Verlegenheit

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"Willkommen bei mir Zuhause. Es ist nicht sehr aufgeräumt, tut mir leid. Naja, ich mache dir mal einen Tee", überfällt Frau Hofer mich direkt. Ich betrete das Haus ganz langsam. Es riecht gut. Ein bisschen nach ihrem Parfum und ein bisschen nach frischer Wäsche. Es ist kleiner als unseres, das ist aber auch nicht schwer, meine Eltern wissen schon, wo sie ihr Geld reinstecken. Soll ich ihr sagen, dass ich neben ihr wohne? Ihre Küche und ihr Wohnzimmer sind ein großer Raum. Ich setze mich auf das Sofa. So kann ich Frau Hofer in der Küche zuschauen. Dann kommt sie mit dem Tee in der Hand zu mir. Nun sitzen wir beide wieder nebeneinander.

Ich: "Sie schmeißen mich raus, wenn ich gehen soll."
Sie: "Alles gut, mach dir keine Gedanken, solange es dir hier besser geht..."
Ich: "Danke."
Sie: "Willst du mir jetzt sagen, was los ist? Vielleicht hilft es ja, darüber zu reden."
Ich: "Ich weiß nicht... eigentlich sollte ich besser nichts sagen... aber ich glaube, Sie sollten etwas anderes wissen."
Sie: (schaut micht fragend an) "Muss ich Angst haben?"
Ich: (muss wieder lächeln) "Nein, ähm... eigentlich wollte ich es Ihnen nicht sagen, aber... ich wohne direkt neben Ihnen..."
Sie: "Was? Du bist hier neu eingezogen? Ich habe mich doch schon gefragt, warum mir dein Nachname so bekannt vorkommt. Seit wann weißt du denn, dass ich hier wohne?"
Ich: (zögere) "Ich weiß nicht genau, ehrlich gesagt habe ich Sie schon öfters hier gesehen..." Ich meine, ich muss ja nicht sagen, wo genau ich sie gesehen habe...
Sie: "Warum hast du denn nicht früher was gesagt?"
Ich: "Keine Ahnung, ich fands seltsam, dass meine Nachbarin auf einmal meine Lehrerin war." Ich spiele verlegen mit den Schnüren an meinem Hoodie.
Sie: "Achso, war das so eine seltsame Vorstellung für dich?"

Ich muss lachen und schüttel den Kopf. Eventuell spüre ich jetzt auch noch wie mein Gesicht anfängt zu glühen. "Jetzt werd bloß nicht rot Lynn, sie merkt gerade, dass du etwas zu oft über sie nachdenkst", denke ich. Frau Hofer schaut mich an und findet es offensichtlich lustig, mich so verlegen zu sehen. Damn. Ich fokussiere meinen Blick auf einen Punkt auf dem Boden und hoffe, dass mein Gesicht gleich wieder eine normale Farbe annimmt. "Oh, mir fällt gerade ein... ich muss noch etwas für die Schule erledigen. Ist es ok, wenn ich kurz hochgehe und dich hier alleine lasse? Du kannst auch gerne fernsehen", sagt sie. Danke. Dann kann ich mich jetzt erstmal beruhigen. Ich bleibe also auf dem Sofa sitzen und schaue Trash-TV, während sie hoch in ihr Büro geht und dort arbeitet. Krass, dass Frau Hofer so spät noch etwas für ihre Arbeit macht. Das ist bestimmt bei vielen Lehrkräften nicht der Fall. Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Es ist schon Elf. Langsam werde ich müde. Soll ich einfach gehen? Nein, das wäre seltsam. Ich entscheide mich, zu warten, bis Frau Hofer fertig ist und wieder runter kommt. Das wird schon nicht so lange dauern. Ein paar Minuten später merke ich, wie die Personen auf dem Bildschirm verschwimmen und ich meine Augen schließlich nicht mehr offen halten kann.

Als ich meine Augen leicht öffne, sehe ich den Fernseher immer noch flackern. Ich kann Umrisse von Frau Hofer erkennen. Sie trägt einen Pyjama, durch den man viel erkennen könnte, wenn es etwas heller wäre und man seine Augen richtig öffnen könnte. Dann legt sie eine Decke auf mich und macht den Fernseher aus. Es ist ganz dunkel und ich schließe meine Augen wieder, während ich höre, wie sie wieder die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hochgeht.

Ein paar Stunden später wache ich wieder auf. Es ist noch ganz dunkel und leise. Warte, habe ich gerade wirklich auf Frau Hofers Sofa geschlafen? Hat sie mich vorhin echt zugedeckt? Hoffentlich hat sie das nicht gestört. Und was tue ich jetzt? Soll ich hochgehen und schauen, ob Frau Hofer da ist? Aber was wenn sie noch schläft? Ich könnte einen Zettel schreiben und dann einfach gehen. Dann wird es auch nicht unangenehm. Ich finde einen Stapel mit Notizzetteln auf ihrem Esstisch und ein paar Stifte. Ich schreibe "Danke" mit einem lächelnden Smiley. Dazu lege ich noch einen Fünf-Euro-Schein aus meiner Hosentsche für den Tee und so. Dann gehe ich zur Tür, ziehe meine Schuhe an und verlasse ganz leise das Haus.

Forest EyesWhere stories live. Discover now