Prolog

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~7 Jahre, 3 Monate, 2 Stunden und 9 Minuten vor dem ersten Kapitel ~

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,,Clive Dexson.", erklang die feierliche Stimme der Mestress durch den Saal. Ihre Stimme hallte in den steinernen Wänden wider. Mein Blick wanderte zu den unglaublich farbenfrohen Fenstern, die den kühlen Raum in zauberhaftes Licht tauchten.

Unruhig stand ich vor meinem Stuhl. Diese Zeremonie dauert schn so lange, ich konnte langsam nicht mehr still stehen. Mit meinen Füßen trippelte ich ungeduldig auf den steinernen Boden.

Plötzlich legt sich eine große Hand auf meine Schulter.
,,Raylee, lass das. Es dauert auch nicht mehr lange, aber ruinier deinem Bruder nicht diesen Tag, verstanden?"
,,Ja.", murmle ich kleinlaut.
Immer war ich zu laut, zu unruhig oder zu unkonzentriert.
Immer war ich an allem Schuld. 

Raylee, sei ruhig.
Raylee, sei leise.
Raylee, spiel nicht damit rum.
Raylee, bleib ruhig stehen.
Raylee, hör auf damit.
Raylee, nerv deinen Bruder nicht.

Vorsichtig warf ich einen Blick über meine Schulter. Die kirchenartige Halle war vollkommen gefüllt.  Beinahe schon überfüllt. So viele Menschen, die alle unterschiedlich aussahen. Und doch waren sie alle vom selben Ort. 
Mein Bruder Clive schritt langsam auf die Mestress zu. Er hatte so lange auf diesen Tag gewartet. Ich war mir sicher, dass er genau wie Hale und Cassius.

Und irgendwann würde ich auch dort oben stehen.
Dort oben.
Meine Auszeichnung erhalten.
Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr freute ich mich auf meinen Tag.

,,Clive Dexson, hiermit überreiche ich Ihnen im Namen des Volkes den Eirene-Orden. Sie haben unsere Stadt, Heathergate, vor den Leipo-Adlern geschützt."

Die Menschen begannen laut zu applaudieren, durch die hohen Wänden wurde die Lautstärke des Applauses nochmal verstärkt.
Ja, die Leipo-Adler waren schlimm gewesen. Hale und Cassius waren ebenfalls kaum zu Hause gewesen, genau wie meine Eltern.

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,,Auf Clive!" Mit diesen Worten hob mein Vater sein Glas. ,,Auf Clive!", stimmten wir ein.
In unserem Esszimmer war es deutlich wärmer als in der Halle, wo Clive seinen Orden verliehen bekommen hatte.

Ich liebte es, meine Zehen in dem weichen, dunkelroten Teppich zu vergraben. Der aus dunklem Holz gezimmerte Esstisch war mit allen möglichen Speisen gedeckt.
Fisch, Reis, Kartoffeln, Fleisch oder Salat: Es war einfach alles dabei.

Nach kurzem Überlegen entschied ich mich schließlich für etwas Reis mit Pilz-Ferce-Salat.
Fleisch und Fisch aß ich grundsätzlich nicht. Meinetwegen sollten keine Tiere sterben.
Mein Vater war da anderer Meinung.
Er hatte schon mehrfach versucht, mich dazu zu bringen, Fleisch zu essen.

,,Mutter, darf ich nachher noch zu Haelyn?"
Immer musste ich sie "Mutter" nennen. Jedes Kind durfte seine Eltern so nennen, wie es wollte.
Nur um unsere Familientradition aufrechtzuerhalten bestanden meine Eltern darauf.
Als Antwort bekam ich einen genervten Blick.

,,Du kannnst nicht mehr raus, Raylee. Es ist schon viel zu spät."
,,Kann ich morgen früh zu ihr?"
Bitte, dachte ich, bitte.
Ich wollte mal hier raus.
,,Du weißt doch ganz genau, dass du morgen den ganzen Tag lang Zauberunterricht hast.
Übermorgen kannst du dich ausnahmsweise mit Haelyn treffen. Für zwei Stunden dann bist du wieder da, haben wir uns verstanden?"

,,Danke!" Ich freute mich so sehr, dass ich beinahe mein Glas umgeworfen hätte.
Lieber erwähnte ich jetzt nicht die Tatsache, dass ich eine totale Niete in Magie war.

Meine Eltern und mein Lehrer waren der Ansicht, dass sich magische Fähigkeiten verstärkten, wenn man älter wurde.
Ich hingegen glaubte nicht daran. Sie hatten einfach nur Angst, dass ich eine Lediski sein könnte, eine Person mit wenig oder keiner Magie.

Es wäre ein Skandal für meine Familie.

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,,Schlafe erholsam." Diese unfassbar liebevollen Worte hatte mein Vater an mich gerichtet, als er "Gute Nacht" sagen wollte.
Ich wartete, bis er endlich meine Zimmertür geschlossen hatte.

Leise kletterte ich aus meinem weichen Bett. Beschweren konnte ich mich über mein riesiges Zimmer nicht.
Es gab Momente, in denen ich mir wünschte, wir würden wie normale Familien in der Innenstadt ein Familiengeschäft besitzen und in einer kleinen, gemütlichen Wohnung darüber leben.

Nicht so abgeschottet am Rand von Heathergate in einem großen Haus. Denn hier war man einsam.
Haelyns Eltern arbeiteten in einer Bibliothek, sie wollte später unbedingt ebenfalls dort arbeiten. Haelyn liebte Bücher und Bücher liebten sie.

Auf Zehenspitzen schlich ich zu meinem Schrank. Meine Eltern hassten es, wenn ich es alleine tat.
Das war der Grund dafür, weshalb ich nie alleine die Kuppel öffnen durfte. Ich dachte, mit 9 Jahren kann ich sehr Wohl eine Leiter an eine Wand stellen und darauf steigen.

Also öffnete ich meinen Schrank. Unten, auf dem Boden des Schranks, lag die helle Holzleiter. Jetzt, wo die Sterne schon zu sehen waren, musste der Himmel wunderschön sein.
Ich hob sie hoch, glücklicherweise wog die Leiter kaum etwas.
Bis ans andere Ende meines Zimmers trug ich die Leiter, um sie dort an der Wand aufzustellen.

Langsam erklomm ich die ersten Sprossen. Meine Finger umschlossen das weiche Holz. Sprosse für Sprosse kletterte ich nach oben.
Wenn meine Eltern mich jetzt erwischten, würde ich nie mehr das Tageslicht zu Gesicht bekommen.

Oben angekommen, drückte ich den Kopf, mit dem sich meine runde Dachkuppel öffnete. Langsam fuhr das Glas Stück für Stück ein.
Ich griff nach der Brüstung und zog mich an ihr nach draußen.
Warmer Wind strich durch meine schulterlangen Haare.

Meine Augen sahen in den Himmel. Unzählige helle Sterne funkelten im Nachthimmel wie Glitzer auf einem schwarzen Papier.
Fasziniert fanden meine Augen immer neue Sterne.
Ob irgendwer auch in diesem Moment in die Sterne sah?
Ob sich jemand auch fragte, wie die Welt von dort oben aussah?

Es war schwer, sich von den unzähligen Gefunkel loszureißen. Meine Gedanken begannen sich plötzlich um Clive zu drehen.
Wie hatte es sich für ihn angefühlt, den Eirene-Orden zu erhalten?
Das erste Mal war bestimmt besonders.
In meiner Familie gehörte es fest zum Leben dazu, diesen Orden mindestens fünfmal zu erhalten.

Hale hatte es schon zweimal geschafft, dabei war er erst 18.
Das war sogar ein Rekord.
Denn das Mindestalter lag bei 16.
Ich lächelte. In einer Woche musste Clive einige Reden halten.
Das musste bestimmt Spaß machen.

Tausende Menschen, die zuhören, was man zu sagen hatte.
Das kannte ich leider nicht.

~1004 Wörter

𝚃𝚑𝚎 𝚂𝚘𝚗𝚐 𝚘𝚏 𝙼𝚘𝚘𝚗 𝚊𝚗𝚍 𝚂𝚞𝚗Where stories live. Discover now