1. Kapitel

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~Zehn Jahre Später~

Ich saß auf dem Boden und betrachtete mein Spiegelbild in der Klinge des gerade polierten Dolches, als Aleth den Raum betrat. Er wirkte verschlafen, hatte dunkle Ringe unter den Augen und schaffte es irgendwie trotzdem gut auszusehen. Seine dunklen Haare wirkten, als wären sie ewig nicht geschnitten worden, was vermutlich auch der Fall war, und hingen ihm zerzaust ins Gesicht.

»Raeve, steh auf. Es ist wieder ein neuer Auftrag reingekommen. Eine wertvolle Brosche, die wir für eine alte Dame besorgen sollen.«

Ich steckte meinen Dolch in die dafür vorgesehene Scheide in der Innenseite meines Mantels und stand auf. »Geht's auch genauer?«, fragte ich genervt. Ich war gerade echt nicht in der Laune, ihm jedes Wort aus der Nase ziehen zu müssen.

»Ich habe die Adresse, wo die Brosche angeblich ist, und eine grobe Beschreibung, wie sie aussieht.«

Ich machte mich schnell fertig. Von der Haustür bis zum Auto waren es nur ein paar Meter und trotzdem war mir sofort kalt, mein Atem stieg als kleine Wölkchen auf.

Aleth startete den Motor und wir fuhren zu der angegebenen Adresse. Das Haus lag in einem kleinen Dorf außerhalb der Stadt und passte nicht in die ländliche Kulisse. Im Gegensatz zu den kleinen Holzhäusern drumherum wirkte es geradezu protzig, mit seiner edlen Fassade und der weitläufigen Veranda.

Es war Nachmittag, als wir anfingen, das Haus zu beobachten, um einen passenden Moment abzupassen, wenn der Besitzer nicht Zuhause war. So verging Stunde um Stunde, wo wir einfach nur rumsaßen und warteten.

Irgendwann meinte Aleth: »Was denkst du eigentlich, wofür die Dame die Brosche braucht? Ob es ein verloren geglaubtes Familienerbstück ist?« »Ich habe kein Ahnung.« Danach herrschte wieder bedrückende Stille.

Am frühen Abend, als wir die Hoffnung schon fast aufgegeben hatten, öffnete sich die Haustür und ein Mann mittleren Alters kam raus. Er wirkte gepflegt und sah aus, als würde er mit als erstes Ergebnis kommen, wenn man bei Google 'Büroarbeiter' suchte. Er stieg in das dunkle Auto, welches in der Einfahrt stand, und fuhr los.

Soweit wir beobachten konnten war er alleine im Haus gewesen, es dürfte also niemand mehr da sein.

Als wir uns versichert hatten, dass er wirklich weg war gingen wir zur Haustür. Ich untersuchte das Schloss. »Wer benutzt denn heutzutage noch Bartschlösser? Ach egal, das vereinfacht mir die Arbeit.« Dann nahm ich mir die Haarnadel aus den Haaren, die ich immer dabei hatte. Voller Hoffnung, dass mein Spanner nicht zu Hause lag, griff ich in die Hosentasche und spürte das kalte Metall an meinen Fingerspitzen. Glück gehabt. Es brauchte kaum Zehn Sekunden, dann sprang die Tür auf.

Wir sahen in einen langen Flur. Von ihm zweigten mehrere Türen zu angrenzenden Räumen ab. Am Ende des Flurs war eine große Wendeltreppe, die in ein weiteres Stockwerk führen musste. "Wir teilen uns auf. Du bleibst hier unten und ich suche oben.« Aleth wirkte entschlossen.

Ich fing an, systematisch die Räume zu durchsuchen. Die erste Tür führte in eine große Küche mit sterilen weißen Oberflächen. Danach ein Badezimmer, ein Wohnzimmer, ein Raum, der Aussah wie ein Arbeitszimmer und ein Raum mit mehreren Glasvitrinen. Bingo! Jetzt musste ich nur noch diese Brosche finden.

Ich durchstöberte den kompletten Raum. Dort war ein Menge Zeug, unter anderem edel aussehende Federhalter, Ketten, Ringe, Edelsteine und vieles mehr. Und irgendwo zwischen all den Sachen lag eine Brosche. Ein länglicher, grüner Edelstein in einer Fassung aus Gold, umrandet von weiteren, kleineren Edelsteinen. Sie sah genau aus, wie Aleth sie beschrieben hatte. Vorsichtig öffnete ich die kleine Vitrine und steckte die Brosche in eine der vielen Taschen meines Mantels, gleich neben den Dolch.

Dann sah ich mich weiter um. Vielleicht entdeckte ich ja noch etwas wertvolles. Da blieb mein Blick an einem kleinen Medaillon hängen. Es war silbern, nur wenige Zentimeter hoch und Anhand der Form vermutete ich, dass es sich um ein kleines Buch handelte. Auf der linken Seite war ein kleines Foto mit einer wunderschönen Frau, die ein kleines Kind, wohl kaum älter als sechs Monate, auf dem Arm trug. Auf der anderen Seite war ein kleiner Spiegel eingelassen. Irgendwas an diesem Medaillon wirkte magisch, also nahm ich es aus der Vitrine aus klappte es zu. Es war tatsächlich ein kleines Buch. Als ich es in meiner Hand drehte, sah ich, dass auf der Rückseite etwas eingraviert war. Es mussten zwei Namen sein, entziffern konnte ich sie aber nicht.

Da hörte ich ein Auto. Dabei dachte ich mir jedoch erstmal nichts, bis ich hörte, wie jemand einen Schlüssel in das Schloss der Haustür steckte. Ich hatte sie vorsorglich wieder zugemacht. Schnell hing ich mir die schmale, silberne Kette, an der das Buch Medaillon hing um den Hals, öffnete das Fenster und kletterte hinaus, bevor die Person, die gerade dabei war reinzukommen, mich nicht entdeckte. Hoffentlich würde Aleth es rechtzeitig rausschaffen.

Mein Herz schlug schneller, als ich neben mir etwas rascheln hörte. Ich fuhr herum und sah einen Umriss hinter mir. Schulterlange schwarze Haare, die die scharfen Gesichtszüge hervorhoben. Das Gesicht kannte ich. »Aleth!« Das war zu laut gewesen. Aleth fluchte Leise, doch es war zu spät. Drinnen ertönten schnelle Schritte. Wir konnten gerade noch rechtzeitig um die nächste Ecke huschen, bevor der Kopf des Mannes im Fenster erschien, der vorhin mit dem Auto weggefahren war. Er wirkte verwundert und schloss das Fenster. Beruhigt steckte ich das Messer zurück, welches ich in der Eile aus meinem Mantel geholt hatte.

Aleth und ich huschten schnell auf die andere Seite des Hauses und rannten über die Straße zum Auto. Wir stiegen ein und Aleth startete gehetzt den Motor. Dann verband ich mein Handy mit dem Radio und wir rasten mit deutlich zu lauter Musik zurück nach Hause.

Mitten auf der Fahrt fiel mir das alte Medaillon wieder ein. Ich zog es unter meinem Pullover hervor und betrachtete es. Dann klappte ich es auf. Dort, wo eben noch ein kleiner Spiegel war, sah ich nun mich, wie ich einen kleinen Zettel aus einer Manteltasche holte. Instinktiv griff ich in eben diese Tasche und ertastete mit den Fingerspitzen einen Zettel. Ich starrte auf das Medaillon. Und sah mich selber, wie ich entsetzt schaute? Dann begriff ich, dass die rechte Seite wieder ein ganz normaler Spiegel war. Hatte ich mir das alles nur eingebildet?

Dann erinnerte ich mich an den Zettel in meiner Manteltasche. Ich holte ihn raus und faltete ihn aufgeregt auf.

Why am I still here?Where stories live. Discover now