Kapitel 12

444 22 6
                                    

Maja

Theos Kommentare gingen mir nicht aus dem Kopf. Auch am nächsten Morgen dachte ich noch über seine Behauptung nach, ich wüsste nicht, wie es sei für seine Träume zu kämpfen. Es stimmte, in seine Situation konnte ich mich nicht hinein versetzen, weil ich kein besonderes Talent besaß und auch in keiner Sportart so gut war, dass ich daraus eine Karriere hätte basteln können. Und ja, vielleicht wusste ich auch jetzt mit 19 Jahren noch nicht, was ich einmal aus meinem Leben machen wollte. Aber auch ich hatte Träume. Visionen. Davon wusste Theo natürlich nichts, da er in den letzten drei Jahren kaum mit mir gesprochen hatte. Außerdem war ich durchaus dazu in der Lage, mich in die Situation anderer Menschen hinein zu versetzen.

Bis Samstagmittag hatte ich mich so in meine Wut hinein gesteigert, dass ich mir fest vornahm, jeden weiteren Kontakt zu Theo bestmöglich zu vermeiden. Zufälligen Begegnungen würde ich nicht entgehen können, aber dabei sollte es auch bleiben. So wie ich ihn einschätze, würde er ohnehin nicht lange bei seinen Eltern wohnen, sondern nur bis er sich wieder eigenständiger bewegen konnte.

Als mein Vater am frühen Abend von seinen Arbeiten draußen wieder reinkam, war ich gerade dabei, einen Kuchen zu backen. Einen Anlass gab es dafür nicht, aber nachdem Theo mir den gestrigen Abend derart vermiest hatte, brauchte ich etwas Aufmunterung. Mein Vater legte mir eine Hand auf die Schulter, um meine Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen und machte dann eine Kopfbewegung zur Haustür.

„Ist jemand vor dem Haus?", fragte ich überrascht. Die Post war heute schon gekommen und eigentlich erwarteten wir keinen Besuch - soweit ich wusste. Aber mein Vater schüttelte den Kopf und zeigte durch das Küchenfenster in Richtung Stall.

„Stimmt etwas mit den Kühen nicht?" So sahen die meisten unserer Unterhaltungen aus: ich stellte Fragen und mein Vater gab mir mit Händen und Füßen zu verstehen, was er mir mitteilen wollte. Auf diese zweite Frage folgte ein weiteres Kopfschütteln.

„Soll ich raus zum Stall gehen?" Ein Nicken. Seufzend stellte ich die Rührschüssel beiseite, wusch mir kurz die Hände und schlüpfte im Flur in meine Gummistiefel. Ich wusste nicht, was genau mich im Stall erwartete, aber auf einem Hof wie unserem war es immer eine gute Idee, Gummistiefel zu tragen.

Mein Vater hatte die Kühe bereits zurück in den Stall gebracht, weshalb die Geräuschkulisse relativ laut war. Auf den ersten Blick schien nichts außergewöhnlich, doch dann entdeckte ich eine Gestalt, die am Gitter lehnte und sich von Lottie die Hand abschlecken ließ. Das konnte unmöglich Theos Ernst sein. Meine gestrige Drohung, die Kühe auf ihn zu hetzen, wirkte nun auch etwas lächerlich, da Lottie mehr als angetan von ihm schien.

„Was willst du hier?", fragte ich und gab mir gar nicht erst die Mühe, freundlich zu klingen. Wenn Theo so partout kein Mitleid wollte, musste er jetzt eben mit den Konsequenzen seines Verhaltens klarkommen.

Er wandte sich von Lottie ab und hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste. „Ich komme mit einem Friedensangebot."

Misstrauisch trat ich näher an ihn heran. Ich war nicht in der Stimmung, Frieden mit ihm zu schließen. Hinzu kam, dass es vermutlich nur eine Frage der Zeit war, bis er wieder etwas sagte, was mich verärgerte.

„Möglicherweise habe ich gestern Abend ein bisschen überreagiert und Dinge gesagt, die ich nicht hätte sagen sollen."

„Was du nicht sagst", murmelte ich so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob er es hörte. Etwas lauter fragte ich: „Soll das eine Entschuldigung sein?" Wenn ja, war es eine verdammt miserable.

Theo verdrehte die Augen. „Entspann dich doch mal, Maja. Du musst mich nicht direkt wieder so anfahren, nur weil ich-"

„Doch, muss ich", unterbrach ich ihn. „Wenn du kein Mitleid willst, dann kannst du auch nicht verbal austeilen, wie es dir gerade passt, und erwarten, dass alle es einfach so hinnehmen. Du hast dich jetzt mehrfach echt daneben benommen, obwohl ich dir nichts getan habe. Entweder entschuldigst du dich jetzt für dein Verhalten und meinst es auch so, oder du haust einfach ab."

FALLEN FROM GRACEWhere stories live. Discover now