Kapitel 76

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Jungkook

"Kannst du mir mal sagen, was dieser wütende Abgang soll?!", polterte Taehyung hinter ihm her, raus auf den Balkon.

Sie standen nun an der gleichen Stelle, wie die Gruppe von Männern vor ein paar Stunden und er hatte das Gefühl, dass die Energie von vorhin noch hier schlummerte.

Plötzlich kam es ihm vor, als ob die Wut, die Taehyung gerade beschrieben hatte, noch mehr brodelte und kochend überlief.

"Spinnst du jetzt?!

Wer tut denn so als ob alles ok wäre und schweigt mich an?

Wer hat Geheimnisse vor mir?"

Mit voller Kraft trat er gegen das Geländer des Balkons. Wohl gemerkt mit dem gesunden Bein und konnte sich gerade noch stoppen, auch seine Hände dazu einzusetzen. Den Nähten an seiner Hand würde dies sicherlich nicht gefallen und er hatte es wirklich satt Handschuhe zu tragen, wenn er duschte oder durch den ganzen Verbandmüll kein richtiges Gefühl in der Hand zu haben. Stattdessen drehte er sich voller Energie zu dem Älteren um, der ihn pikiert anstarrte und ohne es kontrollieren zu können, schubste er ihn.

Nicht ein Mal oder zweimal, nein, so oft dieser es zu ließ. Immer wieder gegen dessen Brust, bis dieser mit dem Rücken an der Hauswand stand.

"Ich weiß, dass es etwas wichtiges ist! Ich spür es!", kam nicht mehr ganz so laut über seine Lippen, aber noch mit genau so viel Energie.

"Aber du schweigst! Hast du eine Ahnung-"

"JA!!! Ja ich weiß, wie sich das anfühlt! Schon seit Monaten", und plötzlich war er es, der zurück gestoßen wurde. Nicht so hart, wie er es getan hatte, aber es brachte ihn zum Taumeln.

"Jedes Mal, wenn du wieder Blaue Flecken im Gesicht und am Körper hattest. Platzwunden, gebrochene Knochen und Prellungen!

Glaubst du, ich hab das gesehen und hab mich nicht schlecht gefühlt?! Das du so leidest und ich nichts tun kann, weil du dich mir nicht anvertraust. Weil du schweigst und alles mit dir selbst ausmachst..."

Der Zorn, der anfänglich in dessen Gesicht zu sehen war, wie bei ihm selbst, war verschwunden. Stattdessen war Sorge dort eingezogen. Wie jedes Mal, wenn er ihn nach einem neuen Angriff gesehen hatte. Einem Angriff, dem er nichts entgegen zu setzen hatte, genau wie jetzt gerade.

Taehyung hatte Recht.

Er war verlogen.

Mehr als das, denn er erwartete Ehrlichkeit von ihm, was er selbst nicht geben konnte.

Mal wieder...

Und es ging auch jetzt nicht.

Auch wenn Taehyung erneut Tränen in den Augen hatte. Auch wenn er ihn erneut in eine Lage der Verzweiflung versetzte.

Stattdessen setzte er sich auf den Stuhl, der aufgeklappt am Rand stand. Die Schulter dabei tief hängend und die Augen auf den Boden gerichtet, um die Tränen nicht zu sehen, die sicherlich mittlerweile über dessen Gesicht liefen.

Es half ihm dabei, seine eigenen zurück zu halten, denn sie könnten ihn dazu verleiten, etwas zu sagen, was er nicht wollte.

Jedes ehrliche Wort seinerseits würde den Älteren in Gefahr bringen. Ein Gedanke, den er sich immer wieder sagte, damit seine Lippen geschlossen blieben und er nicht doch aus dem Anfall von Liebe und unbändiger Gefühle doch etwas sagte...

Worte, die nicht gut gewählt und falsch platziert wären.

"Jetzt sagst du nichts mehr, ja?" Die Stimme von Taehyung hörte sich brüchig an. Nicht mehr so voll und dunkel wie vorher. Sie wirkte nun mehr, als ob er mal wieder geschafft hatte, was er niemals wollte:

Taehyung zum Weinen zu bringen.

Ihn so traurig zu machen, dass es ihm selbst im Herzen schmerzte.

"Erst ziehst du eine Show ab, als ob ich der böseste Mensch überhaupt bin und wenn ich dir dann sage, dass das nicht in Ordnung ist, klappst du zusammen und schweigst.

Findest du nicht, dass ich ein bisschen mehr verdient habe, als das?

Ein bisschen mehr Erklärung."

Ja, das hatte dieser.

Mehr als das.

Und doch konnte er es nicht.

Nicht heute und auch in der Zukunft nicht.

Nicht, solange er Angst hatte.

Um ihn.

Um die Menschen, die ihm wichtig waren und er musste sich eingestehen, dass es nicht nur der Schwarzhaarige vor ihm war, der dazu gehörte.

Es gehörte auch seine Mutter dazu, die, auch wenn sie ihm nicht geholfen hatte und nicht versucht hatte nach ihm zu suchen, trotzdem wichtig war.

Er hatte noch das Bild von ihr vor Augen. Mit der dicken Lippe, den Würgemalen am Hals auf ihrer so blassen Haut und den roten Augen, die vom weinen nicht mehr hell zu werden schienen.

Was sein Stiefvater ihr wohl mittlerweile angetan hatte?

Lebte sie überhaupt noch oder konnte er bereits ihr Grab betrauern?

Und wenn ja: war dann der Mann Schuld, der ihn in die Anonymität gezwungen hatte?

"Ich...", versuchte er zu sagen und merkte doch, wie auch bei ihm der Druck um die Augen herum größer wurde. Wie er vergeblich versuchte, die Tränen zurück zu halten, die wohl kommen wollten, ohne das er etwas entgegnen konnte.

"Es tut mir Leid, Tae...

Du hast Recht...

Ich bin..."

Ja, was war er? Ein Idiot? Ein blöder Wichser? Ein Typ, der nicht verdient hatte, dass sich jemand wie Taehyung um ihn sorgte. Ihn liebte und dann auch noch so verkorkst, wie er war...

Verdammt... dieser Typ konnte einfach nur verrückt sein!

Eine Hand legte sich unter sein Kinn. Drückte es nach oben und ohne sich zu wehren, ließ er ihn gewähren.

Ließ zu, dass diese schönen dunklen Augen ihn musterten. Ihn so intensiv anschauten, als würde dieser all die Wahrheit über ihn dort lesen können.

Das er es nicht wert war, geliebt zu werden und das er niemals alles von sich geben konnte, was Taehyung verdient hatte.

Die plötzlich so zärtliche Berührung an seiner Wange, wirkte schon fast fehl im Platz, bei seinen Gedanken und auch wenn er versuchte, sie abzuschütteln, blieb sie.

Sie blieb und wischte seine Tränen weg, die einfach nicht aufhören wollten zu fließen.

"Es ist ok, Jungkook.

Gerade ist es ok, weil ich weiß, dass du es mir irgendwann sagen kannst.

Irgendwann werden wir an einem Punkt sein, dass du mir sagst, was dich beschäftigt und ich werde da sein. Werde dir zu hören und dich immer noch genau so lieben, wie ich es jetzt tue...

Und vielleicht noch ein bisschen mehr, falls es möglich ist..."

Taste of Love - Taekook Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt