe]Where stories live. Discover now