Kapitel 2

73 4 3
                                    


Lars und ich kennen uns schon ewig. Und ‚ewig' ist in diesem Fall wörtlich gemeint. Ich kann mich an keine Zeit ohne ihn erinnern – nicht, weil wir uns von Anfang an so unfassbar gut verstanden hätten, sondern weil er einfach da war. Unsere Mütter haben sich im Geburtsvorbereitungskurs kennengelernt und fanden sich zwischen Gymnastikbällen und Atemübungen trotz ihrer Unterschiede sympathisch genug, um in kürzester Zeit enge Freundinnen zu werden. Seine Mutter, still und schüchtern, und meine, die Naturgewalt. Lars ist nur achtzehn Tage jünger als ich, daher kann es nicht lange gedauert haben, bis wir als hässliche Säuglinge das erste Mal nebeneinanderlagen.

Wären wir Freunde geworden, wenn man uns nicht von Kindsbeinen an zusammengesteckt hätte? Wahrscheinlich nicht. Wir sind uns etwa so ähnlich, wie sich unsere Mütter ähnlich sind. Gar nicht. Und doch haben wir es bis heute miteinander ausgehalten. Er ist meine Stimme der Vernunft, ich bin sein LSD. Er sorgt dafür, dass ich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkomme, wenn ich mich auf einer wilden WG-Party nackt in einen Umhang aus Bettlaken gehüllt aus dem Fenster stürzen will. Ich stelle sicher, dass er sein Theaterskript beiseitelegt und realisiert, was es heißt, an einem Samstagabend dreiundzwanzig zu sein und einen Scheiß auf die Welt zu geben.

Auch was die Partnerwahl angeht, ist unser Geschmack grundverschieden. Er mag die Frauen nett, popcornklebrig süß und freundlich. Ausreichend Grütze in der Birne, aber bodenständig. Prototyp Paula eben. Ich will lieber die Rampensau, die sich nicht lange bitten lässt. Ob sie sich am nächsten Morgen an mich erinnert, ist mir relativ wuppe – gewöhnlich bin ich dann sowieso weg. Und gegen einen Mann habe ich auch nichts einzuwenden. Normalerweise kommen Lars und ich uns also nicht in die Quere. Ich fand seine bisherigen Freundinnen zwar ansehnlich, hätte aber nie ernsthaft daran gedacht, dass zwischen ihnen und mir etwas laufen könnte. Schon allein, weil sie zu Lars gehören.

Während die Gedanken kreisen, lasse ich das heiße Wasser der Dusche auf mich niederprasseln. Die weißen Fliesen unter meinen Füßen sind grau und schmierig, in der Ecke liegt eine leere Flasche Duschgel. Sie bleibt liegen, wo sie ist. Arthur hat diese Woche Baddienst und freiwillig krümme ich keine Zehe mehr als notwendig für ihn. Nach der Dusche und einer gründlichen Rasur folgt meine tägliche Haargel-Routine. Zu guter Letzt ein zufriedener Blick in den Spiegel und ich fühle mich deutlich besser. Es wird sich bestimmt alles klären.

Kaum bin ich aus dem Bad in den Flur getreten, klingelt es an der Tür. Mein Blick huscht zur Wanduhr, die Viertel nach zehn anzeigt. Ich muss nicht öffnen, um zu wissen, wer draußen steht.

Obwohl ich es unterdrücken wollte, steigt ein Tick Nervosität in mir auf. Dabei ist mir herzlich egal, dass Paula Mist gebaut hat, und ich bin mir trotz lückenhafter Erinnerung inzwischen fast sicher, dass wir gar nicht über Blowjob und Fummeln hinausgekommen sind. Dennoch weiß ich im selben Moment, in dem das durchdringende Klingeln einsetzt und das schlechte Gewissen hinter meiner Stirn pocht, dass mich das Ganze nicht so kalt lässt, wie ich es gern hätte.

»Mach auf, du Depp«, ertönt es dumpf und Lars hämmert gegen das Holz der Wohnungstür, als wüsste er, dass ich ihn hören kann.

Zögernd schlappe ich in den Flur, in der Hoffnung, auf den letzten zwei Metern käme mir noch die blitzartige Erkenntnis, wie ich am besten mit der Situation umgehen soll. Ich öffne die Tür, die Erkenntnis bleibt draußen.

Stattdessen steht da Lars mit zum Klopfen erhobener Hand und gerunzelter Stirn. Er sieht immer ein bisschen grimmig aus, selbst wenn er eine neutrale Miene aufsetzt. Gerade wirkt er besonders grimmig. Die Ledertasche, in der er seinen Unikram verstaut hat, baumelt an einem braunen Riemen von seiner Schulter.

»Was ist los, Flo? Warum bist du noch nicht fertig?«, fragt er und blickt auf das Handtuch um meine Hüften.

»Ah, verpennt«, brumme ich, kratze mich am Hinterkopf. Scheiße, ich kann ihn kaum anschauen.

Freunde Plusminus - Opposites Attract [Leseprobe]Donde viven las historias. Descúbrelo ahora