Kapitel 1

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Der Alarm meines Weckers schrillt und zwei Dinge dringen mir ins Bewusstsein. Erstens: Mein rechtes Ohr juckt. Zweitens: In meinem Schädel pocht es, als hätte ich heute Nacht versucht, mit der Stirn Nägel in die Wände zu hämmern.

Ich stöhne. Das kratzige Geräusch aus meinem Mund hört sich genauso verkatert an, wie ich mich fühle. Während ich die Hand schlaftrunken über das raue Bettlaken wandern lasse, bis sie zielsicher auf der Schlummertaste des Weckers landet, will ich die Augen öffnen, doch mehr als einen millimeterbreiten Spalt bringe ich meine verklebten Lider nicht auseinander. Verdammte Kiste, was habe ich gestern getrieben?

Ein zweites Stöhnen schlüpft aus meiner Kehle. Ich klappe die Lider wieder zu und rolle mich aus der Seitenlage in die deutlich bequemere Rückenposition. Sobald die Abstände zwischen den Trommelschlägen in meinem Kopf länger werden, versuche ich, meine Gedanken zu sortieren. Aus dem wolkigen Wirrwarr steigt einer der roten Plastikbecher auf, die in meinem Regal stehen. Nein, zwei Plastikbecher. Die Flasche Bacardi. Gespräche. Lachen. Braune Augen. Und ein Kuss. Sommersprossen quer über einem schmalen Nasenrücken, viel zu nah und viel zu bekannt.

Mein Herz macht einen Satz. Unmöglich. Ein unruhiges Zucken in der Schläfe gesellt sich zu den Kopfschmerzen.

Der nächste Blitz der Erinnerung schickt mir das Bild eines nackten Körpers. Das Bild meiner Hände, die über weiche Haut wandern, sich auf Brüste legen, über Schultern streichen. Schmale Schultern, die genau in meine Handflächen passen.

Ich reiße die Augen auf. Scheiße. Langsam, ganz langsam drehe ich den Kopf nach rechts. Okay, da ist der Nachttisch, so weit, so gut. Nach kurzem Zögern drehe ich ihn nach links. Und zucke zusammen. Unter der Bettdecke lugt besprenkelt von hellen Lichttupfen, die durch die Lamellen der Jalousien fallen, braunes Haar hervor. Ein Arm hat sich um das Kissen geschlungen. Ich starre Haar und Arm ungläubig an. Widerwillig strecke ich die Finger nach der Decke aus, hebe sie ein paar Zentimeter an und lasse sie sofort fallen, als hätte ich mich an ihr verbrannt.

»Boah, fuck, Paula!«, stoße ich aus und es klingt noch kratziger als mein Stöhnen zuvor.

Die menschliche Beule unter der Decke bewegt sich und grummelt. Ein Kopf wühlt sich an die Oberfläche.

»Was?«, nuschelt sie.

Paula scheint die gleichen Orientierungsprobleme zu haben wie ich. Ihre Augen sind zu Schlitzen zusammengekniffen; Eyeliner und Mascara haben sich schwarzfleckig rundherum verteilt. Als sie mich registriert, wird ihr Gesichtsausdruck verwirrt, bevor er in Schrecken übergeht.

»Oh, Flo«, gibt sie gequetscht von sich und setzt sich hastig auf. Gleichzeitig rutscht ihr die Bettdecke vom Oberkörper, entblößt die nackten Brüste. Rasch zieht sie die Decke wieder hoch. »O shit.«

Ich verziehe meine Lippen zu einem schiefen Grinsen.

»Hatten wir ...«, beginnt sie, bricht ab und muss zu einem zweiten Versuch ansetzen. »Hatten wir ...« Ihre Hände pressen den Stoff fest an ihre Blöße.

»Sex?«, frage ich und spähe unter meine eigene Decke. Wie erwartet, bin auch ich nackt. »Ich glaub schon.«

»Scheiße.« Ihr Blick wird glasig.

»Ja.«

Was soll ich sagen? Ich kenne Paula nun seit knapp einem Jahr. Sie jobbt in einem Altstadtcafé in der Nähe der Uni, macht dort den ganzen Tagabwechselnd Latte macchiato und Chai Latte mit Sojamilch und wartet auf einen Studienplatz in Medizin. Sie ist zwar nicht aufregend, aber hübsch. Schlimm finde ich es also nicht, mit ihr im Bett gelandet zu sein. Es gibt nur ein Problem an der Sache. Ein klitzekleines Problem. Paula ist vergeben. Und das nicht an mich.

Freunde Plusminus - Opposites Attract [Leseprobe]Where stories live. Discover now