1

168 10 26
                                    

An einem regnerischen Abend ging Ehelia spazieren, um einen klaren Kopf zu schaffen.
Während sie sich unter ihrer Haustür stellt und den schwarzen Regenschirm öffnet, ist nur das Aufprallen der vielen Regentropfen auf den kalten Asphaltboden zu hören. Wie ein Wasserstrahl gebündelt, fließen diese der Straße entlang und münden schließlich in der Kanalisation. Der Wohnort ist nicht sehr belebt und auch bleiben die Straßen in dieser Nacht verlassen.

In ihren Gedanken vertieft, wandert Ehelia durch ihre ruhige Nachbarschaft, bis sie schließlich durch eine Gasse läuft, die zur Hauptstraße führt. Dort folgt sie dem Straßenverlauf, der von dem senffarbenen Licht der Straßenlaternen erstrahlt wird.
Mit jedem Schritt, den sie tätigt, werden ihre Gedanken zunehmend lauter, doch schwindet ihre Aufmerksamkeit dahin. Kurz vor dem Zebrastreifen bleibt sie stehen. Sie ist dabei die Straße zu überqueren, als sie auf die weißen Streifen blickt, die sich unter ihren Füßen befinden und flüstert:
"Ist das wirklich alles?"

Daraufhin schließt sie ihre Augen und atmet tief ein. Es liegt sowohl der Duft von Regen als auch der von frischen Blumen in der Luft. Sanft öffnet sie ihre Augen und ist gerade dabei den Zebrastreifen zu passieren, als das grelle Licht eines Autos und der schrille Ton einer Hupe sie betäubt. Innerhalb von Sekunden liegt sie regungslos auf dem nassen Asphaltboden, wo der kalte Regen nunmehr ihr warmes Blut in die Kanalisation fließen lässt.
-

Während sie erwacht spürt sie einen starken Druck im Kopf und fasst sich direkt an die Schläfe. Beim betrachten ihrer Hand fällt ihr auf, dass keinerlei Blut zu sehen ist, noch haben sonstige Körperteil sichtbare Verletzungen davongetragen.
"Komisch" sagt sie leise.

Allerdings verfliegt Ehelias Verwunderung schnell, da das Gefühl der Angst überwiegt. Unter ihr erstreckt sich eine lange Glasplatte mit Aussicht auf ein endloses Wolkenbett. Panisch steht sie auf und sieht sich dabei genauer um. Sie kann ihren Augen kaum trauen, während ihr Blick von vielen Schlössern, die in den Wolken schweben und von Bächen gestreift werden, zu der ihr gegenüber liegenden, bogenförmigen Spiegelhalle wandert.
"Entweder ist das ein Traum oder ich bin tatsächlich gestorben und lebe jetzt im Himmel. Fragt sich nur, wie ich es hierher geschafft habe. Naja, alles ist besser als die Hölle od-?"

Noch bevor sie ihren Gedankengang beenden kann, unterbricht sie ein, in einem schwarzen Schutzanzug gekleideter und mit militärischen Waffen, ausgestatteter, junger Mann.

"Ausweis!", fordert er.

"Ausweis?" wiederholt Ehelia verwirrt.

"Code238, John hier, wir haben wieder mal eine Ausgebrochene. Weiblich, blass, eine 6/10", spricht der Mann, während er einen Knopf an seinem Funkgerät hält und seinen Kopf dabei neigt.

"6/10?" fragt sich Ehelia.

"Bitte kommen, Code238 bitte bestätigen, over. Eine 6/10? Verdammt. Sperr sie einfach weg" ertönt es aus dem Funkgerät.

"Bestätige Code238, over. Diese verdammten Hippies, das ist schon die vierte heute. So werd ich nie mein Double Cheeseburger mit doppeltem Käse, eine Scheibe Gurke und 3 Scheiben saure Gurken und eine halbe Scheibe Tomate genießen können" beschwert sich der Wachmann, namens John über Funk.

"Cheeseburger? Was? Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, wo ich gerade bin. Ist das ein Traum? Oder kannst du wenigstens bestätigen, dass ich gestorben und glücklicherweise im Himmel gelandet bin?" fragt Ehelia freundlich und doch ist ihre Verzweiflung rauszuhören.

Ohne ihr zu antworten, packt der Wachmann sie am Arm und schleift sie in Richtung des Spiegelsaals.
"Du bist wohl ganz lustig was? Ich werd langsam zu alt für diesen beschissenen Job" sagt er genervt.

"Zu alt? Der Typ ist doch jünger als ich" denkt Ehelia kurz bevor sie versucht, sich aus seinem Griff zu befreien und folgendes fordert:
"Sag mir doch nur, wo ich bin, bitte! Sobald du mir sagst, wo ich mich befinde, werde ich mitkommen. Der Ort hier sieht sogar ziemlich gut aus. Naja, also bis auf die Tatsache, dass die Glasplatte unter meinen Füßen mich davon abhält,vom Himmel zu fallen, worauf auch immer aufzukommen und schließlich zu sterben. Wenn ich nicht schon tot sein sollte... Ich bin tot oder?"

John runzelt kurz die Stirn, blickt Ehelia fragend in die Augen und spricht schließlich in sein Funkgerät:
"Hey Jersey, vergiss Code238. Ich brauche Verstärkung Code555. Wiederhole, Code555 am Eingangstor! Brauche dringend Verstärkung. Aufmüpfige, weibliche Person mit leicht fettigen Haaren. Sehr aggressiv, 6/10."

"Das kann nicht dein ernst sein. Verstärkung? Oh mein Gott, weißt du was, ich komme mit. Vergiss, was ich gesagt hab-", erneut wird Ehelia unterbrochen. Jedoch sind es diesmal zehn Wachmänner, ebenfalls in Schutzanzügen gekleidet und mit Waffen ausgestattet.

"Auf den Boden! HÄNDE DA, WO ICH SIE SEHEN KANN!" schreit einer der Männer und zielt mit seiner Pistole auf ihren Kopf, direkt zwischen ihren Augen.

Sofort hebt Ehelia ihre beiden Hände und legt sich vorsichtig auf die Glasplatte. Sie senkt ihren Kopf und sieht die Wolken unter ihr vorbei schweben:
"Findet ihr das nicht gerade etwas dramatisch? Zehn bewaffnete Männer für ein unbewaffnetes Mädchen?

"Schweig! Du Aussätzige, folgenschwere Strafe steht dir bevor!" befiehlt der Wachmann, während er ihr Handschellen anbindet.

The Secrets of PochinkiWhere stories live. Discover now