Kapitel Eins

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Heimlich stapeln sich die Sakeschälchen neben meinem Tatamitisch. Nicht, dass es jemandem auffallen würde.

Alkohol stand ganz oben auf der Liste von Dingen, die ich nicht anfassen durfte, ich hätte gar nicht ablehnen können.

Letztes Jahr war es Vater nicht aufgefallen, aber letztes Jahr hatte ich auch nicht so sehr übertrieben. Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte, mir wird einfach immer weiter nachgeschenkt.

Ansonsten ist die Feier unheimlich langweilig, wenn man es denn überhaupt Feier nennen darf. Schon seit einer ganzen Weile liebäugele ich mit der Tür, schräg hinter mir. Die meisten sind so sehr damit beschäftigt, so zu tun als würde man sich gegenseitig zuhören, es würde wirklich niemandem auffallen, wenn ich verschwinde.

Sobald ich aufstehe, wird der Sake allerdings direkt in meine Beine fließen und sie auf magische Weise in Wackelpudding verwandeln. Das weiß ich auch noch vom letzten Jahr. Beinahe bekomme ich einen Kicheranfall, oh Gott, ich muss an die frische Luft.

Ich warte, schlau wie ich bin, bis zur Rede von Sarutobisama ab. Zum einen sitzt er uns gegenüber, sodass niemand in meine Richtung schaut, zum anderen ist sie so langweilig, dass sowieso alle total hypnotisiert sind. Meine Schwester Kayo kaut schon minutenlang wie in Trance auf einem Tintenfischarm. Wenn, dann jetzt!

Leise aber bestimmt gehe ich in die Hocke, krieche unauffällig Richtung Tür, schiebe sie einen kleinen Spalt auf und schlüpfe hindurch. So leise, wie ein Ninja.

Der einzige, der mich sieht, ist Hokagesama selbst, anscheinend hört er Sarutobis Rede genauso wenig zu, wie ich. Aus einem merkwürdigen Impuls heraus zwinkere ich ihm zu, dann schließe ich die Tür. Ruhe.

Das Anwesen der Senju ist abgesehen vom Saal nur spärlich beleuchtet. Die paar Kerzen an den Wänden reichen kaum aus, um den gesamten Flur zu beleuchten, aber ich muss auch nichts sehen. Selbst bei Tageslicht wüsste ich nicht wohin, das ist das erste Mal, dass ich ganz allein hier bin.

Etwas unschlüssig schlurfe ich um die Ecke, in der Hoffnung, dass mir etwas bekannt vorkommt, dann fange ich wahllos an, Türen zu öffnen. Ah, ein Raum voller Schriftrollen.

„Interessant.", murmle ich leise vor mich hin, auch wenn ich allein bin. Weiter zum nächsten, der mindestens genau so langweilig ist.

Das überübernächste ist das Geschenkezimmer. Also eigentlich ist es ein kleiner Raum mit einem gemütlichen grünen Sofa, einem Wandschrank und einem Karmin, der nicht so aussieht, als wäre er in letzter Zeit angezündet worden. Jetzt stehen überall verteilt Geschenke. Kleine, große, in Papier eingewickelt, mit Schleife, in Umschlägen, auf dem Sofa, dem Boden oder dem Fensterbrett. Die Blumen sind von uns.

Etwas ungeschickt schließe ich die Tür hinter mir, dann lasse ich mich einfach auf den Boden fallen. Mein Kimono knittert dabei wahrscheinlich unschön, das kümmert mich allerdings herzlich wenig. Stattdessen lehne ich mich, vor mich hinschmunzelnd, gegen das Samtsofa und öffne das erste Geschenk. Ganz vorsichtig natürlich, so dass man es wieder einpacken kann.

Ah. Pralinen. Ich nehme eine, dann schließe ich die Schachtel wieder. Schmeckt mittelmäßig überzeugend. Ich hoffe die sind nicht selbstgemacht, das wäre wahrscheinlich Zeitverschwendung gewesen.

Es stellt sich heraus, dass die allermeisten Geschenke (ich habe selbstverständlich nicht jedes geöffnet, ich habe den Inhalt erfühlt) irgendeine Art von Süßigkeit enthalten. Entweder das, oder Alkohol. Der Hokage sieht irgendwie gar nicht nach süß aus, jedenfalls hat er im Saal die süßen Häppchen nicht angerührt. Den Alkohol schon, wahrscheinlich freut er sich über den guten Sake etwas mehr.

Davon gibt es hier so viel, dass ich entscheide, dass es kaum auffallen wird, wenn eine Flasche fehlt. Eigentlich habe ich genug, aber irgendwie verspüre ich das Verlangen, zumindest zu probieren. Ich hoffe Tobirama Senju kann teilen...

Nachdem ich eine Weile lang versuche, die Flasche mit meinen Zähnen zu öffnen und sie mir dabei fast gegen meine Nase haue, erkenne ich, dass ich einen Korkenzieher brauche. Das nächst logische ist also, den Wandschrank zu durchforsten.

Eine Schublade nach der anderen wird aufgemacht. Zwischen alten, gammeligen, alten aber weniger gammeligen und nicht so alten aber verstaubten Schriftrollen finde ich einen ganzen Haufen Pinsel, mehrere Tintenfässer und lose Zettel. Kein Korkenzieher. Anscheinend trinkt er nicht, während er arbeitet, wirklich schade.

Die Flasche weiterhin unter meinen Arm geklemmt, schließe ich missmutig was ich geöffnet habe, dann bemerke ich die Tür daneben. Etwas ungeschickt steige ich über ein paar der Geschenke, stütze mich an der Fensterbank ab und stolpere beinahe ins Reispapier, dann schiebe ich sie auf.

Der Nebenraum sieht viel mehr nach Tobirama Senju aus, als der mit dem Sofa.

Nicht, dass ich ihn besonders gut kenne, oder überhaupt kenne. Aber das hier entspricht einfach mehr meinen Vorstellungen. Vielleicht ist es das gekippte Fenster, welches frische Luft reinlässt, oder der beinahe freie Schreibtisch davor. Die Regale sind auch sauber und aufgeräumt, es steht nicht mal irgendwo ein vergessener Becher rum.

Kurz zögere ich, dann setze ich mich an den massiven Holztisch. Fast ein bisschen unheimlich hier drin, irgendwie ist es so... leer. Aber das Papier vor mir ist auf gestern datiert, er muss zumindest gestern hier gewesen sein.

Zu mir selbst zucke ich mit den Schultern, dann ziehe ich die Schreibtischschublade auf. Auch hier alles sortiert...

Mit dem gefundenen Brieföffner ziehe ich den Korken aus der Sakeflasche und rieche daran. Das Zeug ist gut, keine Frage. Zufrieden mit mir (und der Tatsache, dass ich mir den Öffner nur fast in die Hand gestochen habe) nehme ich einen Schluck und seufze leise. Der Stuhl unter mir knarzt, als ich mich zurücklehne.

„Und jetzt?", frage ich die überlaut tickende Uhr über der Haupttür. Es ist nicht einmal Mitternacht. Die Feier ist noch lange nicht beendet und ich verspüre wirklich kaum Lust, zurückzugehen.

Ein paar Minuten gebe ich mir um aufzustehen, die frische Luft tut gut, dann schlendere ich an den Regalen vorbei und lasse meine Hand über allerlei Bücher streichen.

An einem bleibe ich hängen.

Es ist größer als die anderen, hat keinen Titel auf dem Einband oder sonst wo. Außerdem ist es handgeschrieben. Neugierig rücke ich der Kerze an der Wand etwas näher und versuche das gekritzelte zu entziffern. Die ersten Seiten sind kaum leserlich und ergeben wenig Sinn, aber irgendwo in der Mitte finde ich, was ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Das Siegel.

Plötzlich bin ich gar nicht mehr betrunken, sondern hellwach. Mein Herz hämmert von innen gegen meine Brust und kurz höre ich die Uhr nicht mehr. Ich muss es haben. Ich muss dieses Buch haben!

Hastig schiebe ich die übrigen zusammen, suche im Raum nach einem ähnlichen und rücke Bücher hin und her. Es darf nicht auffallen, dass es weg ist. Unter meinem Kimono versteckt. Gerade als ich glaube, dass ich meine Spuren verwischt habe, noch einen kurzen Blick zurückwerfe und durch die Seitentür verschwinden will, geht die Tür zum Flur auf.

Hokagesama schaut mich genauso überrascht an, wie ich ihn.

Wie ich aus Versehen viel zu früh einen Mann für mich fandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt